Biologie:Hihihihihihi

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Wahrscheinlich fällt dieser Affe vor Lachen bald vom Ast. Trotzdem scheint er das Kitzeln zu genießen.

(Foto: Science Source/Getty Images)

Kitzeln ist schön und schrecklich zugleich. Das gilt für Menschen und für Tiere. Aber warum hat die Natur diese Spielerei überhaupt erfunden?

Von Tina Baier

Wenn Schimpansen gekitzelt werden, lachen sie wie Ernie aus der Sesamstraße. Gorillas reagieren mit Gezirpe, das fast so klingt wie Vogelgezwitscher. Bonobos keckern, und Orang-Utans grunzen. Dass nicht nur Menschen kitzlig sind, sondern auch Tiere, hat schon Charles Darwin, der Begründer der Evolutionstheorie, beobachtet. Doch bis heute ist Wissenschaftlern das merkwürdige Verhalten von Kitzelopfern - egal ob Mensch oder Tier - weitgehend unerklärlich.

Was soll das unkontrollierte Gelächter, bei dem sämtliche Körpermuskeln wackeln und ihre Spannung verlieren? Warum ist Kitzeln schön und schrecklich zugleich? Seltsamerweise machen Gekitzelte nämlich während sie lachen heftige Abwehrbewegungen und haben oft einen gequälten Gesichtsausdruck. Und warum funktioniert Kitzeln nur, wenn alle Beteiligten gute Laune haben? "The mind must be in a pleasurable condition", schrieb Darwin in seinem 1872 veröffentlichten Buch "Der Ausdruck der Gemütsbewegungen beim Menschen und den Tieren".

Ratten lachen im Ultraschallbereich

Das gilt nicht nur für Menschen, sondern auch für Ratten, wie zwei Biologen von der Humboldt-Universität in Berlin kürzlich entdeckt haben. Ihre Experimente, die in der Fachzeitschrift Science veröffentlicht worden sind, zeigen, dass die Tiere nur lachen, wenn sie entspannt sind und keine Angst haben. Zu Beginn wiederholten Michael Brecht und Shimpei Ishiyama ein Experiment des amerikanischen Psychologen Jaak Panksepp, der als Erster entdeckt hatte, dass Ratten sich schier kaputtlachen, wenn sie gekitzelt werden - allerdings in einem für Menschen nicht hörbaren Ultraschallbereich von 50 Kilohertz.

Brecht und Ishiyama kitzelten ihre Laborratten an verschiedenen Körperstellen und nahmen dabei die Ultraschallrufe der Tiere auf. "Am meisten mussten die Ratten lachen, wenn sie am Bauch gekitzelt wurden", sagt Michael Brecht. Auch am Rücken waren die Tiere kitzlig. Am Schwanz dagegen überhaupt nicht. Das Gekitzeltwerden gefiel den Ratten so gut, dass sie immer wieder große Freudensprünge machten, begleitet von lautem 50-Kilohertz-Gelächter. Sobald Ishiyama aufhörte, jagten die Tiere seiner Hand hinterher. Es wirkte wie eine Aufforderung weiterzumachen.

Überhaupt nicht lustig fanden die Ratten das Kitzelspiel dagegen, wenn sie - angestrahlt von zwei starken Lampen - auf einem knapp 30 Zentimeter hohen Podest saßen: für Ratten eine äußerst unangenehme Situation, die ihnen Angst macht. Ishiyama konnte kitzeln soviel er wollte - am Bauch, am Rücken - die Ratten gaben keinen Ton von sich. "Offenbar müssen Ratten genau wie Menschen gute Laune haben, damit das Kitzeln funktioniert", sagt Brecht.

Der Wissenschaftler hat noch weitere Parallelen entdeckt. Sowohl Ratten als auch Menschen sind am Bauch besonders kitzlig. Und wie beim Menschen gibt es auch bei den Tieren Individuen, die schon bei der leichtesten Berührung losprusten, während anderen trotz ausgiebiger Kitzelbemühungen kaum ein Ton zu entlocken ist. "Mit manchen Tieren haben wir aufgehört zu arbeiten, weil sie einfach nicht kitzlig waren", sagt Brecht. Grundsätzlich sind sowohl Ratten- als auch Menschenkinder kitzliger als Erwachsene. Die vielen Parallelen seien ein Hinweis darauf, dass Kitzligkeit schon früh in der Evolution entstanden ist", sagt Michael Brecht.

Welchen evolutionären Vorteil hat es, kitzlig zu sein?

