Streit um Wertpapiergeschäfte:Mann gegen Bank

  • Ein Mittelständler aus Oberbayern kämpft vor Gericht gegen die Hypo-Vereinsbank.
  • Das Institut hat ihm riskante Swap-Papiere verkauft. Nun hat er Schulden und fürchtet um seine Firma. Wie ihm geht es vermutlich Tausenden Kunden verschiedener Banken.

Von Stephan Radomsky

Hätte er gewusst, auf was er sich da einlässt, nie hätte er so etwas unterschrieben, beteuert Walther Bergmann. Natürlich nicht. Wer will schon so viel Geld aufs Spiel setzen? Mit mehr als zwei Millionen Euro steckt Bergmann heute bei der Hypo-Vereinsbank (HVB) im Minus - und mitten in einem zähen Rechtsstreit. Alles, was er sich aufgebaut hat, ist in Gefahr, auch sein Unternehmen und die 80 Arbeitsplätze dort. Dabei könnte Bergmann eigentlich seinen Ruhestand genießen, müsste nicht mehr ständig in der Firma mithelfen - hätte er nur die Finger von diesen Swaps gelassen.

Walther Bergmann heißt eigentlich anders. Seinen echten Namen will der Unternehmer aus Oberbayern jedoch nicht in der Zeitung lesen. Er klagt bereits in zweiter Instanz gegen die HVB, hofft aber auch immer noch auf eine außergerichtliche Einigung. So oder so: Er fürchtet um seine Verhandlungsposition. Wie ihm geht es vermutlich Tausenden Bankkunden: Gut situierte Privatleute, Unternehmer, Kommunen, die mit Swap-Wertpapieren riesige Summen verzockt haben - oft, wie sie heute immer wieder beteuern, ohne anfangs zu ahnen, was für Geschäfte sie da eigentlich machten.

Banken verkauften die Swaps zur "Zinsoptimierung"

Institute wie die Deutsche Bank, die West-LB und andere Landesbanken oder die HVB verkauften über Jahre die sogenannten Swaps in den verschiedensten Varianten. Häufig wurden die Finanzderivate dabei als Mittel zur "Zinsoptimierung" mit Krediten verkauft. Das sah nach Absicherungsgeschäft aus, war aber eigentlich pure Finanzmarktspekulation.

Denn bei Swaps handelt es sich um höchst komplexe und oft spekulative Derivate. Sie ähneln einer Wette: Steigt oder fällt der Kurs des Franken zum Euro? Sind Darlehenszinsen in zehn Jahren höher oder niedriger als heute? Wird ein Kredit zurückgezahlt oder nicht? Am Ende kann immer nur einer die Wette gewinnen.

Eigentlich sind Swaps deshalb dazu gedacht, sich für eine festgelegte Laufzeit gegen ein bestimmtes Risiko abzusichern. Zwei Partner tauschen dafür beispielsweise einen variablen Zins gegen einen fixen. Daher der Name: Im Englischen heißt "to swap" so viel wie "tauschen". Vereinfacht gesagt kann ein Unternehmen so beispielsweise ein Darlehen mit veränderlichem Zinssatz aufnehmen und sich gegen das Risiko steigender Zinsen absichern. Fallen die Zinsen, gewinnt die Gegenseite. So weit die Theorie.

Für Laien wird ein Swap schnell zum Zahlengeflecht

Denn selbst diese einfache Form ist schwer zu durchschauen. Reale Swaps beziehen aber neben fixen und variablen Zinsen beispielsweise oft auch Wechselkurseffekte mit ein. Für Finanzprofis können solche Konstrukte Sinn machen, für Laien wird ein Swap so aber schnell zum Zahlengeflecht mit vielen Unbekannten.

Viele kleinere Kunden erlitten daher in den vergangenen Jahren Millionenverluste mit Swaps. Unter ihnen auch erfolgreiche Unternehmen wie der Papierhersteller Ille, Investoren wie der Immobilienentwickler Max von Braunmühl oder die Stadt Ennepetal. Sie klagten jeweils bis vor den Bundesgerichtshof (BGH) auf Schadenersatz: Ille und von Braunmühl gewannen und bekamen das Geld zurück. Die Stadt Ennepetal dagegen muss eine Extrarunde vor Gericht drehen. Ihr Fall wurde ans Oberlandesgericht zurückverwiesen, mit ungewissen Erfolgsaussichten.

