Jobabbau:Aufstand der Siemens-Blaumänner

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Ganz Ruhstorf bangt: Zur Demonstration vor dem Siemens-Werkstor am Dienstag kamen nicht nur die Arbeiter, sondern viele Unterstützer aus dem Ort. (Foto: Armin Weigel/dpa)

Was wird aus Ruhstorf, wenn Siemens hier 700 Jobs streicht? Die Menschen fühlen sich verraten - auch weil Konzernchef Kaeser ein Landsmann ist.

Reportage von Andreas Glas, Ruhstorf

Im Gasthof Besenhart, es ist Dienstagnachmittag, kurz nach drei. Zu früh für ein Bier, jedenfalls normalerweise. Aber normal ist seit einer Woche nichts mehr in Ruhstorf, und weil das so ist, bestellt Felix Schmidt ein zu frühes Weißbier. Er sitzt auf der Eckbank, die Wand hinter ihm ist holzvertäfelt, sehr schön, auch der Kachelofen. "Und warum ist das Wirtshaus so schön? Weil es Siemens gibt", sagt Felix Schmidt, 50, und damit hat er schon ziemlich gut erklärt, was in Ruhstorf alles auf dem Spiel steht.

Ruhstorf, oder "Ruschtorf", wie der Niederbayer sagt, liegt 20 Kilometer südwestlich von Passau, hat 7000 Einwohner, eine Zwiebelturmkirche, eine Tankstelle, eine Sparkasse, eine Raiffeisenbank. "Eine reine Arbeiterstadt", sagt Schmidt, man kann das mittags gut sehen, wenn die Blaumannträger-Armee vom Siemens-Werkstor rüber zur Metzgerei marschiert, um sich die täglichen Leberkässemmeln zu holen. Dazu kommen die Arbeiter der Motorenfabrik Hatz, des zweiten großen Werks im Ort. Wären die Fabriken nicht da, "dann wäre hier nichts los", sagt Felix Schmidt. Seit 35 Jahren ist er bei Siemens, beziehungsweise: bei der Loher GmbH, wie das Werk bis zur endgültigen Übernahme 2012 hieß. Seit acht Jahren ist er im Betriebsrat. Seit einer Woche ist er verzweifelt.

Siemens will fast 2000 deutsche Jobs streichen - 700 davon in Ruhstorf

"An Siemens hängt ja so viel dran", sagt Thomas Hackinger, 34, blondes Strubbelhaar, blau blitzende Augen. Auch er sitzt in der Wirtsstube, über der Stuhllehne ein Anorak mit Loher-Emblem. Er hat die Siemens-Jacke gegen den alten Anorak getauscht - aus Protest, weil der Siemenskonzern fast 2000 Stellen in Bayern streichen will. Am härtesten trifft es die Standorte Nürnberg und eben Ruhstorf, wo jeweils etwa 700 Arbeitsplätze wegfallen sollen. Die Großstadt Nürnberg wird daran nicht zerbrechen, für das kleine Ruhstorf aber ist es eine Katastrophe.

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Seit acht Jahren baut Thomas Hackinger im Ruhstorfer Siemenswerk Motoren zusammen - für Ölbohrinseln, für Tunnelbohrmaschinen. Er fuhr gerade vom Fußballtraining nach Hause, als er im Autoradio von den Entlassungsplänen hörte. Er ist Spielertrainer im Nachbarort, beim SV Pocking, und um zu begreifen, was ein Siemens-Kahlschlag für die Region bedeuten würde, reicht ein Blick auf die Pockinger Mannschaftsaufstellung. Der Torwart: bei Siemens, ein Verteidiger: bei Siemens, der Sechser: bei Siemens, beide Stürmer: bei Siemens. Ein ganzer Landstrich bangt.

Dabei waren sie doch eine große Familie, die Region um Ruhstorf und der örtliche Maschinen- und Motorenbauer. Schon der Opa hat als Schlosser bei Loher gearbeitet, später kam der Papa dazu, heute geht der Sohn bei Siemens in die Lehre - solche Familiengeflechte gibt es zuhauf im Ruhstorfer Werk. Die Opas und die Väter nannten sich Loheraner, die Enkel Siemensianer, man ist hier eben stolz auf die Arbeit, und das ist es, was den Ruhstorfern jetzt Angst macht: dass man ihnen nicht nur die Arbeit nimmt, sondern auch den Stolz.

Wer ihren Stolz erschüttert hat, das haben die Ruhstorfer längst ausgemacht. Der Schuldige heißt Joe Kaeser, ist Siemens-Konzernchef und, welch Ironie: Niederbayer. Einer, der seine Heimat verraten hat, findet Betriebsrat Felix Schmidt. "Total amerikanisiert" sei der Siemenschef, nicht umsonst habe er sich umbenannt - von Josef Käser zu Joe Kaeser. Wie groß die Wut auf den Konzernchef ist, kann man am Dienstagmittag beobachten, bei einer Protestkundgebung am Werkstor. Die komplette Arbeiterschaft ist da, 1300 Leute, aber auch Unterstützer von außerhalb, mehrere Hundert. Aus Ruhstorf, aus Pocking, aus Bad Griesbach, die Region hält zusammen.

