Die Recherche: Steuergerechtigkeit:Absetzen und abhauen

Steuerflucht

Mit der Yacht ins Steuerparadies? Viele Klischees über das Steuerverhalten der Reichen stimmen nicht. (Symbolbild)

(Foto: Bloomberg)

Ist das deutsche Steuerrecht wirklich das komplizierteste der Welt? Können sich Reiche leichter aus der Verantwortung stehlen? Typische Vorurteile über das Steuersystem und was an ihnen dran ist.

Von Bastian Brinkmann und Jannis Brühl

Das Thema erregt die Gemüter. Ist das deutsche Steuersystem eigentlich gerecht? Die einen fordern höhere Steuern für Reiche und prangern die Steuerflucht an. Die anderen warnen davor, Leistungsträger unverhältnismäßig hoch zu belasten. Einig sind sich fast alle darüber: Das Steuersystem ist ganz schön kompliziert. Zum Auftakt einer Serie in der Süddeutschen Zeitung und auf SZ.de über Steuergerechtigkeit werden vier Vorurteile über das deutsche Steuersystem auf ihren Wahrheitsgehalt geprüft (mehr zum Projekt hier).

Recherche

"Wie gerecht ist das deutsche Steuersystem?" Diese Frage hat unsere Leser in der ersten Abstimmungsrunde unseres neuen Projekts Die Recherche am meisten interessiert. Dieser Text ist einer von am Ende mehr als zwei dutzend Beiträgen, die die Fragen beantworten sollen. Alles zum Thema Steuergerechtigkeit finden Sie hier, alles zu Die Recherche finden Sie hier.

"Hohe Steuern sind Gift für Gutverdiener und treiben Leistungsträger ins Ausland."

Manches Steuer-Exil taugt zur Legende. Als die britische Regierung die Reichensteuer Anfang der Siebziger Jahre auf 93 Prozent erhöhte, zogen die Rolling Stones wegen hoher Steuerschulden kurzerhand in eine Villa an der französischen Riviera. Dort nahm Keith Richards jede Menge Heroin, Mick Jagger versuchte angeblich, ihm die Freundin auszuspannen, und man nahm die Rohversion von "Exile on Main Street" auf. Ist die Flucht vor hohen Steuersätzen Rockstar-Privileg, oder verlieren Staaten so tatsächlich ihre Gutverdiener?

Obwohl letztere Behauptung immer wieder durch die politische Debatte geistert, gibt es jenseits prominenter Einzelfälle keine belastbaren Daten. Thilo Schaefer vom arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft sagt lediglich: "Zum Thema Auswandern aufgrund hoher Einkommensteuersätze gibt es in erster Linie anekdotische Evidenz, zum Beispiel Gérard Depardieu." Der französische Schauspieler verließ zum Jahresanfang Frankreich öffentlichkeitswirksam Richtung Russland, weil Präsident François Hollande eine Reichensteuer von 75 Prozent auf Jahreseinkommen von mehr als einer Million Euro einführen wollte.

Es könnte einen Zusammenhang zwischen Steuersätzen und Abwanderung geben, sagt Stefan Bach vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung, betont aber: "Wie stark der ist, weiß kein Mensch." Es gab aber natürlich immer wieder Deutsche, die ihren Wohnsitz ins Ausland verlegten, nachdem sie zu Reichtum gelangt waren: Rennfahrer Michael Schumacher, Tennisstar Boris Becker, Fußballer Franz Beckenbauer, Milch-Unternehmer Theo Müller, der Erbe Gunter Sachs. Die einstige VDO-Eigentümerin Liselott Linsenhoff übersiedelte 1972 in die Schweiz und kam nach drei Jahren zurück.

Eine der wenigen Studien zum Thema kommt aus den USA. Dort haben Wissenschaftler 2011 die "Migration der Millionäre" untersucht, als der Bundesstaat New Jersey den Höchststeuersatz um 2,6 Prozentpunkte erhöhte (Studie hier als PDF). Ihr Schluss: Einwohner mit Einkommen unter 500.000 Dollar, die von der Erhöhung nicht betroffen waren, verließen den Staat genauso häufig wie jene mit mehr Einkommen. Eine besondere Steuerflucht der Reichen konnten die Forscher nicht messen.

Wissenschaftler der University of Massachusetts Amherst fanden ebenfalls keine Hinweise darauf, dass sich reichere Menschen bei der Wahl des Wohnortes an Steuersätzen orientieren (Studie als PDF). Denn der Umzug kostet, die möglichen Vorteile sind oft gering. Zudem schätzen die Menschen demnach die öffentlichen Dienstleistungen, die mit den eigenen Steuern gezahlt werden. Wenn Menschen umziehen, dann meist wegen der Arbeit oder eines besseren Bildungssystems. Reiche Menschen sind zudem nicht besonders mobil: Sie besitzen größere Häuser. Eine Ausnahme sind die sogenannten Superreichen, die ohnehin Immobilien an verschiedenen Orten besitzen.

"Das deutsche Steuersystem ist so verwirrend wie sonst keins auf der Welt."

