ESM-Klage vor dem Bundesverfassungsgericht:58 Tage banges Warten für Merkel

Erst im September will das Bundesverfassungsgericht über die Eilanträge gegen den Euro-Rettungsfonds ESM und den Fiskalpakt entscheiden. Zwar zeigt sich die Eurogruppe vorsichtig erleichtert, doch Kanzlerin Merkel muss fürchten, dass ihr wichtigstes Projekt gefährdet wird.

Der ursprüngliche Plan ist spätestens jetzt endgültig dahin. Schon im Juli sollte der dauerhafte Euro-Rettungsschirm aufgespannt werden. Doch mehrere Kläger reichten Eilanträge beim Bundesverfassungsgericht ein und erzwangen so eine Verschiebung des Gesetzes.

Erst am 12. September wollen die Richter in Karsruhe nun ihr Urteil über die Eilanträge gegen den Nachfolger des temporären EFSF und den Fiskalpakt verkünden. "Es wird eine eingehendere summarische Rechtsprüfung erfolgen, für die der Senat etwas mehr Zeit benötigt", sagte Gerichtssprecherin Judith Blohm.

58 Tage muss Bundeskanzlerin Merkel nun abwarten, ob das höchste deutsche Gericht die Euro-Rettung in ihrer bisherigen Form für verfassungsgemäß erklären - und damit eines der wichtigsten Projekte der Bundesregierung absegnen. Scheitert der Rettungsschirm, könnte das erhebliche Folgen für den Euro und die Zukunft Europas haben.

Entsprechend nervös zeigten sich Koalitionspolitiker in den vergangenen Tagen: Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) hatte an die Richter appelliert, die Entscheidung möglichst schnell zu treffen. Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) hatte vor gravierenden Folgen gewarnt, sollten ESM und Fiskalpakt nicht in Kraft treten. Auch der FDP-Vorsitzende im Europaparlament, Alexander Graf Lambsdorff, hatte vor einem "schweren Schlag für ganz Europa" gewarnt und den höchsten deutschen Richtern sogar vorgeworfen, nicht mit allen Vorgängen in Europa ausreichend vertraut" zu sein.

Eurogruppe vorsichtig erleichtert über September-Termin

Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle hatte bereits in der mündlichen Verhandlung vergangene Woche angedeutet, dass sich das Gericht mit der Eilentscheidung mehr Zeit lassen könnte als die üblichen drei bis vier Wochen und dafür eine gründlichere Prüfung vornehmen könnte. Voßkuhle begründete das mit der öffentlichen Wirkung der Eilentscheidung - etwa, falls die Richter den Rettungsschirm vorläufig stoppen, später dann aber doch genehmigen. Andererseits wäre eine vorläufige Zustimmung des Gerichts zu den Rettungsmaßnahmen später nicht mehr rückgängig zu machen.

Das Gericht steht bei seiner Entscheidung unter erheblichem Druck, geht es doch um eine der wichtigsten Fragen der vergangenen Jahre. Es wird erwartet, dass die Richter im September bereits auch Stellung dazu nehmen, ob die eigentlichen Klagen gegen den Rettungsschirm ESM und den Fiskalpakt Aussicht auf Erfolg haben. Die Begründung der Eilentscheidung käme so einem endgültigen Urteil schon relativ nahe.

In der Eurogruppe wurde der Termin für das ESM-Urteil mit vorsichtiger Erleichterung aufgenommen. Der 12. September sei "schon einmal eine gute Nachricht", hieß es aus Eurogruppenkreisen. Denn bisher sei damit gerechnet worden, dass sich Karlsruhe "drei bis vier Monate" Zeit für die Rechtsprüfung nehme. Die Bundesregierung wollte die Entscheidung für den Termin nicht kommentieren. "Die Bundesregierung beurteilt das gar nicht, sie nimmt das mit allem gebotenen Respekt vor dem Bundesverfassungsgericht zur Kenntnis", sagte Regierungssprecher Steffen Seibert.

