Kampf um den Mindestlohn:Sozialismus in Seattle

Seattle City Council member Kshama Sawant addresses rally in support of a $15 minimum wage at Seattle Central Community College

Kämpfernatur: Die 41-jährige Ökonomin und Stadträtin von Seattle Kshama Sawant

(Foto: REUTERS)
  • Seattle ist die amerikanische Hauptstadt der alternativen, grünen Bewegung - und die Stadt mit dem höchsten Mindestlohn innerhalb der USA. Hier gibt es schon 15 Dollar in der Stunde.
  • Eine entscheidende Rolle bei der Durchsetzung in Seattle spielte die Ökonomin Kshama Sawant. Sie gehört einer trotzkistischen Splittergruppe an, die unter anderem die Verstaatlichung großer US-Firmen und eine sozialistische Planwirtschaft fordert.
  • Mehrere Branchen wollen jetzt erreichen, dass diese Lohnuntergrenze für die gesamten Vereinigten Staaten gilt. Am 15. April sollen Zehntausende in 200 Städten streiken.

Von Nikolaus Piper

Seattle, die traumhaft gelegene Metropole im Nordwesten der Vereinigten Staaten, ist nicht nur die Heimat von Starbucks, Microsoft und Boeing, sondern auch die grün-alternative Hauptstadt von Amerika. Seattle rühmt sich, "nationaler Meister in Sachen Energiesparen, grüner Energie und nachhaltigem Bauen" zu sein. Der Stromversorger Seattle City Light gilt als "grünstes Versorgungsunternehmen der Nation".

Inzwischen ist Seattle auch die Stadt mit dem höchsten Mindestlohn in den USA: 15 Dollar in der Stunde, verglichen mit 8,75 in New York und 7,25 Dollar in Idaho. Das Beispiel macht Schule. Inzwischen haben Gewerkschaften und linke Gruppen eine Kampagne für die 15 Dollar in den gesamten USA gestartet. Dass es dazu gekommen ist, hat viel mit Kshama Sawant zu tun. Die 41-jährige Ökonomin setzte voriges Jahr als Stadträtin in der Volksvertretung Seattles den 15-Dollar-Beschluss durch. Und dies, obwohl sie aus einer krassen Außenseiter-Position antrat. Sawant ist die einzige Stadträtin in den gesamten USA, die von der Partei "Sozialistische Alternative" gestellt wird, einer trotzkistischen Splittergruppe, die unter anderem die Verstaatlichung aller großen Unternehmen in den USA und eine sozialistische Planwirtschaft fordert. Das ist ziemlich viel, selbst im progressiven Seattle.

Kshama Sawant wurde im indischen Puna in eine Mittelklasse-Familie geboren. Ihr Vater war Ingenieur, ihre Mutter Lehrerin. Sie studierte Informatik an der Universität Mumbai, heiratete einen Microsoft-Ingenieur und zog mit ihm nach Seattle; 2010 wurde sie Bürgerin der Vereinigten Staaten. Hier absolvierte sie auch ein zweites Studium in Ökonomie und hat heute einen Job als Teilzeit-Professorin an der Universität Seattle.

Eine Traumkombination

Die junge Frau ist, wie sie selbst sagt, ebenso empört über das Kastensystem in Indien wie über die Kluft zwischen Arm und Reich in Amerika. 2011 wird sie beflügelt durch die Aktion "Occupy Wall Street" in New York, im Jahr darauf kandidiert sie - vergeblich - für das Repräsentantenhaus des Staates Washington. Schließlich macht sie sich die Forderung der Dienstleistungs-Gewerkschaft SEIU nach 15 Dollar Mindestlohn zu eigen. Es ist eine Traumkombination: Sawant hat ihr Thema gefunden, die Gewerkschaft nutzt das Talent der Ökonomin für Agitprop, um die eigene Sache voranzubringen. Im November 2013 wird sie mit ihrer Lohnforderung in den Stadtrat gewählt. Dabei besiegt sie - Ironie der Geschichte - ausgerechnet den linken Demokraten Richard Conlin, der maßgeblich dazu beigetragen hatte, dass Seattle eine so grüne Stadt wurde. Sawant lehnt das bestehende Zwei-Parteien-System in den USA grundsätzlich ab.

Am 4. November muss sie sich erneut den Wählern stellen. Dann wird sich zeigen, ob diese dazu bereit sind, die vielen steilen Thesen der Trotzkistin zu akzeptieren. Ein Beispiel: Als der Flugzeug-Konzern Boeing, einer der wichtigsten Arbeitgeber Seattles, damit gedroht hatte, wegen des Mindestlohns die Produktion in andere Bundesstaaten zu verlagern, sagte Sawant nach einem Bericht des lokalen Fernsehsenders KiroTV: "Falls die Boeing-Manager die Fabrik nicht hier lassen wollen, kann unsere Antwort nur sein: Die Maschinen sind hier, die Arbeiter sind hier, wir machen den Job, wir brauchen keine Manager. Die Maschinisten machen den Job, nicht die Manager." Boeing könne danach ja Busse statt Flugzeuge bauen.

Ihr Privatleben schirmt Sawant ab, so gut es eben geht, wenn man ein Star ist. Ein Reporter der Seattle Times fand immerhin dies heraus: Die Stadträtin wohnt in dem wohlhabenden Stadtteil Leschi. Demnächst will sie ein zweites Mal heiraten. Und sie besitzt zwei Hunde. Die heißen "Che" und "Rosa".

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