Landwirtschaft:EU sendet mit Alleingang im Glyphosat-Streit falsche Signale

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Die Menschen in Europa wollen Glyphosat nicht. Auch wenn es schlicht falsch ist, das Herbizid per se als böses Krebsgift zu verurteilen: Brüssel sollte den Willen der Bürger akzeptieren.

Kommentar von Kathrin Zinkant

Viele Menschen haben sich in den vergangenen Tagen gefragt, was bloß mit den Briten los ist, die so wild auf einen Austritt aus der schönen EU sind. Doch nach der Brexit-Entscheidung darf man sich zur Abwechslung wieder einmal fragen, was eigentlich mit der EU-Kommission in Brüssel los ist. Die Frage lautet: Verdient die Kommission Kritik für die Art und Weise, wie sie ihre Entscheidungen fällt?

Mit einem Verweis auf den Brexit hatte sie den fünften Termin zum Thema Glyphosat in Brüssel abgesagt - um kurze Zeit später mitzuteilen, die Zulassung für das heftig attackierte Ackergift werde am Mittwoch für 18 Monate verlängert. Andernfalls wäre die Zulassung an diesem Donnerstag automatisch abgelaufen. Genau das hätte wohl dem Wunsch vieler Menschen in Europa entsprochen. Doch die Kommission hat sich über diesen Wunsch und über das Patt zwischen den Mitgliedsstaaten jetzt kurzerhand hinweggesetzt.

Das ist rechtens, weil die Kommission dies auch ohne klares Votum darf. Auch inhaltlich ist an der ad hoc gefällten Entscheidung wenig auszusetzen: Glyphosat wurde von Umweltschützern zuletzt weniger wegen einer negativen Wirkung auf die Umwelt kritisiert, sondern wegen eines angeblichen Krebsrisikos. Doch die Debatte um dieses Risiko stand von Beginn an in keinem Verhältnis zu den tatsächlichen Risiken, die von Glyphosat für den Menschen ausgehen.

Die oft genannten Widersprüche in der Risikoeinschätzung hat es nie gegeben

Auch die oft genannten Widersprüche in der Risikoeinschätzung hat es nie gegeben. Es ist immer noch wichtig zu verstehen, dass es hier nicht um Ansichtssachen geht, sondern um Tatsachen, die immer wieder falsch dargestellt werden. Faktisch sehen die verantwortlichen Behörden auf nationaler und internationaler Ebene einhellig kein erhöhtes Krebsrisiko für den Menschen. Dieses einhellige Urteil widerspricht auch nicht der stetig zitierten Einschätzung der Krebsforschungsagentur der Weltgesundheitsorganisation, IARC. Sie hatte im vergangenen Jahr vermutet, dass Glyphosat generell "wahrscheinlich krebserregend" sein könne.

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Es handelt sich dabei um die allgemeine Einschätzung einer Gefährdung. Sie ist vergleichbar ist mit der Aussage: Es ist wahrscheinlich gefährlich, eine Straße zu überqueren. Ein Risiko ist jedoch etwas anderes, es beschreibt konkret, ob unter realistischen Umständen - Verkehrsdichte, Fahrgeschwindigkeit, Ampeln - mit Unfällen zu rechnen ist. Die IARC schätzt eine Gefährdung, nicht aber solche konkreten Risiken ein. Das gehört gar nicht zu den Aufgaben der Agentur. Sie berichtet außerdem nicht der Öffentlichkeit. Sie macht Behörden auf mögliche Gefährdungen aufmerksam. Solche Gefährdungen sind dann von den verantwortlichen Institutionen zu untersuchen.

Das alles ist geschehen, mit einem völlig widerspruchsfreien Resultat. Die Anwendung von Glyphosat war und bleibt in der EU mehrheitlich auf leere Felder vor der Aussaat beschränkt. Das Breitbandherbizid kann ohnehin nicht auf wachsende Ackerpflanzen - und erst recht nicht auf die blühenden - gespritzt werden, weil Mais, Getreide, Raps sonst mit dem Unkraut eingehen. Genmanipulierte Sorten, die resistent gegen Glyphosat sind und samt der Bevölkerung einem steten Glyphosatregen ausgesetzt werden, gibt es in Südamerika. In Europa nicht. Deshalb lässt sich das Gift bei sachgemäßer Anwendung in Lebensmitteln nur in extrem geringen Spuren nachweisen.

Trotzdem verwundert der Alleingang der EU-Kommission im Fall Glyphosat

Das gilt übrigens auch für Honig, von dem jetzt ein Einzelfall aus Brandenburg bekannt wurde. Eine Probe aus dem Jahr 2015 sei massiv mit Glyphosat belastet gewesen. Wie die Messung zustande gekommen ist und warum sie just am Tag der geplanten fünften Runde in Brüssel publik wurde, wird noch zu ermitteln sein.

Und trotzdem verwundert der Alleingang der EU-Kommission im Fall Glyphosat, bedenkt man die Signale, die er jetzt aussendet. Der Brexit habe eine weitere Auseinandersetzung nicht mehr möglich gemacht, hatte es am Montag geheißen. Der Brexit aber, so unverantwortlich oder schlicht dumm man ihn finden kann, ist zumindest eine Entscheidung, die von der britischen Öffentlichkeit so gewünscht wurde. Der britische Premier David Cameron hätte sich ein anderes Ergebnis erhofft, aber er steht zum Resultat des Referendums. Und dazu, die Bürger gefragt zu haben. Die Briten werden dafür nun sehr wahrscheinlich einen hohen Preis zahlen, aber auch das ist Demokratie.

Wenn sich die EU-Mitgliedstaaten auf die Neuzulassung eines umstrittenen Herbizids nicht einigen können, und eine besorgte Öffentlichkeit sich laut Umfragen sehr deutlich gegen den weiteren Einsatz dieses Ackergifts ausspricht, dann darf man es genauso demokratisch nennen, diesem Wunsch zu entsprechen.

Es wäre daher besser gewesen, die EU hätte die Glyphosat-Zulassung auslaufen lassen. Das wäre ein Biss in den sauren Apfel gewesen. Aber dieser Biss hätte vieles deutlich gemacht. Zum Beispiel, dass es sich bei Glyphosat nur um eines von vielen Ackergiften handelt, die der Umwelt massiv schaden. Wenn Glyphosat verschwindet, verschwindet damit noch lange nicht die konventionelle Landwirtschaft. Alle Pestizide reduzieren die Artenvielfalt, vertreiben die Natur von den Feldern - weil genau das nun mal ihre Aufgabe ist. So können Bauern ihre die Kosten senken, die Erträge erhöhen, die Preise für die Verbraucher niedrig halten.

Die zentrale Frage lautet daher nicht, ob Glyphosat ein Krebsrisiko darstellt und ob man weitere 18 Monate wartet, um darüber abermals zu diskutieren. Sondern ob man Pestizide grundsätzlich reduzieren und eine nachhaltige Landwirtschaft erschaffen kann, die ihre Ziele mit weniger Schäden erreicht. Und ob die Öffentlichkeit dann auch bereit ist, den Preis dafür zu zahlen. Antworten auf diese Fragen wird es nun weiterhin nicht geben. Stattdessen bekommen EU-Kritiker einen guten Anlass, Brüssel einmal mehr infrage zu stellen.

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