Krisenmanagement bei Lufthansa und Germanwings:"Spohr ist das Gesicht der Krise"

Germanwings And Lufthansa Respond To Latest Crash Investigation Developments

Lufthansa-Chef Carsten Spohr

(Foto: Getty Images)

Das Krisenmanagement bei Kastrophen wie jetzt beim Flugzeugabsturz in Frankreich ist für Unternehmen von immenser Bedeutung. Doch klappt es auch? Einer, der sich damit gut auskennt, ist Frank Roselieb. Er leitet in Kiel das Institut für Krisenforschung - eine Ausgründung der Universität Kiel. Es hat alle seit 1984 öffentlich gewordenen Krisenfälle auf deutschsprachigem Boden erfasst und analysiert.

Von Hans von der Hagen

SZ.de: Herr Roselieb, Lufthansa-Chef Carsten Spohr und Germanwings-Geschäftsführer Thomas Winkelmann sind derzeit allgegenwärtig auf deutschen Bildschirmen. Wer macht seine Sache besser?

Frank Roselieb: Bei Carsten Spohr wissen die Leute, dass er ein ehemaliger Pilot und Ingenieur ist. Das bedeutet: Er weiß, wovon er redet. Winkelmann ist eher der ruhige Managertyp mit einem Bürojob in Köln. Er muss sich als Geschäftsführer zeigen, aber Spohr ist das Gesicht der Krise.

Wie ist man als Unternehmen in einer solchen Lage glaubwürdig?

Durch die drei Grundregeln Echtzeit, Offenheit und Wahrheit. Daran haben sich Lufthansa und Germanwings auch gehalten: Sie haben Informationen schnell und auch von sich aus preisgegeben und nicht nur auf bohrende Nachfragen hin. Spohr sagte dabei auch zuweilen Dinge, die im Hinblick auf den Datenschutz grenzwertig sind - also etwa, dass der Copilot eine Auszeit während der Ausbildung hatte. Allerdings lassen sich Informationen in einem Fall wie diesem auch kaum zurückhalten: Zu viele Insider-Stimmen äußern sich zu dem Unfall.

Die öffentliche Kontrolle hilft also?

Einerseits ja, andererseits haben mich schon einige Dinge irritiert. Warum muss eine Politikerin in Montabaur ohne Rücksicht auf die Privatsphäre erklären, dass der Copilot bei seinen Eltern wohne? Warum gibt der Bürgermeister von Haltern sofort eine Pressekonferenz? Heftig ist aber vor allem die Staatsanwaltschaft, die aus wenigen Informationen rasch ein Gesamtbild formt.

Viele scheinen dankbar zu sein für das schnelle Vorgehen der Staatsanwälte ...

Wie übel Eile ausgehen kann, zeigte sich nach der Kollision einer Frachtmaschine der DHL mit einem Flugzeug der Bashkirian Airlines im Jahr 2002 bei Überlingen. Seinerzeit hatte die Schweizer Flugsicherung Skyguide eine ähnliche Pressekonferenz gegeben wie jetzt die französische Staatsanwaltschaft. Protokolle der Piloten-Gespräche mit dem Fluglotsen wurden veröffentlicht und man konnte heraushören, dass Skyguide mehrfach den russischen Piloten aufforderte, die Höhe zu verändern. So entstand ein falsches Bild: russische Maschine - russischer Pilot - mehrmals aufgefordert - gleich Unfähigkeit. Nur: Das stimmte überhaupt nicht. Später wurde deutlich, dass Skyguide die entscheidenden Fehler gemacht hatte, weil sie ihre Abläufe nicht im Griff hatte.

Alle Informationen, die wir über den aktuellen Fall haben, entstammen dem Stimmenrekorder der Blackbox. Sind Aufnahmen auf solchen Geräten denn normalerweise von so guter Qualität, dass man schnell verlässliche Aussagen treffen kann?

Ich habe mehrere Audiomitschnitte dieser Art angehört, und was man da vor allem hört, ist: Lärm. Wenn die Staatsanwaltschaft jetzt schon wissen will, dass der Copilot bis zum Ende ruhig geatmet hat, ist das recht mutig. In der Regel überlässt die Staatsanwaltschaft die Auswertung der Cockpit-Aufzeichnungen auch den Behörden und erhält einen schriftlichen Bericht. Oft hat die Staatsanwaltschaft aber noch viele Rückfragen an die Flugunfalluntersucher, denn sie kennt sich im Cockpit nicht aus. Von anderen Flugzeugabstürzen wissen wir, dass dieser Frage-Antwort-Prozess einige Zeit in Anspruch nimmt.

Wie funktioniert das Krisenmanagement nach einem Absturz?

Wenn sie das Krisenmanagement der Lufthansa mit dem oft kritisierten Krisenmanagement der Bahn nach dem Zugunglück in Eschede vergleichen - warum steht die Lufthansa nun besser da?

