Qualität von Lebensmitteln:Osteuropäisches Nutella wird zum Politikum

Qualität von Lebensmitteln: Nutella ist in Polen oder Ungarn anders zusammengesetzt als beispielsweise in Deutschland - Osteuropäer fühlen sich diskriminiert.

Nutella ist in Polen oder Ungarn anders zusammengesetzt als beispielsweise in Deutschland - Osteuropäer fühlen sich diskriminiert.

(Foto: AFP)
  • In Osteuropa bemängeln Verbraucherschützer und Politiker, dass Produkte internationaler Hersteller von geringerer Qualität seien als in reicheren EU-Staaten.
  • Tests in einzelnen Staaten hatten tatsächlich andere Produktrezepturen für Nutella, Cola, Wurst oder Fischstäbchen ergeben.
  • Die Regierungschefs wollen auf EU-Ebene Gesetzesänderungen bewirken. Die Chancen der Initiative dürften jedoch gering sein.

Von Christoph Behrens

"Ich denke, das ist einer der größten Skandale der jüngeren Vergangenheit", erklärt Janos Lazar, der Stabschef des ungarischen Regierungschefs Viktor Orbán. "Wir akzeptieren keine Teilung der EU und werden eine Teilung der EU nie akzeptieren", sagte die polnische Premierministerin Beata Szydło.

Die Politiker sprechen über Schinken, Waffeln und Schokoladenaufstrich. In Osteuropa entfaltet sich gerade ein Lebensmittelskandal, der für die EU und europäische Konzerne zum Problem werden könnte. Slowaken, Tschechen, Polen und Ungarn fühlen sich im Supermarkt diskriminiert. Der Vorwurf: Produkte internationaler Konzerne seien in ihren Ländern von schlechterer Qualität als in Westeuropa. Die polnische Zeitung Gazeta Prawna spricht von "Lebensmittel-Rassismus".

Sirup statt Zucker, weniger Fisch in den Fischstäbchen

Ausgelöst haben die Aufregung mehrere Lebensmitteltests. Die ungarische Lebensmittelsicherheitsbehörde NEBIH verglich kürzlich 24 Produkte, die sowohl in Ungarn als auch in Österreich von Discountern wie Lidl und Aldi vertrieben werden. Die lokale Variante von Manner-Waffeln sei weniger knusprig, ungarisches Nutella nicht so cremig wie das österreichische Pendant, bemängelten die Prüfer. In der Slowakei fand das Landwirtschaftsministerum bei 22 internationalen Markenprodukten eklatante Unterschiede zwischen einzelnen Ländern. In der Slowakei verkaufte Wurst enthielt beispielsweise weniger Fleisch, dafür mehr Fett und Flüssigkeit als das westeuropäische Produkt der gleichen Marke. Eine Studie der Universität Prag im Auftrag einer EU-Abgeordneten hatte bereits 2015 ergeben, dass in Tschechien verkaufte Pepsi mit Sirup gesüßt wird statt wie in Deutschland mit echtem Zucker. In tschechischer Sprite steckte auch das billigere Süßungsmittel Aspartam. Tschechische Fischstäbchen von Iglo enthielten sieben Prozent weniger Fisch als deutsche.

Nun wollen die vier Visegrád-Staaten Slowakei, Tschechien, Polen und Ungarn die EU zum Handeln zwingen. Man fühle sich wie der "Mülleimer Europas", sagte der tschechische Landwirtschaftsminister Marian Jurečka kürzlich. In Warschau verabredeten die Staatschefs des Visegrád-Blocks diese Woche ein gemeinsames Vorgehen auf EU-Ebene. Auf einem Sondergipfel wollen die Osteuropäer den Druck auf Brüssel erhöhen. "Es darf keine EU-Bürger erster und zweiter Klasse geben", erklärte der slowakische Regierungschef Robert Fico. Man werde von der EU-Kommission verlangen, diese Praktiken zu verbieten. Am Montag wollen die Agrarminister der vier Staaten über das weitere Vorgehen beraten.

"Diese Vorwürfe stimmen einfach nicht"

Für westliche Lebensmittelkonzerne wie den Nutella-Hersteller Ferrero oder den Sprite-Mutterkonzern Coca Cola ist der Vorwurf der Diskriminierung heikel. Dementsprechend zurückhaltend reagieren die Firmen bislang. Coca-Cola erklärte gegenüber einer tschechischen EU-Abgeordneten, die Entscheidung für die Süßung der Getränke obliege dem einheimischen Abfüller der Getränke. Die individuelle Rezeptur basiere auf örtlichen Geschmackstests - und Geschmäcker seien nun mal unterschiedlich. Im Übrigen sei die tschechische Rezeptur mit der in Spanien oder in den USA vergleichbar. Auch Ferrero beruft sich auf unterschiedliche Geschmäcker. In Frankreich sei Nutella beispielsweise flüssiger, damit Franzosen den Aufstrich besser auf dem weicheren Weißbrot verteilen könnten, erklärte die Firma.

Der Wiener Manner-Konzern bestritt hingegen, dass es Qualitätsunterschiede gebe. "Diese Vorwürfe stimmen einfach nicht für Manner", sagte eine Sprecherin der Firma der österreichischen Tageszeitung Die Presse. Es gebe nur ein einziges Rezept der Waffeln, eine Umstellung der Produktion für verschiedene Märkte erfolge nicht. "Aber es gibt natürlich Firmen, die das machen", so die Sprecherin.

Andere Firmen berufen sich auf die geringere Kaufkraft in Osteuropa: Da die Preise in Osteuropa geringer seien, könne die Qualität der Produkte nicht die selbe sein. Doch dieses Argument trifft nicht überall zu. So ist zwar in Polen hergestelltes Nutella laut dem tschechischen Verbrauchermagazin dTest rund ein Fünftel günstiger als das deutsche. Hingegen ist Fleisch und Fisch laut der Studie der Universität Prag in Osteuropa häufig sogar teurer. Wegen der stärkeren Konkurrenz in Westeuropa seien viele Lebensmittel dort günstiger, sagte der Chef des slowakischen Verbraucherschutzverbands Miloš Lauko dem Deutschlandfunk. "Das Argument, die Qualität werde wegen der niedrigeren Preise reduziert, ist also falsch."

Rechtlich ist die unterschiedliche Zusammensetzung kaum zu beanstanden

Rechtlich ist die Sache klar: Solange Hersteller die genauen Inhaltsstoffe auf der Verpackung angeben, ist eine unterschiedliche Zusammensetzung europarechtlich nicht zu beanstanden. Für Brüssel zählt allein eine korrekte Information der Verbraucher - neben der Sicherheit der Produkte. So bleibt auch bislang vage, was genau die Osteuropäer mit ihrem Vorstoß erreichen wollen. Laut einer Erklärung des tschechischen Premierministers Bohuslav Sobotka soll es darum gehen, dass innerhalb des EU-Binnenmarkts bei gleicher Verpackung eines Produkts die gleiche Qualität garantiert sein soll. Angesichts der komplizierten Herstellung von Lebensmitteln, die für verschiedene Länder häufig in unterschiedlichen Fabriken mit unterschiedlichen Lieferanten erfolgt, rechnen Experten der Initiative der Osteuropäer aber eher geringe Chancen aus.

Für Europa wiegt auf lange Sicht wohl etwas anderes schwerer: Ein großer Teil des Kontinents fühlt sich jeden Tag an der Supermarkttheke als Bürger zweiter Klasse. Das Image der EU dürfte dieses Gefühl bei vielen Osteuropäern eher nicht heben.

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