Energiewende mit Smart Homes:Strom sparen per Smartphone

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SZ-Illustration: Ilona Burghardt (Foto: N/A)

Ferngesteuerte Waschmaschine, Gefriertruhe und Ladestation für das Elektro-Auto: Im Haus der Zukunft ist der Computer für das Stromsparen verantwortlich. Aber weder Technik noch Datenschutzbedenken sind die größten Hindernisse für die Energiewende. Sondern der wohnende Mensch.

Von Marlene Weiß, Hildesheim

Das Haus der Zukunft steht zwischen Bundesstraße und Supermarkt und gibt sich alle Mühe, möglichst harmlos auszusehen. Hellgelbe Fassade, große Balkone, so verschreckt man keinen. Schließlich ist das Innere des Gebäudes schon heikel genug. Denn hier testet die Uni Hildesheim, was passiert, wenn die Energiewende auf eines ihrer größten Hindernisse trifft: den wohnenden Menschen.

Im Februar sind Helmut und Senta Humbach in eine der 16 Eigentumswohnungen eingezogen; sie ist mit viel altem Holz und neuem Glas eingerichtet. Helmut Humbach war Ingenieur und fand es toll, dass man mit dem Smartphone Licht, Heizung und Jalousien steuern oder von unterwegs den Herd abschalten kann; sogar die Gardinen gehorchen der Fernbedienung. "Mein Mann wollte das so", sagt Senta Humbach, 77. Aber dann starb er. Nun steht sie etwas verloren vor dem Steuerungs-Tablet an der Wand wie ein Flugschüler im Jumbo-Cockpit. Obendrauf ist die Telefonnummer von dem Techniker notiert, der ihr notfalls hilft, ihre Wohnung zu bedienen.

Das intelligente Haus braucht vollen Zugriff auf das Leben der Bewohner

In solchen Momenten kann man sich fragen, was so schlecht an Kippschaltern und Jalousien-Schnüren war. Aber wenn man die Energiewende will, dann wird man wohl auch solche Häuser akzeptieren müssen. Noch stammt zwar nur ein Viertel des Stroms aus erneuerbarer Energie. Es soll aber viel mehr werden, 80 Prozent grüner Strom sind bis 2050 geplant. Dann sollen sich auch die Menschen anpassen und Strom verbrauchen, wenn der Wind weht oder die Sonne scheint, also auch nachmittags und nachts. Und weniger, wenn er knapp ist. Das aber geht nur mit vernetzten Wohnungen - sogenannten Smart Homes wie dem Pilotbau in Hildesheim.

Denn dass sich Wohnungen per Handy fernbedienen lassen, dass das System bei älteren Bewohnern auf Wunsch per Funk den Herzschrittmacher überwachen oder im Notfall den Arzt alarmieren kann, ist nur ein Aspekt der Technik. Für die Energiewende viel wichtiger ist, was im Keller des Forschungshauses passiert. Das Projekt ist erst im Aufbau, vieles fehlt noch. Aber künftig soll von dort aus ein Rechner eine Menge Technik kontrollieren: Solaranlagen auf dem Dach, Wärme- und Batteriespeicher, Ladestationen für Elektroautos, die die Bewohner gemeinsam nutzen können, und ein Mini-Kraftwerk, das aus Biogas Strom und Wärme produziert.

Die Computerzentrale schickt dann tagsüber den Sonnenstrom auf die Steckdosen und lädt den Speicher für die Nacht auf. Ist der morgens wieder leer, schaltet sie das Blockheizkraftwerk an; wird es abends knapp, weil alle gleichzeitig Herd, Waschmaschine und Fernseher anschalten, zieht sie bei den Ladestationen für die Elektroautos den Stecker. Es ist eine Art künstliches Selbstversorgersystem, mit dem im Kleinen das Große ausprobiert werden soll: Wie kommt man damit zurecht, wenn die Stromversorgung Achterbahn fährt? Und was akzeptieren die Bewohner?