Bergmann hat in erster Instanz verloren. Das Landgericht München habe den Zeugen der HVB, vor allem den Beratern von damals, mehr Glauben geschenkt als seinem Mandanten, sagt Bergmanns Anwalt Stephan Greger. Nun geht es in die zweite Runde. Die Berufung läuft, voraussichtlich im Herbst startet der Prozess.

Es könnten noch viele Kunden klagen

Damit ist Bergmann einer von vielen, die mit der HVB und anderen im Rechtsstreit liegen. Und nach Meinung von Verbraucheranwälten könnten bald noch einmal deutlich mehr verärgerte Kunden folgen. "Viele, die bisher stillgehalten und gehofft haben, dass doch noch alles gut wird, müssten demnächst aktiv werden", sagt Greger. Denn die Swap-Geschäfte haben eine Verjährungsfrist von exakt zehn Jahren, vorausgesetzt der Bank kann Vorsatz bei der falschen Beratung nachgewiesen werden. Und gerade die Berater der HVB haben nach Beobachtung von Anwalt Michael Leipold in den Jahren ab 2005 die Derivate systematisch und fleißig vertrieben. Er hat sich wie auch Greger auf die Beratung von Bankkunden spezialisiert.

Oft werden Swaps als "Zinswetten" oder "Währungskurswetten" beschrieben. In Wahrheit sind sie aber noch schlimmer: Wer ins Kasino zum Wetten geht, kann dabei höchstens so viel verlieren, wie er vorher auf den Tisch legt. Anders bei Swaps: Sie haben diesen Boden nicht. Ihr Risiko ist theoretisch unbegrenzt, wie der BGH festgestellt hat. Vor allem wenn Währungsgeschäfte enthalten sind. Denn durch politische oder wirtschaftliche Ereignisse können Devisen schnell und extrem heftig auf- oder abwerten. Der Absturz des Rubel im Zuge der Ukraine-Krise ist dafür ein Beispiel, die plötzliche Aufwertung des Franken ein anderes. Der Schaden kann dann den Einsatz übersteigen.

Trotzdem, so schildern es Greger und Leipold unabhängig voneinander, durchsuchten die HVB-Berater in den Filialen ihren Kundenstamm gezielt nach Leuten wie Walther Bergmann: gut situierte, solvente Unternehmer, keine Börsenprofis. Ihnen wurden die Swaps angedient, erst kleinere, dann immer größere.

Für Kundengespräche gab es eine Liste mit unpräzisen Antworten

Wie gut sie dabei in den Verkaufsgesprächen über die Risiken der Swaps informierten, ist Gegenstand aller Prozesse. Jedenfalls wussten die HVB-Leute, wie sie selbst kritische Kunden um den Finger wickeln. Dafür waren sie geschult, wie interne Unterlagen der Bank belegen, die der Süddeutschen Zeitung vorliegen.

Für "typische Kundeneinwände" gab es da präzise unpräzise Antworten. Wandte ein Bankkunde beispielsweise ein, dass es sich bei Swaps um Spekulation handle, sollte der Berater erwidern: "Wir sprechen über Risikomanagement, denn wer sein Risiko nicht managed, der spekuliert." Und wurde bemerkt, dass das alles auf eine Wette hinauslaufe, hieß es: "Ins Kasino können Sie freiwillig gehen, mit den Marktbewegungen müssen Sie sich auseinandersetzen, und hier können wir Ihnen helfen!!" Mit zwei Ausrufezeichen. Seitenweise Worthülsen.

Auch Bergmann ließ sich davon beeindrucken. Es lockten die Rendite und das angeblich geringe Risiko. "Wir wollten die Sicherheit des Franken nutzen", sagt der Unternehmer heute. "Als Wette habe ich das nie verstanden. Und auch von solchen riesigen Summen war nie die Rede." Trotzdem unterschrieb er - allein einen Swap mit einem sogenannten Nominal von zwei Millionen Euro. Das war sein Wetteinsatz.

"Ich wollte doch Geld anlegen und mir keines leihen", sagt Bergmann

Nur: Geld hat Bergmann nie auf den Tisch gelegt. Anders als bei Aktien- oder Fondsgeschäften verlangte niemand von ihm zwei Millionen im Voraus. Der Swap lief faktisch auf Pump: Bergmann lieh sich den Einsatz für die Wette im Prinzip bei der HVB. Deshalb war die Solvenz der Swap-Kunden auch so wichtig - sie mussten ja "kreditwürdig" sein.

