Europäische Zentralbank:Draghis Vermächtnis

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EZB-Chef Mario Draghi. (Foto: AP)

EZB-Chef Mario Draghi wurde am Anfang seiner Amtszeit zum Retter der Euro-Zone. Doch ihm fehlt der Erfolg im Kerngeschäft eines Notenbankers: Preisstabilität.

Kommentar von Markus Zydra

In einigen akademischen Zirkeln ist man fest davon überzeugt, dass die Europäische Zentralbank (EZB) zu wenig für die Menschen tut. Ihr Vorschlag: Die Währungshüter könnten jedem Bürger in der Euro-Zone einmalig 500 Euro schenken. Die meisten gäben das Geld schnell aus, und Europas von Nachfrageschwäche geplagte Wirtschaft würde auflodern. Es wäre, so die Verfechter der Idee, der Kickstart für eine wirkliche Erholung der Euro-Zone. Bei der EZB kennt man die Anregung und weiß, was ihre Verfechter mitteilen wollen: "Falls ihr es nicht schafft, Europas Wirtschaft anzukurbeln - wir wissen, wie es geht!"

Für EZB-Präsident Mario Draghi ist die Kampagne "Geld für Menschen statt für Banken" schmerzhaft, macht sie doch deutlich, wie vergleichsweise wenig die Notenbank in den vergangenen Jahren erreicht hat: Die EZB pumpt Billionen Euro in den Bankensektor. Die Risiken dieser Geschäfte trägt am Ende der Steuerzahler. Doch Europas Wirtschaft kommt nur schleppend in Gang. Die Arbeitslosigkeit ist weiterhin hoch. Die Menschen, so scheint es, haben nichts von der EZB.

Für Draghi beginn nun die zweite Hälfte seiner Amtszeit. In den ersten vier Jahren wurde er zum Retter der Euro-Zone, weil er versprach, die EZB werde alles tun, um den Euro zu retten. Der Italiener hat gezeigt, dass er in extremen Notfällen umstrittene Entscheidungen treffen kann, von denen rückblickend einige gar nicht so nachteilig waren, wie man in Deutschland befürchtete.

Famoser Retter, aber schwacher Geldpolitiker?

Doch jetzt steht er vor einem Problem, dessen Lösung einen langen Atem braucht. Der Blick auf die USA zeigt die Dimension. Dort wächst die Wirtschaft, und die Notenbank Fed hat erstmals seit 2006 den Leitzins erhöht, auch weil die Inflationsrate dort deutlich gestiegen ist. Draghi liegt da im Vergleich zurück, obwohl er sich abstrampelt: Die EZB wird bis März 2017 für rund 1,5 Billionen Euro Anleihen aufkaufen. Knapp 500 Milliarden Euro davon sind schon ins System geflossen. Die Notenbank hat zudem attraktive Kreditprogramme für die Banken aufgelegt und den Leitzins auf 0,05 Prozent gesenkt. Den Kreditinstituten brummte man einen Strafzins auf, um sie zur Kreditvergabe zu zwingen. Draghi musste für viele Maßnahmen in den Ring steigen, denn es gibt einige Kritiker im EZB-Rat. Er braucht daher Erfolge. Doch auch er sieht, wie das Geld der EZB im Finanzsystem stecken bleibt. Es zirkuliert nicht.

Für Draghi geht es um die Ehre. Den Retter-Nimbus kann ihm keiner mehr nehmen. Doch jetzt fehlt ihm der Erfolg im Kerngeschäft eines Notenbankers: die Preisstabilität zu sichern. Spätestens bis zu seinem Ausscheiden 2019 möchte er nicht nur eine Inflationsrate von knapp zwei Prozent erreichen, sondern auch den Leitzins wieder normalisieren. Das sind die Eckpunkte, an denen man den Erfolg eines Geldpolitikers misst. Zwar können viele Bürger keinen Nachteil darin sehen, dass die Inflationsrate nur bei 0,2 Prozent liegt. Man kriegt mehr für sein Geld. Doch die EZB kämpft gegen zu hohe und zu niedrige Preise. Der ehrgeizige Draghi wird dem Erreichen dieser Ziele alles unterordnen. Für ihn geht es um sein Vermächtnis, und wie er in die Geschichte eingeht. Famoser Retter, aber schwacher Geldpolitiker? Das ist ihm zu wenig.

Letzter Ausweg Staatsfinanzierung

Das kommende Jahr ist entscheidend. Wenn die Euro-Schwäche ausreicht, um Europas Exportsektor und den Rest der Wirtschaft anzuschieben, ist es gut. Doch was macht Draghi, wenn die Inflation weiter nahe null Prozent bleibt? Die EZB könnte Unternehmensanleihen kaufen. Doch soll die EZB wirklich großen Industrieunternehmen Kredit geben? Die EZB könnte Aktien kaufen, auch das ist erlaubt. Dann sitzt ein Vertreter Draghis bei den Hauptversammlungen mit im Saal und entscheidet mit über Geschäftsstrategie und Dividende. Auch diese Aussicht ist nicht prickelnd.

Doch was, wenn alles nichts fruchtet?

Immerhin hat die Idee, Geld zu verschenken, renommierte Paten. Es war der frühere US-Notenbankchef Ben Bernanke, der im Jahr 2002 die dem Nobelpreisträger Milton Friedman zugeschriebene Metapher vom "Helikoptergeld" aus der Konserve holte. Eine Notenbank müsse im Notfall aus dem Helikopter über dem ganzen Land Geldscheine abwerfen - bildlich gesprochen. Die EZB sagt zu Recht, das sei illegale Staatsfinanzierung. Doch wenn es für die Euro-Zone um alles oder nichts ging, ist Draghi in diesen Situationen immer noch ein Ausweg eingefallen.

© SZ vom 28.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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