Tarifeinheitsgesetz:Wie es nach dem Urteil zum Tarifeinheitsgesetz weitergeht

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Bei der Deutschen Bahn ist bis mindestens Ende 2018 Ruhe an der Tariffront eingekehrt (Foto: dpa)

Wird künftig weniger gestreikt? Oder sogar mehr? Und wem nützt das Gesetz wirklich? Alle wichtigen Fragen und Antworten.

Von Thomas Öchsner, Berlin

Für Millionen Bürger gibt es nach dem prinzipiellen Ja des Bundesverfassungsgerichts zur Tarifeinheit jetzt vor allem eine Frage: Wird in Zukunft mehr oder weniger gestreikt? Kann die Lokführergewerkschaft GDL oder die Pilotengewerkschaft Cockpit wieder den Verkehr auf der Schiene oder in der Luft tagelang lahmlegen? Oder sind die kleinen Berufsgewerkschaften nun an die Kette gelegt? Eine klare Antwort gibt es darauf noch nicht. Dafür lässt das Grundsatzurteil zu viele Fragen offen. Sicher aber ist: Große Arbeitskämpfe von Spartengewerkschaften sind in nächster Zeit nicht zu erwarten, vorerst jedenfalls.

Bei der Deutschen Bahn ist bis mindestens Ende 2018 Ruhe an der Tariffront eingekehrt. Die GDL hatte sich nach einer gut achtwöchigen Schlichtung im März 2017 mit der Bahn auf höhere Löhne und verbesserte Arbeitszeiten für etwa 34 000 Lokführer, Zugbegleiter und Mitarbeiter der Bordrestaurants geeinigt. Gleichzeitig konnten die Mitarbeiter erstmals wählen, ob sie mehr Lohn oder mehr Urlaub haben wollen. Das Tarifwerk orientiert sich weitgehend an dem Abschluss, den die Bahn bereits mit der größeren Eisenbahnergewerkschaft, der EVG, ausgehandelt hatte. Streiks wird es deshalb bei der Bahn in den nächsten eineinhalb Jahren nicht geben. Wie es danach weitergeht und welche Rolle die GDL dann spielen könnte, wird davon abhängen, wie und ob GDL und EVG künftig zusammenarbeiten. Bahn-Personalvorstand Ulrich Weber hat bereits angekündigt, mit beiden Gewerkschaften "über die künftige Zusammenarbeit im Sinne des Urteils" sprechen zu wollen.

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Gleichzeitig wird bei den nächsten Tarifgesprächen der Bahn zu berücksichtigen sein, wie das Gesetz zur Tarifeinheit dann aussehen wird. Das Bundesverfassungsgericht hatte in seinem Urteil im Prinzip gebilligt, dass, wie in dem Gesetz geregelt, bei konkurrierenden Tarifverträgen in einem Betrieb allein der Abschluss mit der mitgliederstärksten Gewerkschaft gilt. Allerdings muss der Gesetzgeber den Schutz kleiner Spartengewerkschaften bis Ende 2018 nachbessern, damit deren Interessen "nicht einseitig vernachlässigt" und dem Gesetz "Schärfen genommen werden". GDL-Chef Claus Weselsky, der 2015 die längsten Streiks in der Geschichte der Bahn initiiert hatte, fürchtet deshalb nicht um seine Gewerkschaft: "Die nächsten 150 Jahre sind bei uns gesichert", sagte er nach der Verkündung des Urteils. Auch der Chef der Ärztegewerkschaft Marburger Bund, Rudolf Henke, fühlt sich nach dem Karlsruher Richterspruch ermutigt, in den Klinikbetrieben weiter "als eigenständige Gewerkschaft Tarifverträge mit Arbeitgebern abzuschließen".

Auch bei der Lufthansa gehen die Verhandlungen mit Spartengewerkschaften weiter. Bei den Flugbegleitern gibt es derzeit einen Tarifkonflikt der Flugbegleitergewerkschaft Ufo mit dem Lufthansa-Billigableger Eurowings. Hier soll der ehemalige Berliner Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) schlichten, zumindest solange wird es keine Streiks geben.

Bei den Piloten hatte die viel größere Dienstleistungsgewerkschaft Verdi bislang stets erklärt, die Tarifverhandlungen für die Flugkapitäne deren Gewerkschaft Cockpit zu überlassen, weil die Piloten ohnehin überwiegend bei Cockpit organisiert sind. Hier gibt es seit Jahren Tarifkonflikte. In den fünf Jahre langen Auseinandersetzungen haben die Piloten an 29 Tagen gestreikt, knapp 15 000 Flüge fielen aus. Die Fluggesellschaft und die Cockpit einigten sich aber im März 2017 auf die Grundzüge eines Kompromisses, der ihren Tarifkonflikt beenden soll. Allerdings sind bis Ende des Jahres noch umstrittene Punkte zu klären, die Verträge sind noch nicht unterschrieben. Hinzu kommt: Jüngere Flugzeugführer wehren sich gegen den Kompromiss, weil das erzielbare Einkommen von Berufseinsteigern mit der geplanten Neuregelung dann deutlich unter dem der heutigen Pilotengeneration liegen wird. Es könnte also noch einmal Ärger geben.

Angst vor einem "Arbeitskampfverbot für Kleingewerkschaften"

Nur, was ist, wenn Spartengewerkschaften wieder streiken? Dürfen sie das dann überhaupt? Das Gesetz zur Tarifeinheit regelt nicht das Arbeitskampfrecht, aber es greift indirekt darin ein: Schon immer mussten Arbeitskämpfe "verhältnismäßig" bleiben. Aber sind sie das auch dann noch, wenn eine Minderheitsgewerkschaft einen Streik organisiert, obwohl sie laut Tarifeinheitsgesetz gar kein Recht mehr auf einen eigenen Tarifvertrag haben? Genau deswegen lehnten die Spartengewerkschaft das Gesetz ja ab. Sie fürchteten ein "Arbeitskampfverbot für Kleingewerkschaften".

Das Bundesverfassungsgericht stellt nun zumindest das klar: Das Streikrecht der kleinen Gewerkschaften bleibt bestehen. Die Unsicherheit, ob mit dem Streik ein Tarifvertrag durchgesetzt werden kann oder nicht, begründe kein Haftungsrisiko einer Gewerkschaft, stellten die Karlsruher Richter fest. GDL-Chef Claus Weselsky sagt deshalb: "Unser Streikrecht wird nicht eingeschränkt." Damit könne auch nicht per Gesetz die Existenz der Spartengewerkschaften zerstört werden. Ärzte-Gewerkschaftschef Henke sieht das genauso: Mit dem Urteil seien "viele Blütenträume mancher Arbeitgeber kaputt".

Weitgehend einig sind sich die Beobachter auch über eine andere Folge des Urteils: Für die Arbeitsgerichte wird es in Zukunft mehr Arbeit geben. Andrea Kocsis, stellvertretende ver.di-Vorsitzende, sagt: "Die Lösung von Tarifkonflikten überlässt das Gericht den Arbeitsgerichten." Dabei stelle sich aber die Frage: Wie soll ein Arbeitsgericht feststellen, ob die Minderheit in einem Mehrheitstarifvertrag ausreichend berücksichtigt wurde? Auch die Vorgaben an den Gesetzgeber, Minderheitsinteressen stärker zu gewichten, bleibe unklar. Kocsis warnt daher: "Uneinheitliche Urteile und unzählige Prozesse drohen zu jahrelanger Rechtsunsicherheit zu führen."

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