Das sei ihm aber gar nicht klar gewesen, beteuert Bergmann. "Ich wollte doch Geld anlegen und mir keines leihen." Allerdings hätte er hellhörig werden können, als die Bank plötzlich regelmäßig Bilanzen seiner Firma sehen wollte, er musste der HVB alles offenlegen. "Es hieß immer nur, das sei halt nötig. Gesetzliche Vorgaben und so." Bergmann glaubte das. Von der finanziellen Gefahr sei kein Wort gefallen. "Dass die in Wirklichkeit immer geprüft haben, ob ich noch kreditwürdig bin, ist mir erst viel später klar geworden."

Heute würde Bergmann wohl von niemandem mehr ein Darlehen bekommen, mit mehr als zwei Millionen Euro Minus bei der Bank. "Und wer weiß, ob es nächstes Jahr nicht schon vier Millionen sind", sagt er. Die Verluste stammen aus drei Swaps, alle mit Bezug zum Schweizer Franken. Eine der Wetten ist bereits ausgelaufen, mit umgerechnet an die 800 000 Euro Verlust. Zwei weitere Swaps laufen noch - und häufen weiter Verluste an. Hinzu kommen die laufenden Zinszahlungen, die er über die Jahre geleistet hat. Das gesamte Geld verlangt er nun zurück.

Eine Unterschrift, schon lösen sich die 200 000 Euro in Luft auf

Bergmann sieht sich von der HVB falsch beraten, in die Falle gelockt. Tatsächlich wurden ihm die ersten Swaps Anfang der 2000er-Jahre als "Möglichkeiten des aktiven Zinsmanagements" oder als "aktuelle Idee zur Zinssubvention" verkauft, wie es in den Präsentationen heißt. "Ich habe das geglaubt. Die Herren waren ja auch immer super-professionell", sagt Bergmann. Anfangs geht auch alles gut: Die ersten Swaps werfen Geld ab. Keine Unsummen, immer ein paar Tausend Euro, aber immerhin: das versprochene leicht verdiente Geld. "Da muss ich mich meiner Verantwortung stellen: Das Vertrauen war einfach zu groß. Und anfangs kam ja auch Geld, das war angenehm", sagt Bergmann heute.

"Für die Umsetzung dieser Idee ist kein Kapitaleinsatz notwendig", heißt es in einer der Präsentationen von damals. Und das Wort von der "Zinssubvention" klingt langfristig, verlässlich. Scheinbar schließt es aus, dass der Kunde draufzahlt. Unter der Überschrift "Risiken/Nachteile" heißt es denn auch nur: "Verflacht sich die Zinsstruktur-Kurve, so wird die Subvention geringer oder gegebenenfalls negativ." Im Klartext: Für den Kunden kann diese "Subvention" sehr wohl teuer werden.

Genau das passiert Bergmann.

2006 läuft ein Währungs-Swap aus, damals mit rund 200 000 Euro Verlust. Da könnte Bergmann aussteigen, mit einem blauen Auge. Aber er muss gar nichts zahlen. Das mit dem Verlust sei kein Problem, habe es von der HVB geheißen, erzählt Bergmann. Der werde einfach in einen neuen, größeren Swap eingepreist. Bergmann vertraut seinem Berater. Beide kennen sich seit 20 Jahren, sind privat befreundet. Also: Eine Unterschrift, schon lösen sich die 200 000 Euro in Luft auf. Scheinbar. Denn damit sitzt Bergmann in der Falle.

Die Unsicherheit zermürbt ihn

In der Verkaufspräsentation von damals wird das aber noch nicht so deutlich. An die zwölf Prozent könne der Schweizer Franken während der Laufzeit aufwerten, und Bergmann würde wegen der Zinsflüsse immer noch keinen Verlust machen heißt es. Ein Euro bringt da 1,55 Franken. Heute sind es gerade noch 1,09 Franken.

Momentan könnte Bergmann die Verluste noch tragen, gerade so. "Aber in den Betrieb habe ich seit Jahren nicht investiert. Ich müsste dringend renovieren, aber ich lege jeden Euro weg." Bergmann schloss die Swaps zwar privat ab. Weil er keine GmbH hat, ist am Ende aber alles eine Kasse. "Schlimmer darf es nicht mehr kommen, sonst ist die Firma kaputt", sagt er. Die Unsicherheit zermürbt ihn. Müde sieht er aus, sorgenvoll. "Das ist alles eine solche Belastung", sagt er leise. Kämpft er aber nicht oder verliert er, könnte alles weg sein. Alles wofür er seit 1975 gearbeitet hat.

