Streit um Euro-Finanzgeschäfte:Angriff auf die Londoner City

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Noyer verglich die Lage mit den USA: Auch außerhalb der USA würde mit Dollar gehandelt, aber New York bliebe Dollar-Finanzplatz Nummer eins. (Foto: Bloomberg)

Ganz oder gar nicht. Frankreichs Notenbankchef Noyer giftet gegen die britische Ablehnung des Euro: Wenn Großbritannien der Gemeinschaftwährung schon nicht beitrete, solle London auch nicht mehr der führende Handelsplatz für Euro-Finanzgeschäfte sein. Für die Briten ein Affront.

Von Cerstin Gammelin, Brüssel, und Andrea Rexer, Frankfurt

Briten haben einen skurrilen Humor und pflegen Obsessionen. In diese Kategorie schien die ständige Furcht zu fallen, der Finanzplatz London ("City") könnte durch Regulierungsnormen aus Brüssel gefährdet werden. Egal, ob es um die Einführung einer Umsatzsteuer auf Finanzgeschäfte, das Austrocknen von Steueroasen oder verschärfte Eigenkapitalvorschriften ging - stets opponierte London. Es vermutete insgeheim, die Europäer wollten dem Finanzplatz schaden.

Jetzt zeigt eine verbale Attacke des französischen Notenbankchefs Christian Noyer, dass die Briten wohl nicht ganz falsch lagen. Das Mitglied des Rats der Europäischen Zentralbank (EZB) sagte am Rand einer Konferenz in Tokio, es gebe keinen Grund dafür, dass London die führende Rolle bei Finanzgeschäften in der Gemeinschaftswährung spiele.

Konsequenz aus britischer Euro-Abstinenz

"Wir sind nicht dagegen, dass Geschäfte in London getätigt werden, aber der Großteil der Geschäfte sollte unter unserer Kontrolle sein", ergänzte der wichtige Euro-Banker im Gespräch mit der Financial Times. Das sei eine Konsequenz aus der britischen Entscheidung, außerhalb der Währungsunion zu bleiben. Noyer verglich die Lage mit den USA: Auch außerhalb der USA würde mit Dollar gehandelt, aber New York bliebe Dollar-Finanzplatz Nummer eins.

Im vorigen Jahr hatte die EZB bereits versucht, den Finanzplätzen innerhalb der Euro-Zone zu mehr Gewicht zu verhelfen. In einem im Juni 2011 veröffentlichten Papier pochte die Zentralbank darauf, dass die zentrale Verrechnung von Euro-Wertpapieren, die täglich über Börsen geschleust oder über Banken direkt gehandelt werden, großteils innerhalb der Währungsunion vorgenommen werden soll.

Regierung erwägte Klage vor dem Europäischen Gerichtshof

Ein Affront: Das größte Clearinghaus Europas, das diese Verrechnungen vornimmt, sitzt in London. Die britische Regierung wollte deswegen sogar gegen die EZB beim Europäischen Gerichtshof klagen. Eine Entscheidung sei noch nicht gefallen, heißt es aus der EZB. Die Briten argumentierten, ein solches Vorhaben würde die Regeln des Binnenmarktes verletzen. Noyers Aussage in Tokio geht jedoch über dieses EZB-Papier hinaus - denn er bezog sich nicht nur auf das Clearing, sondern auf den gesamten Finanzstandort.

Der britische Wirtschaftsminister Vince Cable reagierte verstimmt auf die Forderung des Franzosen: "Das steht so ziemlich im Widerspruch zu dem, was ernsthafte französische Banker sagen, nach deren Auffassung ein starkes britisches Finanzzentrum gut für Europa ist." Und: "Wir wollen im Bereich der Finanzdienstleistungen teilhaben am europäischen Binnenmarkt und nach unserer Auffassung gehört die City auch dazu."

