Pforzheim:Der Casino-Kapitalismus auf der Anklagebank

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Der ehemaligen Pforzheimer Bürgermeisterin, Christel Augenstein (FDP), droht wegen der verlustreichen Geschäfte eine Freiheitsstrafe. (Foto: dpa)
  • Durch sogenannten Swap-Geschäfte verlor die Stadt Pforzheim zwischen 2004 und 2008 Millionenbeträge.
  • Nun steht die ehemalige Bürgermeistern gemeinsam mit Mitarbeitern und Bankern vor Gericht.
  • Ihr Anwalt, der FDP-Parteifreund Wolfgang Kubicki, weist die Vorwürfe der Anklage zurück. Seine Mandatin habe "immer nur das Beste für ihre Stadt gewollt".

Von Josef Kelnberger, Mannheim

Christel Augenstein, in einer weißen Jacke mit schwarzen Punkten vor Gericht erschienen, hielt sich im Hintergrund. Das Wort führte ihr Anwalt und Parteifreund Wolfgang Kubicki, der stellvertretende FDP-Bundesvorsitzende. Der mimte den Ratlosen. 800 deutsche Kommunen hätten ähnliche Finanzgeschäfte abgeschlossen wie die Stadt Pforzheim von 2004 bis 2008 unter der Regie von Oberbürgermeisterin Augenstein, sagte Kubicki - warum werfe man ausgerechnet ihr kriminelles Verhalten vor? "Empörungselemente" habe er in der Anklageschrift entdeckt. Was heißen sollte: Hier werde jemand stellvertretend angeklagt für eine Ära des Casino-Kapitalismus, die den Staat sehr viel Geld gekostet hat. "Meine Mandantin", sagte Kubicki, "hat immer nur das Beste für ihre Stadt gewollt."

Viele Beobachter sehen den Neoliberalismus auf der Anklagebank in dem Prozess, der am Dienstag unter Vorsitz von Andreas Lindenthal am Landgericht Mannheim begonnen hat. Es geht um Untreue und Beihilfe zur Untreue, am Ende könnte eine Freiheitsstrafe stehen. Angeklagt sind neben Augenstein ihre damalige Stadtkämmerin und deren Stellvertreter sowie anderseits zwei deutsche Bankangestellte mit Wohnsitz London. Die Finanzgeschäfte zwischen diesen beiden Seiten haben die Stadt Pforzheim viele Millionen Euro gekostet.

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Der Oberstaatsanwalt bewies beträchtliches Stehvermögen, als er die Anklageschriften - eine gegen die Vertreter der Stadt, die andere gegen die Banker - verlas. Sie hörten sich in Teilen an wie eine Reportage aus dem Casino. Wer sich verzockt hat, versucht die Verluste durch noch mehr Zockerei wettzumachen und das unausweichliche Fiasko am Ende zu vertuschen.

Die Oberbürgermeisterin, eine Diplom-Finanzwirtin, und ihre Kämmerin, eine Diplom-Wirtschaftsmathematikerin, hatten zunächst Erfolg. Mit Swaps, hochspekulativen Derivaten, minderten sie die Zinslast der Stadt. Das sei, sagt der Staatsanwalt, nur legal, solange die Swaps bestimmten Kreditverträgen zugeordnet seien. Doch die beiden seien immer höhere Risiken eingegangen, um unabhängig von Krediten Gewinne zu erzielen. Als sich aus Zins-Swaps mit der Deutschen Bank Millionenverluste abzeichneten, suchte das Duo den Beistand von JPMorgan. Man zog alle Register. Spiegel-Swaps, Barriere-Swaps, Fremdwährungs-Swaps, Momentum-Swaps. Sie führten immer tiefer ins Minus, bis Augensteins Nachfolger dem Treiben ein Ende setzte. Die Frage wird sein, ob die Angeklagten vorsätzlich Schaden herbeigeführt haben. Die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft: Täuschung des Gemeinderats, Umgehung von Aufsichtsbehörden, Verstoß gegen das Spekulationsverbot für Kommunen. Und die Banker hätten durch Falschberatung Beihilfe geleistet.

Die Verteidiger wiesen die Vorwürfe unter Berufung auf mehrere Rechtsgutachten zurück. Eddo Compart, Anwalt der Kämmerin, erinnerte daran, dass die Kämmerin bei Amtsantritt ein Minus von 30 Millionen Euro vorgefunden habe; die Stadt habe viel zu hohe Zinsen bezahlt. Was heute wie Zockerei wirke, habe seinerzeit als modernes Schuldenmanagement gegolten. Sie bedaure den entstanden Schaden, aber sie habe niemals pflichtwidrig gehandelt. Der Prozess wird am Donnerstag fortgesetzt.

© SZ vom 09.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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