Wie die Sache ausgeht, ist offen. Die Chancen stehen gut, weil Banken wie die HVB, die selbst Partner der Swap-Geschäfte waren, laut BGH in einem schwerwiegenden Interessenkonflikt waren: In der Beratung sei die Bank den Interessen des Kunden verpflichtet. Zugleich verdiente sie schon bei der Unterschrift Geld mit dem Swap. Darüber hätte sie die Kunden aufklären müssen, und zwar bei allen Formen von Swaps. Und auch über die Höhe dieser Marge. Das hat der BGH entschieden.

Ein Kunde: "Mit dem Berater war ich sogar befreundet."

Ein Selbstläufer ist der Prozess trotzdem nicht. Denn auch wenn einigermaßen klar ist, wie die Beratung hätte aussehen müssen, bleibt immer die Frage, wie sie denn nun wirklich ablief. Wie der Streit ausgeht, hängt damit davon ab, wer seine Version plausibler belegen kann. In erster Instanz zog Bergmann hier den Kürzeren.

Die Verfahren sind oft zäh. Gerade die HVB setze immer wieder auf eine Zermürbungstaktik gegen Kläger wie Bergmann, erzählen Anwälte. "Wenn sie verliert, geht es grundsätzlich in die zweite Instanz. Und da kommt es gerade in München oft darauf an, vor welchem Senat des Oberlandesgerichts der Fall landet", sagt etwa Swap-Spezialist Leipold. "Übernimmt etwa der 5. Senat, gibt es meist schnell ein sehr gutes Vergleichsangebot von der Bank." Vorsitzender Richter dort ist der als "Bankenschreck" bekannte Guido Kotschy, selbst gelernter Bankkaufmann. Er verurteilte unter anderem die Deutsche Bank zu Schadenersatz am Medienmagnaten Leo Kirch.

Ob auch Bergmann mit seiner Berufung bei ihm landet, ist noch offen. Er hofft jedenfalls darauf. Das Vorgehen in seinem Fall sei beispielhaft für die Methode der HVB, beschreiben Greger und Leipold übereinstimmend ihre Erfahrungen aus anderen Prozessen: Bergmanns Filialbetreuer habe ihn als potenziellen Swap-Kunden ausgesucht, dann kam ein sogenannter Spezialist hinzu, der die Derivate verkaufte. "Das waren ganz seriöse Männer, und mit dem Berater war ich ja sogar befreundet, außerdem war ich ja schon über 40 Jahre bei der HVB", erzählt Bergmann. Beide hätten ihm versprochen, dass sie täglich ein Auge auf die Swaps haben und sich sofort melden, sobald etwas nicht passt.

Dreistellige Zahl von Klagen allein in München

Wenn demnächst die zweite Runde für Bergmann beginnt, ist er nur einer von vielen. Allein in München sei derzeit eine dreistellige Zahl von Klagen gegen die HVB anhängig, schätzen sowohl Greger als auch Leipold. In wie viele Swap-Verfahren es derzeit verwickelt ist, will des Kreditinstitut nicht sagen. In den Konzernberichten für 2014 und das erste Halbjahr 2015 heißt es dazu nur, dass die "Anzahl von Beschwerden und Klageverfahren" von Kunden aufgrund verlustreicher Derivategeschäfte "leicht abgenommen" habe. Auch zur Höhe der aufgelaufenen Swap-Schäden und zur Höhe der in der Bilanz für die Rechtsrisiken der laufenden Prozesse zurückgestellten Summe äußert sich die Bank nicht. "Die Hypo-Vereinsbank ist überzeugt davon, stets entsprechend den jeweils geltenden gesetzlichen Vorschriften und Vorgaben durch die Rechtsprechung ordnungsgemäß auf die Risiken der Verträge hingewiesen und beraten zu haben", heißt es lediglich.

"Gericht und Klagen, das liegt mir nicht", sagt Bergmann nur. Außerdem ist auch der Prozess kostspielig: Um die 50 000 Euro habe er bisher schon für die Auseinandersetzung investiert. Nur für die erste Instanz und das Einreichen der Berufung. Alles aus eigener Tasche, sagt Bergmann, ohne Rechtsschutzversicherung. Die decken solche Prozesse grundsätzlich nicht ab. Und es ist nicht ausgeschlossen, dass auch er bis vor den BGH zieht. "Aber was soll ich machen? Ich muss es doch versuchen", sagt Bergmann. Sonst könnte alles verloren sein, alles was er in 40 Jahren aufgebaut hat. Und die neuen Kosten? "Bei über zwei Millionen Euro Schulden ist das auch schon egal."

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