"Das ist er! Der ist schuld", ruft IG-Metall-Bezirksleiter Jürgen Wechsler ins Mikro und deutet auf die Holzschilder, die einige Siemens-Mitarbeiter in die Höhe halten. Die Leute buhen, klatschen, trillerpfeifen. Auf den Holzschildern ist Siemenschef Kaeser abgebildet, dazu Sprüche wie: "Joe, verkaufst du deine Heimat?" Denn so fühlt es sich an für die Ruhstorfer: als ob ein Stück Heimat bedroht ist.

Monteur Thomas Hackinger, Betriebsrat Felix Schmidt und Schichtführer Robert Kollmeier (von links) machen sich Sorgen um ihre Zukunft. (Foto: Armin Weigel)

Wer heute in Ruhstorf lebt, der kennt den Ort ja nur mit Fabrik. Die Firma Loher wurde 1895 gegründet, der Ort ist mit dem Werk gewachsen. Robert Kollmeier, 45, wohnt im Nachbardorf, er kann und will sich Ruhstorf nicht ohne Siemens vorstellen. "Ich kenne es nicht anders, ich war noch nie woanders", sagt Kollmeier, ein Ohrläppchenstecker rechts, zwei links, am Hosenbund baumelt der Siemens-Mitarbeiterausweis. Er hat sich mit an den Tisch gesetzt, er will auch was loswerden, er ist ja lange genug dabei. Vor 29 Jahren hat er bei Loher eine Mechanikerlehre gemacht, heute ist er Schichtführer bei Siemens, verdient gut, hat ein Haus gebaut, ist gerade wieder Vater geworden. "Du denkst, du baust dein Leben auf einer sicheren Basis", sagt Kollmeier, "und dann haut man dir beim Gehen die Füße weg."

2005 gab Siemens den Loheranern Sicherheit, heute haben sie Angst

Robert Kollmeier war in den Boomjahren dabei, in den Neunzigern, als das Geschäft brummte und die Ruhstorfer Maschinen und Motoren weltweit gefragt waren. Er war auch dabei, als es beschissen lief, als dem Werk die Schließung drohte, damals, Anfang der Nullerjahre. Und er war bei der Rettung dabei, im Jahr 2005, als Siemens die Loher GmbH übernahm und eine ganze Region aufatmen ließ. "Mein erster Gedanke war: Jetzt kommt Ruhe rein, jetzt können wir wieder ruhig schlafen", erinnert sich Kollmeier. Der Konzern hat ja gleich kräftig investiert in Ruhstorf, hat alle Hallen saniert, alle Fenster ausgetauscht, hat neue Stanzmaschinen und Roboteranlagen gekauft. "Die Investitionen haben uns Sicherheit gegeben", sagt Kollmeier. Er meint das Gefühl, dass der große Siemenskonzern es ernst meint mit dem kleinen Ruhstorf, dass der Konzern in der Provinz sesshaft wird. Ein trügerisches Gefühl, wie er jetzt weiß.

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Aber aufgeben? "Niemals", sagt Betriebsrat Felix Schmidt. Er nimmt den letzten Schluck Weißbier, schiebt das Glas samt Bierfilz zur Seite und sagt: Die Kundgebung am Werkstor, "das ist nur der Aufschlag gewesen, jetzt müssen wir dran bleiben". Er setzt auf die Unterstützung der Politik, auch wenn er misstrauisch ist, er war ja dabei, als Wirtschaftsministerin Ilse Aigner (CSU) am vergangenen Montag zu Besuch in Ruhstorf war, sich vors Werkstor stellte und den Reportern sagte, dass hier alles "so sozialverträglich wie möglich ablaufen" müsse. Für ihn klang das, als habe die Ministerin die 700 Arbeitsplätze schon aufgegeben, als gehe es nur noch um die Höhe der Abfindungen, "mir hat diese Aussage nicht gefallen", sagt Schmidt, dann sagt er: "Zahlen bitte!"

"Wir müssen jetzt alle zusammenhalten", sagt die Wirtin

Susanne Besenhart, die Wirtin, kommt zum Tisch, eine schmale Frau mit schwarzer Schürze. Auch sie war bei der Kundgebung, hat zur Mittagszeit die Wirtschaft zugesperrt, um hingehen zu können. Auch sie lebt von Siemens, von den Arbeitern, die hier zum Essen gehen, aber auch von den Geschäftsmännern aus Tschechien und China, die nach dem Werksbesuch in der Wirtsstube einkehren oder in einem der Gästezimmer übernachten. Sollten tatsächlich 700 Leute ihren Job verlieren, "dann fällt bei uns alles weg: der Metzger, der Bäcker und irgendwann der Kindergarten, das ist ein Rattenschwanz", sagt Susanne Besenhart.

Aus ein paar Sätzen wird ein Monolog, ein paar Minuten poltert die Wirtin gegen die Politik, die Großkonzerne und die Großkopferten im Allgemeinen. Und was ist mit der Rechnung? "Das passt schon", sagt Susanne Besenhart, "wir müssen jetzt alle zusammenhalten."

© SZ vom 17.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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