In Brüssel hieß es in britischen Diplomatenkreisen, die Äußerungen seien "ein wirkliches Geschenk". Sie zeigten, "dass wir nicht ohne Grund in Sorge sind". London werte die Forderung Noyers, Paris zum Euro-Finanzplatz auszubauen, als Angriff auf den gemeinsamen Markt. Noyer habe klar gesprochen, hieß es. "Sie wollen die Regulierung nutzen, um den Binnenmarkt zu unterminieren."

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Andrea Rexer, Frankfurt

Ähnlich argumentieren Finanzexperten. Denn ohne die Regeln des Binnenmarkts zu verletzen, lässt sich die Drohung von Noyer nicht umsetzen. "Letzten Endes müsste man Kapitalverkehrskontrollen einführen", sagt Christoph Kaserer, der an der TU München einen Lehrstuhl zum Thema Kapitalmärkte inne hat. Denn man müsste den Marktteilnehmern verbieten, Geschäfte aus London heraus zu machen ein klarer Eingriff in das geltende Recht des freien Kapitalverkehrs. "Das wäre eine Kehrtwende gegenüber allen Anstrengungen der letzten 30 Jahre", so Kaserer.

London ist seit Jahrhunderten das finanzielle Zentrum Europas. Das könne man nicht von heute auf morgen verändern, meint Bankenprofessor Hans-Peter Burghof von der Universität Hohenheim: "Die Aussage von Noyer zeigt, dass Politiker den Markt mit einem Wunschkonzert verwechseln."

40 Prozent der Euro-Geschäfte laufen über London

Derzeit werden rund 40 Prozent der weltweiten Euro-Geschäfte in London abgewickelt. Bisher hat die europäische Regulierung das sogar noch verstärkt. Gerade im Wertpapierbereich hat man das Monopol der einzelnen Börsen aufgelöst und über eine europäische Regulierung (Mifid) den Wettbewerb der einzelnen Handelsplätze zugelassen. In der Folge wurden zahlreiche private Börsenplattformen gegründet - viele davon haben ihren Sitz in London.

"Um Noyers Drohung wahr werden zu lassen, muss die Euro-Zone entweder gewaltsam oder attraktiver werden", sagt Bankenprofessor Burghof. Wenn man nicht den Binnenmarkt abschaffen wolle oder Großbritannien aus der EU werfen wolle, dann sei die einzige Alternative, den Handel an den Finanzplätzen innerhalb der Eurozone über attraktivere Regulierung an sich zu binden. "Aber mit Dingen wie der Transaktionssteuer macht Europa dafür nicht gerade Werbung", so Burghof.

EU-Diplomaten zufolge dürfte Noyer mit Blick auf die geplante zentrale Aufsicht für Banken der Euro-Zone für Paris als Finanzplatz geworben haben. An diesem Dienstag beraten die EU-Finanzminister über Details der ab Januar geplanten zentralen Aufsicht unter Federführung der EZB.

Verhältnis zwischen Briten und der Euro-Zone weiter belastet

Unterhändlern zufolge ist für die französische Regierung längst nicht klar, dass diese Aufsicht bei der EZB in Frankfurt sitzen wird. Vielmehr argumentierten die Franzosen, dass die von Deutschland gewünschte strikte Trennung zwischen Geldpolitik und Bankenaufsicht doch am besten durch räumliche Distanz gewährleistet wäre. Also: Geldpolitik macht die EZB in Frankfurt. Beaufsichtigt wird sie in Paris.

Der Streit um den Finanzplatz dürfte das Verhältnis zwischen Großbritannien und der Euro-Zone weiter belasten. Während die Euro-Länder in der Krise zusammenrücken, steht die zweitgrößte Volkswirtschaft Europas am Rand. Frankreich hat zudem schon in der Vergangenheit den Briten mehrmals klargemacht, dass man auch ohne sie klarkomme.

Unvergessen, wie Ex-Präsident Nicolas Sarkozy den britischen Premier David Cameron auf einem EU-Gipfel anfuhr: "Du hast eine gute Gelegenheit verpasst, den Mund zu halten."

© SZ vom 04.12.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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