Die Frage ist nur: Warum? Welchen evolutionären Vorteil hat es, kitzlig zu sein? Eine Theorie ist, dass dadurch verwundbare Körperregionen im Kampf automatisch besser geschützt werden. Dazu passt, dass die empfindliche Bauchregion besonders kitzlig ist. Auch die Abwehrbewegungen der Kitzelopfer ergeben in diesem Zusammenhang Sinn. Unlogisch ist dagegen, dass die Hände, die ja in solchen Kämpfen stark exponiert sind, nicht kitzlig sind, die Füße dagegen schon, obwohl sie eigentlich wenig gefährdet sind. Auch das explosionsartige Lachen kann so nicht erklärt werden.

Das könnte eine andere Theorie, wonach das gemeinsame Lachen bei Kitzelspielen eine soziale Funktion hat und zum Beispiel die Bindung zwischen Eltern und Kindern stärkt. Ein Anhänger dieser Erklärung ist der amerikanische Neurologe Robert R. Provine: "Für Kleinkinder, die noch nicht sprechen können, sind Kitzeln und das dazugehörige Lachen eine gelungene Einführung in soziale Beziehungen", schreibt er in seinem Buch "Laughter, a scientific investigation". Doch warum ruft Kitzeln dann Abwehrreaktionen hervor, und warum finden viele Menschen Gekitzeltwerden extrem unangenehm?

Eine dritte Theorie besagt, dass Kitzelspiele eine Art Trainingsprogramm für den harten Kampf ums Überleben sind. Das Lachen soll den Kitzelangreifer motivieren weiterzumachen, obwohl das Opfer zappelt und sich windet. Die negativen Gefühle, die der Gekitzelte hat - obwohl er lacht - bewirken, dass er wichtige Abwehrtechniken lernt.

Lachen gab es lange vor den Menschen

Klar ist, dass das Kitzellachen keine Erfindung des Menschen ist. Das hat Elke Zimmermann von der Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover gemeinsam mit ihrer damaligen Doktorandin Marina Davila Ross herausgefunden, indem sie das Gelächter verschiedener Affenarten miteinander verglichen hat. Demnach muss das Gekicher entstanden sein, lange bevor sich der Mensch von der Affenlinie abgespalten hat. "Wir konnten das ursprüngliche Lachen bis zum letzten gemeinsamen Vorfahr von Mensch und Menschenaffen zurückverfolgen", sagt Zimmermann.

Sie und Davila Ross haben die Töne aufgenommen, die sieben Orang-Utans, fünf Gorillas, vier Schimpansen, fünf Bonobos, ein Siamang und drei Menschenkinder machten, während sie von ihren Pflegern beziehungsweise Eltern gründlich durchgekitzelt wurden. Als die Zoologinnen das Hecheln, Zirpen, Keckern und Grunzen der Affen mit dem Lachen der Kinder verglichen, fanden sie viele akustische Ähnlichkeiten. "Wir haben aus etwa 800 Aufnahmen einen Lautstammbaum aufgestellt und herausgefunden, dass er dieselben Verästelungen hat, wie der genetische Stammbaum", sagt Zimmermann. "Der gemeinsame Vorfahr muss also bereits eine Kitzelvokalisation gehabt haben."

kitzliger Affe

Ein Affe wird gekitzelt.

(Foto: Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover)

Bei Babys bis acht Monaten nutzt kitzeln nichts

Ebenfalls wenig erforscht sind die neuronalen Mechanismen der Kitzligkeit. Es ist nicht einmal bekannt, ob die Schmerzrezeptoren der Haut, die Tastrezeptoren oder beide gemeinsam den Kitzelreiz aufnehmen und weiterleiten. Die Dichte der Rezeptoren sagt jedenfalls nichts darüber aus, wie kitzlig eine Körperstelle ist: Zum Beispiel gibt es an den Fingerkuppen mehr Rezeptoren als auf den Fußsohlen. Trotzdem sind die meisten Menschen an den Füßen kitzliger. Auch die Tatsache, dass Patienten, die keinen Schmerz empfinden, durchaus kitzlig sein können, spricht dafür, dass der Reiz auf verschiedenen Wegen an das Gehirn weitergeleitet wird.

Bei Neugeborenen scheinen diese Mechanismen noch nicht zu funktionieren: Bis zu einem Alter von etwa sieben bis acht Monaten kann man Babys kitzeln soviel man will: Sie lachen nicht. Und das, obwohl sie sich schon mit etwa vier Monaten über viele andere Dinge köstlich amüsieren. Das Guguck-Spiel zum Beispiel, bei dem Mutter oder Vater ihr Gesicht verstecken und es dann plötzlich wieder auftauchen lassen, bringt Babys in diesem Alter schon zum Lachen. Kitzeln nicht.