Die Lufthansa hatte in der Vergangenheit einige spektakuläre Fälle - etwa die Flugzeugentführung von Mogadischu 1977 und die Bruchlandung 1993 in Warschau. Daraus hat sie gelernt. Die Bahn erlebte ihren ersten Großschadensfall mit massiver medialer Aufmerksamkeit erst in Eschede 1998. Das Unternehmen wirkte auf ein Unglück solchen Ausmaßes kommunikativ nicht wirklich vorbereitet. Hinzu kam, dass andere Helfer viel besser aufgestellt waren: Beispielsweise fand zeitgleich in Hannover eine Fachtagung von Notfallärzten statt, die unmittelbar zum Einsatzort fuhren. Auch die Arbeit der Freiwilligen Feuerwehren aus der Nachbarschaft war recht professionell. Von denen hörte man viel, von der Bahn vergleichsweise wenig. Aber man darf natürlich nicht vergessen: Fluggesellschaften haben anders als die Bahn alle Passagierdaten vorliegen.

Warum hilft das?

Sie können zeitnah nach einem Unglück Kontakt mit den Angehörigen aufnehmen, über We-Care-Programme informieren und notfalls auch Verhaltenshinweise geben: 'Meiden Sie vorerst Journalisten. Sonst finden Sie sich morgen auf Seite eins der Bild-Zeitung wieder. Das hilft Ihnen nicht bei der persönlichen Trauerbewältigung.' Die Betreuung der Angehörigen ist unglaublich wichtig, daran bemisst sich in der Öffentlichkeit letztlich die Qualität der Krisenkommunikation.

Was passiert in einem Konzern, wenn ein solches Unglück passiert?

Die Lufthansa hat genau wie alle anderen Airlines sogenannte Flight Operation Center. Die sind im Grunde das Gehirn des Unternehmens und sie behalten alles im Blick - alle Flüge und indirekt auch alle Mitarbeiter. Eine Crew kann ja auch schon auf dem Weg zum Flughafen verunglücken. Wenn zu einem der Flugzeuge der Kontakt abbricht, gibt es Routinen: Zunächst fragt man bei der Flugsicherung nach. Außerdem werden andere Maschinen in der Luft aufgefordert, mit dem Piloten Kontakt aufzunehmen. Wenn es dann nach einer kurzen Frist weiterhin kein Signal gibt, wird Alarm ausgelöst.

Wie lange dauert es, bis sich ein Krisenstab gebildet hat?

30 bis 45 Minuten. Ablaufpläne legen genau fest, was jeder zu machen hat. Wer wen wann wie informieren muss. Auch alle Texte sind schon vorbereitet. Die müssen nur noch um die aktuellen Informationen ergänzt werden. Drei Teams übernehmen dann das eigentliche Krisenmanagement: Das Go-Team, das direkt zum Unglücksort fliegt. Es funktioniert ähnlich wie die Einsatzleitung einer Feuerwehr, nur eben aus Sicht einer Fluglinie. Es betreut Angehörige aber auch Journalisten am Unglücksort. Daneben wird das Care-Team aktiviert. Das sind die ganz normalen Mitarbeiter am Flughafen, also jene am Check-In oder auch Flugbegleiter, die gerade nicht in Flugzeugen unterwegs sind. Die dritte Ebene sind die Home-Teams, die in der Konzernzentrale sitzen und von dort die Kommunikation nach außen hin starten.

Wie geht der Fall nun aus Sicht der Lufthansa und von Germanwings weiter?

Die Ad-hoc-Krisenkommunikation läuft jetzt, meist etwa für ein bis zwei Wochen. Dann beginnt die sogenannte Prozess-Kommunikation, da geht es um die Aufarbeitung des Falls und auch die Entschädigungen für Angehörige. Die sind durch internationale Abkommen geregelt. Bei vergangenen Krisenfällen wurden in der Regel etwa 100.000 Euro pro Passagier gezahlt. Doch die Summen fallen bei den einzelnen Airlines unterschiedlich aus, die Lufthansa dürfte im Zweifelsfall auch mehr zahlen.

Wie lange dauert es, bis das Geld fließt?

Schon jetzt gibt es als Soforthilfe laufende Zahlungen an Hinterbliebene, etwa an Jugendliche, die ihre Eltern verloren haben oder an jene Familien mit Selbständigen, bei denen plötzlich das Einkommen fehlt. Auch die unmittelbaren Trauerkosten - beispielsweise für die Reise an den Unglücksort - werden natürlich übernommen. In der Regel liegt nach drei bis vier Monaten ein Zwischenbericht der Flugunfalluntersuchungsbehörden vor. Bis zum Abschlussbericht können mehrere Jahre vergehen. Parallel beginnt meist auch die sogenannte Erinnerungskommunikation. Es werden Gedenktafeln errichtet und Angehörige über viele Jahre hinweg betreut: Die einstige Fluggesellschaft Swissair, die unter dem Namen Swiss mittlerweile zur Lufthansa gehört, verlor 1998 ein Flugzeug vor Neufundland. Da fliegt die Lufthansa-Tochter bis heute regelmäßig Angehörige hin - zur ganz persönlichen Trauerbewältigung.

Frank Roselieb

Frank Roselieb vom Institut für Krisenforschung in Kiel.

(Foto: privat)
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