Immobilienmarkt:Bauboom nutzt vor allem Flüchtlingen und Großverdienern

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Links eine neugebaute Flüchtlingsunterkunft in München, rechts die Hamburger Hafencity (Foto: Stephan Rumpf/Reuters)
  • In der ersten Hälfte des Jahres sind in Deutschland mehr als 182 000 neue Wohnungen genehmigt worden - das ist das stärkste erste Bau-Halbjahr seit 16 Jahren.
  • Die Wohnungen entstehen vor allem in Ballungsräumen. Der Eigenheimbau auf dem Land bleibt stabil.
  • Gebaut wird zudem zu großen Teilen für Flüchtlinge oder von Großverdienern. Bezahlbarer Wohnraum bleibt Mangelware.

Von Benedikt Müller

Das Wachstum ist stark. Doch so richtig freut sich niemand über die Zahlen, die das Statistische Bundesamt am Donnerstag veröffentlicht hat. Demnach ist in der ersten Jahreshälfte bundesweit der Bau von mehr als 182 000 neuen Wohnungen genehmigt worden. Das sind gut 30 Prozent mehr als im gleichen Zeitraum des Vorjahres. Die Statistiker verzeichnen das stärkste erste Bau-Halbjahr seit 16 Jahren.

Trotzdem glauben weder der Mieterbund noch die Immobilienwirtschaft, dass der Mangel an bezahlbarem Wohnraum in absehbarer Zeit enden wird. "Vor dieser Fehlinterpretation kann ich nur warnen", sagt Andreas Ibel, Präsident des Bundesverbands Freier Immobilien- und Wohnungsunternehmen (BFW). "Die Wohnungsknappheit in den Ballungszentren wird dadurch nicht geringer."

Entscheidend ist nämlich nicht, wie viele neue Wohnungen genehmigt werden, sondern wer die Wohnungen letztlich baut, wo sie entstehen, wann sie fertig werden. Und natürlich: Für wen sie bezahlbar sein werden.

SZ-Grafik (Foto: N/A)

Neue Wohnungen entstehen vor allem in Ballungsgebieten

Politik und Immobilienwirtschaft stehen da vor einer großen Herausforderung. Nicht nur, weil im vergangenen Jahr etwa eine Million Flüchtlinge nach Deutschland gekommen sind. Schon seit Jahren ziehen mehr Menschen als erwartet vom Land in die Stadt, den Studien- und Arbeitsplätzen hinterher. Doch weil der Wohnungsbau nicht ausreichend nachgezogen hat, steigen Immobilienpreise und Mieten vielerorts schneller als die Einkommen.

Da ist es ein gutes Zeichen, dass im ersten Halbjahr vor allem mehr neue Mehrfamilienhäuser genehmigt wurden, sagt Claus Michelsen, Immobilienexperte des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW). "So besteht die Hoffnung, dass der Neubau an der richtigen Stelle stattfindet." Die Zahl der neu genehmigten Einfamilienhäuser ist dagegen mit zwölf Prozent nicht so stark gestiegen, obwohl die Bauzinsen so niedrig sind wie nie zuvor. Damit setzt sich eine Entwicklung fort, die man seit 2010 beobachten kann: Es entstehen vor allem neue Wohnungen in den Ballungsgebieten, der Eigenheimbau auf dem Land bleibt hingegen stabil.

Dem Statistischen Bundesamt zufolge ist die Zahl der genehmigten Wohnungen vor allem im Rhein-Main-Gebiet (plus 43 Prozent), im Ballungsraum Stuttgart (plus 42 Prozent) sowie im Rhein-Neckar-Gebiet (plus 38 Prozent) besonders stark gestiegen. Allgemein fällt der Bauboom im Süden Deutschlands stärker aus als im Norden.

Den hohen Wachstumsraten liegen allerdings auch zwei Sondereffekte zugrunde. Zum einen wurden in der ersten Jahreshälfte fast dreimal so viele neue Wohnungen in Wohnheimen genehmigt wie im Vorjahr. Hier zeigt sich, dass viele Unterkünfte für Flüchtlinge gebaut werden. Den klassischen Wohnungsmarkt entlastet das zunächst nicht. Rechnet man diesen Effekt aus den Genehmigungszahlen heraus, bleibt immerhin noch ein Plus von gut 22 Prozent.

Zum anderen sind zu Jahresbeginn schärfere Energiestandards für Wohnhäuser in Kraft getreten. Sie verteuern das Bauen um bis zu sieben Prozent, schätzen die Verbände der Wohnungswirtschaft. Deshalb haben viele Bauherren Ende 2015 noch schnell einen Bauantrag gestellt, um nach den alten Energievorschriften bauen zu dürfen, "obwohl der tatsächliche Baubeginn oftmals noch ungewiss ist", heißt es beim BFW. Die entsprechenden Genehmigungen wurden Anfang 2016 erteilt und ziehen nun die Statistik nach oben.

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Eine Entlastung auf den Wohnungsmärkten ist nicht in Sicht

Gerade deshalb bleibt unklar, wie viele der nun genehmigten Wohnungen letztlich auch gebaut werden - und vor allem wann. Für gewöhnlich vergeht mindestens ein Jahr von der Genehmigung bis zum ersten Spatenstich. Wie Wohnungsunternehmen berichten, verzögern Streitigkeiten bei der Planung immer häufiger den Bau. Im Schnitt kann erst zwei Jahre nach der Genehmigung der erste Eigentümer oder Mieter einziehen.

Wer wird das sein bei den Wohnungen, die nun gebaut werden? Laut Statistik entstehen fast die Hälfte der neuen Geschosswohnungen als Eigentumswohnungen. Diese sind allerdings gerade eine begehrte Geldanlage von Investoren aus der ganzen Welt. "Neubauten entstehen zurzeit eher im hochpreisigen Segment", sagt DIW-Forscher Michelsen. Die Bauherren verwenden hochwertige Böden, Fenster, Materialien. Darauf weisen auch die durchschnittlichen Baukosten pro Quadratmeter hin, die laut der Statistik weiter gestiegen sind. "Mittelfristig hilft zwar jede neue Wohnung gegen die Knappheit", sagt Michelsen, "aber was bezahlbaren Wohnraum angeht, ist keine unmittelbare Entspannung zu erwarten." Das liegt auch daran, dass die Preise für Baugrundstücke in den Großstädten in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen sind. Die hohen Bodenpreise bezahlen letztlich Käufer und Mieter.

Deshalb sieht auch der Deutsche Mieterbund noch keinen Durchbruch im Wohnungsbau. "Die dringend benötigte Entlastung auf den Wohnungsmärkten bringt der Anstieg der Baugenehmigungen noch nicht mit sich", sagt Mieterbund-Chef Lukas Siebenkotten. Auch die Bundesregierung geht davon aus, dass jährlich mindestens 350 000 neue Wohnungen gebaut werden müssten, um den Bedarf zu decken. Dafür reichten die nun genehmigten Wohnungen noch nicht, sagt Siebenkotten. "Und genehmigt heißt längst noch nicht gebaut."

© SZ vom 19.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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