Nur Menschen und Affen kitzeln sich gegenseitig

Was passiert, wenn der Reiz im Gehirn ankommt, haben die Berliner Rattenkitzler Brecht und Ishiyama jetzt herausgefunden. Demnach gibt es zumindest im Gehirn von Ratten kitzlige Stellen, genauer gesagt Zellen, die besonders stark auf diese Art von Berührung reagieren. Sie befinden sich im sogenannten somatosensorischen Kortex, in dem auch Tastempfindungen verarbeitet werden. Diese Zellen sind nicht nur besonders aktiv, wenn die Tiere gekitzelt werden, das Ganze funktioniert auch umgekehrt. Als die Forscher die Kitzelzellen elektrisch reizten, stießen die Ratten ihr 50-Kilohertz-Gelächter aus, ohne dass irgendjemand sie berührte. Waren die Tiere ängstlich, konnte das Kitzellachen nicht künstlich aktiviert werden.

Doch ist die Kitzligkeit von Ratten, Pferden - die ebenfalls zusammenzucken, wenn man sie an ihren kitzligen Stellen berührt - und vielen anderen Tieren vergleichbar mit der von Primaten? Es gibt einen entscheidenden Unterschied: Menschen und Affen kitzeln sich gegenseitig. In der Welt der meisten anderen Tiere kommt diese merkwürdige Art der Berührung dagegen natürlicherweise nicht vor.

Trotz dieses Unterschieds sind viele Forscher der Ansicht, dass Kitzligkeit sowohl bei Tieren als auch beim Menschen lediglich eine Art komplexer Reflex ist. "Möglicherweise hat das Lachen beim Kitzeln genauso wenig mit Fröhlichkeit zu tun, wie das Weinen beim Zwiebelschneiden mit Traurigkeit", schreibt etwa die amerikanische Kitzelforscherin Christine R. Harris. Dass man die Reaktion anders als die meisten anderen Reflexe wie etwa den Kniesehnenreflex nicht bei sich selbst auslösen kann, ist ihrer Ansicht nach kein Gegenargument. Schließlich sei es auch nicht möglich, sich selbst zu erschrecken.

"Ich hab dich lieb, aber lass mich jetzt mal in Ruhe."

Die Sichtweise, dass die seltsame Kitzelreaktion eine Art angeborener Reflex ist, wird durch ein gruseliges Experiment gestützt, dass der amerikanische Psychologe Clarence Leuba in den 1940er-Jahren mit zwei seiner eigenen Kindern gemacht hat. Von ihrer Geburt an kitzelte er beide Babys, ohne selbst je Emotionen zu zeigen. Dabei trug er eine Maske vor dem Gesicht, um zu verhindern, dass die Kinder das Gekitzel irgendwie mit Lachen und guter Laune in Verbindung bringen konnten. Obwohl sie sich diese Reaktion also nirgends abschauen konnten, reagierten beide Babys mit Gekicher und Gegluckse, sobald sie etwa sieben Monate alt waren.

Der Bremer Lachforscher Rainer Stollmann hat eine ganz andere Erklärung. Er ist überzeugt, dass Kitzligkeit zumindest bei Menschen und Affen etwas viel Komplexeres ist als ein bloßer Reflex. Erst die höheren Affen hätten das "echte" Kitzeln erfunden, sagt er. Genauer gesagt, eine Mutter in grauer Vorzeit beim Abstillen ihres Babys. Das Kind will trinken. Die Mutter will aber nicht mehr stillen. Sie schleudert ihr Kind aber nicht einfach weg, wie es beispielsweise eine Löwenmutter in dieser Situation tut. Stattdessen sucht sie eine Möglichkeit, dem Kind freundlich klarzumachen, dass jetzt Schluss ist - und fängt an zu kitzeln. Damit signalisiere sie: "Ich hab dich lieb, aber lass mich jetzt mal in Ruhe", sagt Stollmann.

Das Kind empfindet Liebe und Aggression zugleich; es will hin zur Mutter, aber auch weg von der unangenehmen Kitzelei. "Diese zwiespältigen Gefühle führen zu einer Art Explosion, bei der das Kind in unkontrolliertes Gelächter ausbricht", sagt Stollmann. Er ist überzeugt, dass auf diese Weise das erste menschliche Gelächter entstanden ist. "Kitzellachen ist das Urlachen", sagt er. Das humorvolle Lachen, etwa über einen Witz, sei erst später entstanden.

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