Amphetamine:Wie die Polizei im Abwasser nach Drogen fahndet

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Eine Laborantin bereitet in einem mobilen Labor des Landeskriminalamts in Hannover verschiedene Proben vor. (Foto: dpa/Hauke-Christian Dittrich)

Sensoren in der Kanalisation könnten helfen, illegale Labore zu entlarven. Doch Klopapier und Haushaltsreiniger erschweren die Spurensuche.

Von Andrea Hoferichter

Manchmal braut Michael Pütz vom Bundeskriminalamt (BKA) in bauchigen Glaskolben Drogen zusammen, die in der Szene als Speed bekannt sind. Allerdings pfuscht der Chemiker dabei immer absichtlich ein bisschen - alles im Dienst der Wissenschaft. Seine Kollegen und er stellen die illegale Amphetaminproduktion unter "realistischen Bedingungen" nach, wie er sagt.

So wollen sie herauszufinden, welche Zwischen- und Nebenprodukte in welchen Mengen in typischen Drogenküchen anfallen. Einige dieser Stoffe könnten künftig im Abwasser von observierten Gebäuden aufgespürt werden und so helfen, die Täter zu überführen. Das Sensorsystem dafür entwickeln elf Forschungspartner, darunter das BKA, im EU-Projekt MicroMole.

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Amphetamine zählen zu den am meisten konsumierten aufputschenden Drogen in Europa. Jedes Jahr stellen Fahnder mehrere Tonnen Speed sicher. Hinweise auf Drogenlabore kommen Pütz zufolge häufig von Nachbarn, die verdächtiges Treiben oder Gerüche melden. Auch Chemikalienlieferungen können die Ermittler auf die Spur bringen und Anlass für eine Observation sein.

Ein mit drei Sensoren bestücktes Messsystem könnte den Fahndern künftig helfen. Es soll im Abwasser von Städten nach Drogenrückständen suchen. Wartungsroboter, die in den Abwasserrohren der Kanalisation herumfahren können, sollen die Messfühler installieren. Zwei der Sensoren messen vor allem physikalische Abwasserwerte wie etwa die elektrische Leitfähigkeit. Einer soll dazu vor dem Zulauf aus dem verdächtigen Gebäude installiert werden, der andere dahinter. "Wenn sich die Werte hinter dem Zulauf plötzlich ändern, ist das ein erster Hinweis auf Aktivitäten", sagt Pütz.

Da solche Änderungen auch durch Haushaltsreiniger verursacht werden können, wird zur Sicherheit der dritte Sensor aktiviert, der ausschließlich auf charakteristische Zwischenprodukte der Amphetaminherstellung anspricht. Er saugt im Alarmfall Wasser für die Messung ein. Gleichzeitig wird eine zweite Wasserprobe als Beweismittel für mögliche Nachuntersuchungen entnommen und sicher aufbewahrt.

Im Laborversuch funktioniert der Sensor bereits. Er spricht aber erst auf eine einzige Substanz an

Das Herz dieses Chemosensors ist eine Goldelektrode mit einem Kunststoffmantel, in den die Strukturen der verräterischen Drogenmoleküle eingeprägt wurden wie Fußabdrücke in Gips. Treffen die passenden Moleküle auf die präparierte Oberfläche, bleiben sie hängen und ändern so die elektrischen Eigenschaften der Elektrode. Darauf reagiert der Sensor und sendet einen Alarm an die Ermittler. Ob das schon ausreicht, um eine Zugriffserlaubnis zu bekommen, ist noch unklar. "Im Zweifelsfall könnten wir den Chemosensor aber relativ schnell herausholen und die gespeicherte Probe zur eindeutigen Bestätigung mit einem mobilen Analysegerät untersuchen", sagt Pütz.

Der Prototyp eines Chemosensors, der auf das Zwischenprodukt N-Methylmetamphetamin reagiert, hat erste Labortests erfolgreich bestanden, wie die Wissenschaftler kürzlich im Fachblatt Biosensors and Bioelectronics berichteten. Die Leitfähigkeitssensoren wurden in einem Forschungskanal der Berliner Wasserwerke geprüft. Trotz Haushaltschemikalien, Papierresten, Fäkalien und Bakterien, die schleimige Biofilme auf Oberflächen bilden können, lieferten sie Pütz zufolge bis zu eine Woche lang brauchbare Ergebnisse, auch wenn die Leistungsfähigkeit am Schluss messbar nachließ. Diese Schwäche wollen die Forscher künftig mit einer besseren Signalauswertung ausgleichen und Ende 2018 ein komplettes System inklusive Chemosensor unter realistischen Bedingungen testen.

Die Forensik-Professorin Niamh Nic Daéid von der schottischen University of Dundee hält die Messmethode für wissenschaftlich fundiert und geeignet, um einen Vorstoß in die Praxis zu wagen. Kritik kommt dagegen von einem internationalen Journalistenteam, zu lesen in einem Artikel von Zeit Online im Februar. "Das Projekt bräuchte, um auch nur eine einzige Kleinstadt zu verkabeln und halbwegs genaue Daten zu liefern, Zehntausende solcher Sensoren in allen Knotenpunkten der Kanalisation", heißt es in dem Text. Polizisten wünschten sich eher neue Schutzwesten und Streifenwagen als Hightech-Produkte. Das 5,4 Millionen schwere Vorhaben sei ein Beispiel für die Verschwendung von EU-Fördergeldern.

Die Drogenköche sind sehr konservativ, sie ändern ihre Rezepturen praktisch nie

Pütz findet den Vorwurf unfair. "Natürlich sind die Ergebnisse eines solchen Forschungsprojekts nicht so unmittelbar einsetzbar wie eine Schutzweste", sagt er. Fortschritte seien eher mittel- bis langfristig zu erwarten. Im MicroMole-Projekt gehe es erst einmal darum, einen Punkt im Abwassernetz zuverlässig überwachen zu können, und nicht um die Kanalisation ganzer Städte. Gleichwohl sei auch das eine Option und voraussichtlich Thema eines Folgeprojekts. Die rechtlichen Grundlagen dafür würden gerade geprüft.

Dass Drogenköche bis dahin auf andere Speed-Rezepte ausweichen könnten und die Sensoren dann womöglich nicht mehr taugen, fürchtet Pütz nicht. Mit seinem Doktoranden habe er die forensisch-chemischen Analyseprotokolle von mehr als 600 in Deutschland und den Niederlanden sichergestellten Amphetaminproben geprüft. "Die Täter sind offenbar sehr konservativ", sagt der Chemiker. Seit vielen Jahren produzieren sie fast ausschließlich auf die gleiche Weise.

© SZ vom 30.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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