Die Literatur über das deutsche Steuerrecht macht 60 oder gar 80 Prozent der weltweit einschlägigen Fachliteratur aus - das behaupten jedenfalls Politiker, die sich als Entrümpler der Bürokratie inszenieren wollen. Das ist aber Unsinn. Albert Rädler, der 2012 verstorbene bekannte Steuerjurist, fragte extra in Amsterdam an, um den Mythos zu prüfen. Dort steht die riesige Steuerbibliothek IBFD. Rädler fand heraus: Von 2000 Regalmetern mit Literatur enthalten gerade 200 deutsche Texte. Damit ist Deutschland Rädler zufolge mit den geschätzten zehn Prozent der weltweiten Literatur zum Thema dennoch Weltspitze.

Dafür kommen die Deutschen aber vergleichsweise gut mit ihren Steuererklärungen klar. Einer Untersuchung des Steuerökonomen Kay Blaufus zufolge beanspruchen diese im Schnitt pro Jahr 5,5 bis 8,3 Stunden. Spanier brauchen 6,8 Stunden, Australier 8,5. In den USA sind es mehr als 20 Stunden, die Briten dagegen sind etwas schneller als die Deutschen. Doch es gibt große Unterschiede innerhalb der Bundesrepublik. Selbständige brauchen drei- bis viermal so lange wie Arbeitnehmer.

Wie kommen Unternehmen mit dem deutschen Steuergeflecht zurecht? Mittelmäßig. Im Ranking "Doing Business", erstellt von der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PwC und der Weltbank, liegt Deutschland auf Rang 72, was die Einfachheit des Systems von Unternehmenssteuern betrifft. Deutsche Firmen brauchen demnach im Schnitt 207 Stunden, um ihre Steuern zu erklären. In Ungarn, Italien und Polen sind es mehr als 250 Stunden, in Tschechien und Bulgarien sogar mehr als 400 Stunden. Dort verschlingt die Abrechnung von Lohnsteuern und Sozialabgaben deutlich mehr Zeit als anderswo. In den Niedrigsteuerländern Luxemburg, der Schweiz und Irland brauchen die Unternehmen 80 oder weniger Stunden dafür.

"Alle Steuergeschenke sind ungerecht."

Jede Subvention teilt die Gesellschaft in Gewinner und Verlierer. Die Gewinner bekommen Geld, direkt oder indirekt. Die Verlierer zahlen drauf. Das muss nicht ungerecht sein, sondern kann auch erst Gerechtigkeit herstellen. Wenn beispielsweise Kinder aus einkommensschwachen Familien einen Zuschuss dafür bekommen, um sich die nötigen Schulhefte zu kaufen, werden sich wohl nur wenige beschweren. Nur ein Bruchteil des Geldes der anderen Steuerzahler wird dafür ausgegeben, mehr Chancengleichheit herzustellen. Und doch muss jede Subvention einzeln betrachtet werden, um sie beurteilen zu können: Nützt sie mehr, als sie schadet?

Dass diese Bilanz durchwachsen ist, zeigt eine Studie, die Forscher der Universität Köln vor ein paar Jahren angefertigt haben. Die Wissenschaftler haben den Subventionsbericht der Bundesregierung analysiert und sich die damals 20 größten Subventionsposten vorgenommen. Fünf erfüllten ihr Ziel, zehn waren reformbedürftig und fünf waren so vermurkst, dass die Forscher nur noch empfehlen konnten, sie abzuschaffen. Legt man zugrunde, wie viel Geld in die einzelnen Subventionen fließt, verstärkt sich statistisch der Anteil der schlecht laufenden Programme noch (hier die Studie als PDF).

Die größte Subvention taucht übrigens im offiziellen Bericht der Regierung nicht auf, weil dabei kein einziger Euro aus der Staatskasse fließt. Das Erneuerbare-Energien-Gesetz ist clever designt und schiebt direkt Milliarden von Verbrauchern zu Produzenten von Ökostrom - ohne dass der Staat als Verteiler auftritt.

"Reiche haben viel mehr Möglichkeiten, bei ihrer Steuererklärung zu tricksen."

Das ist das Klischee: Sie machen Geld mit Immobilien, sie kassieren Zinsen im Depot, bekommen ab und zu ein Honorar als Selbständige - wer viel und aus mehreren Quellen Geld einnimmt, hat mehr Möglichkeiten als ein normaler Arbeitnehmer, seine Steuererklärung zu gestalten.

Ein Blick in die Einkommensstatistik bestätigt das. Sie basiert auf den jüngsten verfügbaren Daten von 2007 und legt offen, wie viel Menschen verdienen - und wie viel sie abführen müssen. Von 70.000 Euro Jahreseinkommen an können Bürger die Steuerlast stärker drücken, bezogen auf das Einkommen, das sie mehr haben als der Schnitt (hier die Rechnung als Excel-Datei). Kurz: Reichtum hilft beim Absetzen.

Auch Statistiken der OECD zeigen in diese Richtung. Deutschland bezieht 67,7 Prozent seiner Steuereinnahmen durch Abgaben und Steuern auf Löhne. Das ist deutlich mehr als der Durchschnitt der Industrieländer (59,6 Prozent). Dagegen nimmt Deutschland durch Vermögen nur 2,3 Prozent ein - alle Industriestaaten der OECD kommen im Schnitt auf 5,4 Prozent.

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