Denn das intelligente Haus funktioniert umso besser, je mehr Zugriff es auf das Leben in seinem Innern hat. Das Einverständnis, seinen Stromverbrauch komplett überwachen zu lassen, wird nicht jeder geben. Wo das die Bewohner mitmachen, kann die Maschine bei Engpässen sogar Tiefkühltruhen abschalten - nur so lange, dass die Temperatur unter dem Gefrierpunkt bleibt. Aber will man die eigene Kühltruhe fremdsteuern lassen? Oder die Waschmaschine, die nachts automatisch anspringen könnte, wenn viel Strom da ist - dann müsste man aber morgens die nassen Sachen aufhängen, damit sie nicht bis zum Abend in der Maschine liegen, für ein paar gesparte Cent auf der Stromrechnung.

In einer hellen Dachwohnung drei Treppen über Senta Humbach wohnt der 29-jährige Christian Kentler mit seiner Freundin, und im morgendlichen Stress Wäsche aufhängen ist ungefähr das Letzte, was ihm in den Sinn käme. Auch wenn die Spülmaschine läuft, ist er lieber dabei, sie ist ihm schon einmal übergelaufen. Und die Tiefkühltruhe, na ja: Die Temperatur müsse schon stimmen. Hier wohnt niemand, der sich von der Energiewende im Alltag herumpfuschen lassen will, das wird schnell klar. Aber die Wohnung findet er großartig, und die Technik nicht kompliziert, sondern praktisch. Mit ein paarmal Wischen auf dem Smartphone zeigt er, welche Fenster noch offen stehen, auf welche Temperatur die Heizung in jedem Raum eingestellt ist und wo das Licht brennt.

Datenschützer sehen die permanente Kontrolle des Energieverbrauchs kritisch

Datenschützern aber bereitet das Zahnschmerzen. Schließlich funktioniert das Ganze nur mit intelligenten Stromzählern, die jede Viertelstunde den Verbrauch erfassen und ans Handy oder an den Stromversorger melden können - statt der alten Drehzähler, die nur einmal im Jahr abgelesen werden. Was, wenn jemand sich ins System hackt? Oder wenn der Stromversorger die Profile seiner Kunden weiterverkauft, die verraten, wann jemand kommt und geht, ob er viel kocht und wann er Wäsche wäscht. Auch darum ist die seit 2010 geltende Vorschrift sehr umstritten, in allen Neubauten solche Zähler einzubauen, wenn nicht gleich das Hildesheimer Komplettpaket. Hinzu kommt: Auch wer mehr auf seinen Verbrauch achten will und Geräte nachts laufen lässt, wenn der Strom billiger ist, kann kaum mehr als dreißig Euro im Jahr sparen. Schon der Betrieb des Zählers kostet aber weit mehr.

Trotzdem meint Gerhard Stryi-Hipp: Es muss sein. "Wahrscheinlich wurden die Effekte überschätzt, was das kurzfristige Potenzial angeht. Aber langfristig wird die Anpassung des Verbrauchs an die Erzeugung ein wichtiger Baustein für ein sicheres Energiesystem sein", sagt der Physiker, der sich am Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme mit der künftigen Energieversorgung beschäftigt. Denn mit dem Stromangebot dürften künftig auch die Preise stärker schwanken, und dann sieht die Sache schon anders aus. "Dafür müssen aber neue Geschäftsmodelle und Rahmenbedingungen entwickelt werden", sagt Stryi-Hipp. Schon heute lohnt es sich für Energieversorger, mit Firmen auszumachen, dass sie bei knappem Strom Maschinen abschalten, und dafür einen Nachlass bei der Stromrechnung bekommen. Das könnte auch mit Haushalten funktionieren, wenn man viele intelligente Gebäude zusammennimmt, deren Verbrauch und Stromerzeugung sich regeln lassen - in der intelligenten Stadt der Zukunft.

Senta Humbach hätte allen Grund, frustriert von einer Wohnung zu sein, in der man auf Anhieb nicht mal das Licht im Bad anbekommt, weil das Licht-Schaltpult an der Wand so komplex ist. Ist sie aber nicht. Sie fühle sich sauwohl, "komischerweise", wie sie sagt. Sie will jetzt sogar einen Computerkurs machen. Auch, damit sie ihre Wohnung irgendwann mal im Griff hat.

© SZ vom 24.06.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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