Artenschutz:Spatz in Not

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Während prächtige Tiere wie Adler und Storch von Schutzprogrammen profitieren, werden scheinbare Allerweltsvögel in Deutschland seltener.

Robert Lücke

Seit gut 30 Jahren gibt es eine europaweit geltende Vogelschutzrichtlinie. Eigentlich soll sie alle wildlebenden Arten schützen. Doch die Bestimmung hat vor allem prominenten Tieren geholfen: Seeadler, Uhu, Kranich, Wanderfalke, Schwarz- und Weißstorch sind in Deutschland wieder öfter zu beobachten als einst. Weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit sind gleichzeitig die Bestände der weniger auffälligen, einst allgegenwärtigen Vogelarten dramatisch eingebrochen. Allerweltsvögel wie Spatz oder Lerche werden immer seltener.

So gibt es in ganz Deutschland nur noch etwa drei Millionen Brutpaare der Feldlerche. Das sind 30 bis 50 Prozent weniger als noch vor 25 Jahren. Beim Rebhuhn hat sich der Bestand in manchen Regionen Deutschlands halbiert, die Zahl der Kiebitze ist um rund 70 Prozent eingebrochen, und auch bei anderen Wiesenvögeln wie Uferschnepfe, Wiesenpieper oder dem Braunkehlchen sieht es schlecht aus.

Selbst der umgangssprachlich Spatz genannte Haussperling steht seit diesem Jahr auf der "Vorwarnliste" der Roten Liste bedrohter Arten. Je nach Schätzung gibt es in Deutschland nur noch zwischen sechs und elf Millionen Haussperlinge, vor 200 Jahren waren es noch zehnmal so viele. Ähnlich ist es bei der Rauchschwalbe, die früher zu jedem Bauernhof gehörte. Von 260 Vogelarten in Deutschland gelten 110 als ausgestorben, vom Aussterben bedroht, stark gefährdet, gefährdet oder lokal sehr selten.

"Insbesondere in den vergangenen zwei Jahrzehnten hat sich ein großer Wandel in der deutschen Landwirtschaft vollzogen", sagt Hans-Günther Bauer von der Vogelwarte Radolfzell am Bodensee, die zum Max-Planck-Institut für Ornithologie gehört. "Es wird mit einer noch bis vor kurzem unvorstellbaren Intensität geackert, mit modernster Technik, Düngemitteln, Insektiziden und Herbiziden. Der landwirtschaftliche Ertrag hat sich trotz gleichbleibender Fläche enorm gesteigert. Verlierer sind die Tiere, die dort leben." Wo sich früher Wiesen und Hecken, kleine Gehölze und Getreidefelder abwechselten, stehen heute einzelne mehrere Hektar große Rapsfelder.

Für viele Bauern ist der Anbau von Raps zur Erzeugung von Strom oder Biodiesel lohnender als die traditionelle Landwirtschaft. Die Vogelarten, die in den unterschiedlichen Vegetationstypen Nahrung und Nistplätze fanden, können in dem zum Erntezeitpunkt anderthalb Meter hohen Raps nicht überleben. Inzwischen sind zwölf Prozent der gesamten deutschen Ackerfläche mit Raps bepflanzt. Der Raps, der meist schon im Herbst gesät wird, schießt genau dann meterhoch in die Höhe, wenn die meisten Vogelarten brüten: im Frühjahr. "Eine Feldlerche aber braucht eine nur locker und nicht zu hoch bewachsene Fläche, um ihr Bodennest anzulegen. Im Raps hat sie keine Chance", sagt Bernd Jellinghaus vom Naturschutzbund Deutschland Nabu.

Ähnlich ist es beim Mais. Die hohen Pflanzen stehen dicht an dicht, so dass kaum noch ein Lichtstrahl bis zum Boden durchdringt. Ackerkräuter und damit auch Vögel finden in einer solchen Agrarsteppe keinen Raum mehr zum Leben. Allein im Jahr 2008 wuchs die mit Mais bepflanzte Fläche in Deutschland um 11,4 Prozent.

Ein großes Problem sind auch die veränderten Anbaupraktiken beim Wintergetreide. Ließ der Bauer einst ein Stoppelfeld den Winter über stehen, worin Vögel Schutz und Nahrung fanden, wird es heute kurz nach der Ernte im Spätsommer umgepflügt und gleich neu besät. Bereits im Oktober stehen dort dann wieder fünf bis zehn Zentimeter hohe Austriebe der Wintergerste. "Damit kann kein Vogel etwas anfangen", sagt der Biologe Bauer. "Wenn etwa der Kiebitz, der am Boden brütet, sein Nest in der Wintergerste anlegt, und diese wird zu zeitig geerntet, sind die Eier hin."

Dazu kommt, dass auch die gesamte landwirtschaftliche Infrastruktur modernisiert wurde. Früher waren Feldwege meist nicht befestigt, heute sind sie oft komplett zubetoniert. Der Spatz aber braucht freie Bodenflächen, um Staubbäder zu nehmen und so sein Gefieder von Parasiten zu reinigen. Andere Vögel picken an freien Erdflächen nach Insekten und Würmern, Schnecken und Sämereien. "Ist alles zugepflastert und versiegelt, haben die Vögel keine Chance", sagt Markus Nipkow, Biologe beim Nabu.