Der ESM soll Euro-Ländern mit bis zu 500 Milliarden Euro beistehen können. Damit das geschehen kann, müssen zuvor aber überhaupt erst genügend Länder den ESM-Vertrag ratifizieren, damit der Rettungsfonds auch zu mindestens 90 Prozent gefüllt ist. Genau da hapert es allerdings. Bislang haben erst 13 von 17 Euro-Staaten den ESM-Vertrag ratifiziert: Frankreich, Spanien, Griechenland, Portugal, Finnland, Österreich, die Niederlande, Zypern, Belgien, Slowenien, Luxemburg, Malta und die Slowakei. In Estland und Irland steht die endgültige politische Bestätigung noch aus. Auch in Italien ist der Ratifizierungsprozess nicht komplett abgeschlossen.

Wird Europa fundamental verändert?

Hierzulande hat Bundespräsident Joachim Gauck angekündigt, die Gesetze nicht vor der Eilentscheidung aus Karlsruhe unterzeichnen zu wollen. Sollten die Esten oder Iren nicht zustimmen, wäre das noch zu verkraften, weil sie den ESM mit ihrem geringen Kapitalanteil von zusammen weniger als zwei Prozent nicht gefährden könnten. Ein "Nein" aus Deutschland oder Italien aber wäre fatal: Denn Berlin zahlt gut ein Viertel, Rom knapp ein Fünftel des Geldes in den ESM-Topf ein. Stellt sich also nur eines der beiden Länder quer, liegt die 90-Prozent-Marke außer Reichweite.

Im Kern geht es in Karlsruhe um die Frage, ob der dauerhafte Rettungsfonds Europa fundamental verändert. Mehrere Gruppen von Klägern haben gegen die Ende Juni von Bundestag und Bundesrat beschlossenen Schritte zur Euro-Rettung Verfassungsbeschwerden eingelegt. Darunter sind die Linksfraktion im Bundestag, der in seiner Partei weitgehend isolierte CSU-Politiker Peter Gauweiler und der Verein "Mehr Demokratie", dessen Beschwerde sich etwa 23.000 Bürger angeschlossen haben.

Die Kläger sehen mit dem ESM unkalkulierbare Risiken auf Deutschland zukommen. Die damit verbundenen Belastungen seien kaum abzuschätzen. Damit werde das Haushaltsrecht der Parlamentarier ausgehöhlt. Deutschland steht beim ESM mit 22 Milliarden Euro in bar und weiteren 168 Milliarden Euro an abrufbarem Kapital gerade. Kritiker rechnen jedoch mit zwei höheren Summen und sprechen von einer möglichen Belastung von bis zu 900 Milliarden Euro.

Die Bundesregierung allerdings sieht den ESM und den zugehörigen Fiskalpakt, mit dem sich 25 EU-Staaten auf strenge Schuldenbremsen verpflichten, dagegen nur als eine weitere Rettungsaktion an, welche die vertraglich vereinbarte Stabilität des Euro sichern soll.

Sie hat versichert, dass auch weiterhin die einzelnen Staaten der Eurozone für Hilfen an ihre Banken aus dem Euro-Rettungsfonds haften, so etwa im Falle Spanien. "Die Rekapitalisierungshilfe für die spanischen Banken wird so abgewickelt, wie der Bundestag diese beschlossen und genehmigt hat", betonte Regierungssprecher Seibert. "Das heißt, der Staat stellt den Antrag, der Staat nimmt das Geld entgegen und der Staat haftet." Dies gelte auch für den dauerhaften Rettungsschirm ESM. Der künftige ESM-Chef Klaus Regling hatte am Wochenende erklärt, wenn Hilfen aus dem Rettungsfonds künftig wie vorgesehen direkt an Banken gegeben würden, dann sei "das Land raus aus der Haftung".

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