Opel:Eisenachs schwarze Stunden

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Mit der GM-Entscheidung für Magna ist der Opel-Standort Eisenach vorerst gerettet. Oberbürgermeister Matthias Doht über den Nervenkrieg der vergangenen Monate und seinen heißen Draht ins Kanzleramt.

Tobias Dorfer

Eisenach ist eine Kleinstadt mit 43.000 Einwohnern, drei Autobahn-Ausfahrten, einem Zweitliga-Handballverein - und einer großen Tradition: Hier übersetzte Martin Luther das Neue Testament ins Deutsche, hier wurde mit Johann Sebastian Bach einer der größten Komponisten geboren und hier baut einer der traditionsreichsten deutschen Autokonzerne in einem hochmodernen Werk seine Kleinwagen. Trotzdem stand das Opel-Werk in Eisenach, wo 1700 Menschen arbeiten, lange ganz oben auf der Streichliste. Mit der Entscheidung für den Investor Magna ist der Opel-Standort Eisenach vorerst gesichert. Ein Anruf bei Eisenachs Stadtoberhaupt Matthias Doht (SPD), einem der glücklichsten Menschen Deutschlands.

sueddeutsche.de: Herr Doht, der gestrige Tag muss aufregend für Sie gewesen sein, oder?

Matthias Doht: Und wie. Der Stress fing schon am Morgen an. Um sechs Uhr wurde ich vom Radiowecker geweckt. Und das erste, was ich hörte, waren Spekulationen, GM könnte Opel behalten. Dann wäre das Werk hier wohl dichtgemacht worden. Ich war restlos bedient. Dann geht einem alles durch den Kopf: 110 Jahre Automobilbau in Eisenach, die Schicksale der Leute - und man denkt daran, dass eine ganze Region von der Autoindustrie lebt. Ich dachte, wenn das tatsächlich so kommt, ist Eisenach nicht mehr Eisenach.

sueddeutsche.de: Welche Folgen hätte eine Werkschließung für die Stadt gehabt?

Doht: Erst verlieren die Leute ihre Jobs, dann bricht die Kaufkraft weg und der Einzelhandel geht vor die Hunde. Da kommt ein Ding zum anderen und es wird immer schlimmer. Irgendwann hört man auf zu denken, weil man sich das alles nicht mehr vorstellen will.

sueddeutsche.de: Und wenn Sie die Kette doch zu Ende denken?

Doht: Dann sehe ich die Gefahr, dass Eisenach komplett ohne Industrie dasteht. Es geht ja nicht nur um die 1700 Opelaner. In dem Werk arbeiten auch noch Leute von Drittfirmen und dann gibt es hier noch drei Zulieferer, die nur für Opel arbeiten. 3000 Jobs hängen direkt an diesem einen Werk. Insgesamt leben mehr als 20.000 Menschen in der Region vom Automobilbau. Da hat es auch eine psychologische Wirkung, wenn das Flagschiff Opel dichtmacht.

sueddeutsche.de: Auch die Einnahmen durch die Gewerbesteuer wären drastisch eingebrochen. Hätten Sie Projekte streichen müssen?

Doht: Ja. Wir hätten von heute auf morgen die gesamte Stadtplanung anpassen und Bauprojekte anhalten müssen. Aber andererseits: Die Brücken und Straßen hätten wir dann sowieso nicht mehr benötigt.

sueddeutsche.de: Wie haben Sie die Stimmung in Eisenach in der letzten Zeit erlebt?

Doht: Es herrschte ein unwahrscheinlich großer Druck. Egal, ob im Zeitungsladen oder beim Bäcker, überall ging es um Opel. Die Stimmung war gereizt, etliche Bürger hatten resigniert. Und dennoch hat gerade die Belegschaft von Opel diese Unsicherheit ausgehalten, hat jeden Tag Höchstleistungen vollbracht, im Akkord gearbeitet und Autos in einer Stückzahl gebaut, die höher als die Vorgabe war. Vor diesen Menschen habe ich einen Heidenrespekt.

sueddeutsche.de: Haben Sie sich auch selbst für den Verbleib von Opel in Eisenach eingesetzt?

Doht: Ich habe viel versucht, etwa Kontakte zu SPD-Parteifreunden nach Berlin geknüpft. Als Ende Mai die erste Entscheidung für Magna fiel, habe ich zudem probiert, direkt zur Kanzlerin durchzudringen. Am Ende bin ich zumindest bis zum Kanzleramtsminister gekommen und habe ihn eindringlich gebeten, jetzt am Ball zu bleiben und den Druck auf GM aufrecht zu erhalten. Mehr kann man als Kommunalpolitiker nicht tun. Man steht, so schlimm das klingt, außen vor, muss zuschauen und ertragen, wie andere entscheiden.

sueddeutsche.de: Am Ende hat es dennoch, zumindest vorläufig, ein Happy End gegeben. GM lässt Opel zu Magna ziehen. Wann haben Sie davon erfahren?

Doht: Ich war unterwegs zu einer Veranstaltung in unserem Nachbarort Gotha. Den Termin hatte ich angenommen, um mich selbst von dem Nervenkrieg ein wenig abzulenken. Im Autoradio habe ich es dann gehört. Ich dachte erst, das kann nicht sein. Als ich es dann realisiert hatte, fühlte ich mich wie ein Kind vor dem Weihnachtsbaum.

sueddeutsche.de: Und dann?

Doht: Dann habe ich sofort mit dem Betriebsratsvorsitzenden des Opel-Werks telefoniert, anschließend habe ich mit dem Sparkassendirektor die Erklärung der Kanzlerin angesehen. Und als ich dann mit Berlin sprach und hörte, dass die Bedingungen, die GM für den Verkauf stellt, lösbar sind, war der Tag endgültig gerettet.

sueddeutsche.de: Der Magna-Plan sieht vor, alle deutschen Werke zu erhalten. Glauben Sie daran?

Doht: Ja, daran glaube ich.

sueddeutsche.de: Trotzdem: Auch in Eisenach werden Arbeitsplätze abgebaut.

Doht: Ich glaube, dass wir vom Jobabbau so gut wie gar nicht betroffen sein werden. Eisenach ist eines der modernsten Opel-Werke und, salopp gesagt, ein Brückenkopf in Richtung Osten. Im Magna-Konzept spielen wir eine wichtige Rolle, ganz anders als im Plan von Ripplewood. Da wäre dieser Standort für zwei Jahre stillgelegt worden. Das hätte das Ende bedeutet.

sueddeutsche.de: Glauben Sie, dass der Nervenkrieg nun endgültig vorüber ist?

Doht: Wenn man sieht, wie sich die beiden Amerikaner bei der Pressekonferenz in Berlin beglückwünscht haben und wie sich nun alle als Sieger fühlen, dann glaube ich, dass die Entscheidung endgültig ist.

sueddeutsche.de: Die Verträge sind noch nicht unterschrieben.

Doht: Stimmt. Und deshalb bleibe ich vorsichtig. Seit Seit März hängt an unserem Rathaus eine Opel-Fahne als Zeichen der Verbundenheit der Stadt mit der Belegschaft. Und ich habe immer gesagt, die bleibt da so lange, bis die Zukunft von Opel sicher ist.

sueddeutsche.de: Und wann wird sie abgenommen?

Doht: Noch lasse ich sie hängen. Ich will erst alles in trockenen Tüchern haben.

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