Zudem arbeiten die Bauern heute viel sorgfältiger und genauer, sagt Hans-Günther Bauer. "Früher fielen bei der Ernte immer wieder beträchtliche Mengen Getreidekörner durchs Raster oder vom Erntewägelchen und blieben liegen, wo sie von Vögeln gefressen wurden." Heute sei dagegen alles sauber und aufgeräumt, "da hungert der Vogel". Dazu kommt, dass es in Deutschland nach Ansicht von Vogelschützern zu viele Füchse gibt. "Solange die Tollwut derart eingedämmt wird, werden wir zu viele Füchse haben, und sie fressen die Gelege der Bodenbrüter auf", sagt Bauer.

In der Europäischen Union gibt es heute zwar 738 Vogelschutzgebiete. Trotzdem fehlt den meisten Menschen das Bewusstsein, dass nicht nur auffällige Arten wie Adler oder Storch geschützt werden müssen, sondern auch Spatz und Lerche. "Einen Wald zu sperren, weil darin ein Adler oder Kranich brütet, das verstehen die Menschen und finden es oft auch gut", sagt Bauer. Aber wie soll man die ganze Praxis der Landwirtschaft verändern? "Das ist viel schwieriger. Die Landwirtschaftminister der Länder müssten dafür sensibilisiert werden und darauf achten, dass zumindest in Teilen noch eine naturnahe Landschaft bestehen bleibt", sagt Bauer. Die wenigen Brachflächen, die es überhaupt noch gibt, werden dann auch noch von erholungssuchende Städtern genutzt, um Hunde auszuführen, Modellflugzeuge fliegen zu lassen oder zu picknicken.

"Der Artenschutz ist in den Agrarprogrammen nicht angekommen", sagt Bernd Jellinghaus. Vielleicht haben sich auch die Naturschutzverbände zu lange nicht um die weniger prominenten Arten gekümmert. Um sie zu erhalten, müsste die Landwirtschaft zumindest teilweise wieder umgestellt werden: hin zur extensiven Bewirtschaftung. Es müsste mehr Brachflächen geben, mehr und breitere Ackerrandstreifen und offene Flächen inmitten der Feldflur.

Noch immer werden Feuchtwiesen trockengelegt oder in Mais- und Rapsfelder umgewandelt, und wo früher Kühe weideten, stehen heute Weizen und Gerste. Dabei zogen die Kühe Unmengen von Insekten und andere Kleinlebewesen an, von denen die Vögel sich und ihre Brut ernähren konnten. Da die Kühe aber heute immer öfter das ganze Jahr hindurch im Stall stehen, haben die Vögel weniger Nahrung.

Auch im Stall hat sich vieles gewandelt. In alten Stallungen gab es genug Nischen und Ritzen zum Nisten und offen stehende oder kaputte Fenster, durch die Rauchschwalben einfliegen konnten. Heute sind alle Löcher und Ritzen zu und die Rauchschwalbe kommt nicht mehr hinein. Ihre nahe Verwandte, die Mehlschwalbe, die unter Dächern und an Hauswänden ihre Nester anbringt, hat es nicht leichter. Viele Bauern wollen saubere Fassaden ohne Schwalbenester. Außerdem gebe es für die Schwalben kein Nistmaterial mehr, sagt Jellinghaus. "In welchem modernen Hof gibt es denn noch eine ungepflasterte Ecke mit Pfützen, wo die Tiere Schlamm und Erde für den Nestbau aufnehmen können?" Die Wärmedämmung der Gebäude werde auch auf dem Land immer perfekter, das Nachsehen haben Vögel wie Mehlschwalben oder Mauersegler, die unter Dächern brüten. Dabei gebe es längst Möglichkeiten, Gebäude energiesparend zu modernisieren, und darin trotzdem Nisthilfen einzubauen. "Der Nabu berät Architekten und Bauherrn hier auf Wunsch", sagt Jellinghaus.

Auch auf dem Feld gibt es Möglichkeiten, den gefährdeten Arten zu helfen. Der Nabu hat zusammen mit dem Deutschen Bauernverband das Schutzprogramm "1000 Äcker für die Feldlerche" entwickelt. Landwirte sollen demnach beim Säen von Wintergetreide ein paar Meter Feld frei lassen, damit die Tiere in diesen "Lerchenfenstern" im Frühling ihre Nester bauen können. Sehr hilfreich sei auch der Vertragsnaturschutz, bei der sich Bauern mit Hilfe von Geld aus Strukturförderfonds der Europäischen Union um besonders schützenswerte Flächen kümmern und der Natur dort den Vortritt lassen. Bestimmte Gebiete können sogar mehrjährig unter Schutz gestellt werden.

Ein Beispiel ist die Eider-Treene-Niederung im Westen Schleswig-Holsteins. Dort wurden durch Finanzmittel der Deutschen Wildtier-Stiftung die Reviere von Wiesenvögeln unter Schutz gestellt. Während der Brutzeit der Vögel wurde das Gebiet nicht gedüngt, gewalzt oder gepflügt. Wenn Kiebitze und Schnepfen spät brüteten, wurde der Mähtermin nach hinten verschoben. Die Bauern bekamen dafür Ausgleichzahlungen, und sobald die Vögel weggeflogen waren, konnten die Landwirte normal weiterwirtschaften.

© SZ vom 30.03.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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