Wohnen:Darum profitieren nur wenige Menschen vom Immobilien-Boom

Wohnen: Neubauten im Münchner Speckgürtel

Neubauten im Münchner Speckgürtel

(Foto: joergensen.com)
  • Die Zinsen sind auf historisch niedrigem Niveau. Deshalb ist die Aufnahme von Krediten derzeit besonders billig.
  • Trotzdem nehmen nur wenige Menschen einen Baukredit auf. Die Eigentumsquote ist in Deutschland erstaunlich gering.
  • Das Problem: Viele Immobilien können sich nur Gutverdiener leisten, gerade in den Städten.

Von Benedikt Müller

Auf dem Papier sind die Bedingungen einmalig. Nie zuvor konnten sich Immobilienkäufer und Bauherren so günstig verschulden wie zurzeit: Der Leitzins ist auf null. Mit ihrem Kaufprogramm drückt die Europäische Zentralbank die Anleihe-Renditen weiter nach unten. Und nach dem Brexit-Votum wollen noch mehr Investoren vergleichsweise sichere Anleihen kaufen. Für die Baufinanzierung in Deutschland bedeutet das: Kredite werden noch ein bisschen günstiger. Wer heute eine Zehn-Jahres-Finanzierung aufnimmt, zahlt im Schnitt gut ein Prozent Zinsen.

Doch obwohl die Bauzinsen seit Jahren sinken, obwohl so viele Menschen in Arbeit sind wie nie zuvor, obwohl die Löhne steigen, ändert sich nichts an der sogenannten Wohneigentumsquote: Nur 44 Prozent aller Haushalte bundesweit leben in eigenen vier Wänden. Die restlichen 56 Prozent wohnen zur Miete. In keinem anderen Euro-Land ist der Anteil der Eigentümer so niedrig. Die Quote, die unter anderem die Bundesbank erhebt, stagniert seit Jahren.

Zwar werden jährlich mehr Immobilien gebaut und gekauft, die Preise steigen auch in diesem Jahr weiter, Makler melden Rekordumsätze. Doch es sind vor allem wohlhabende Menschen, die in Immobilien investieren; der Boom geht an der breiten Masse vorbei. So rechnet das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) vor: Seit 2010 ist die Eigentumsquote vor allem im reichsten Fünftel der Bevölkerung gestiegen, auf knapp 70 Prozent. "In den anderen Einkommensgruppen gab es hingegen kaum Veränderungen", sagt Michael Voigtländer, Immobilienexperte des Instituts.

Wer mietfrei leben kann, genießt im Alter einen finanziellen Vorteil

Das ist ein ungesunder Befund in Zeiten, in denen die Ungleichheit größer und die Altersvorsorge unsicherer wird. Denn wer im Alter mietfrei im abbezahlten Haus leben kann, genießt einen finanziellen Vorteil, den man heute kaum beziffern kann. Wer weiß schon, wie stark die Mieten in den Ballungszentren noch steigen werden.

Wie bedeutend das Eigenheim für den Vermögensaufbau ist, wird stets deutlich, wenn über Reichtum in Europa berichtet wird. Als die Bundesbank mitteilte, ein durchschnittlicher Haushalt sei etwa in Spanien dreimal so vermögend wie in Deutschland, wunderten sich viele. Doch ein Hauptgrund ist, dass gut 80 Prozent der spanischen Haushalte im Eigenheim leben. Damit besitzen sie eine relativ stabile Anlage. Kann sich die breite Masse dagegen keine Immobilie leisten, profitiert nur der reiche Teil der Gesellschaft von steigenden Preisen. "Die geringe Eigentumsquote ist ein Hauptgrund, warum die Vermögensungleichheit in Deutschland vergleichsweise hoch ist", sagt Ökonom Voigtländer.

Warum entscheiden sich nicht mehr Menschen für eine Immobilie? Ein Grund ist, dass sich die Lebensentwürfe geändert haben: Es gibt mehr Single-Haushalte als früher und weniger Familien, die über Jahrzehnte am selben Ort wohnen und deshalb typische Immobilienkäufer sind. Und je länger die Menschen etwa in befristeten Arbeitsverhältnissen stecken, desto später können sie eine so weitreichende Entscheidung fällen wie die, ein Haus zu kaufen.

Gerade in Großstädten bleibt von der Zinsersparnis nichts übrig

Gleichzeitig wachsen die Unterschiede zwischen den Regionen. Junge Leute ziehen in die Ballungszentren, den Jobs und Studienplätzen hinterher. Familien und ältere Menschen bleiben ebenfalls in den Städten, weil sie dort Schulen, Ärzte, Läden finden, die auf dem Land fehlen.

Doch kaum eine Branche reagiert so träge auf die Nachfrage wie der Bau. "In Knappheitsregionen fehlt das Bauland, in Schrumpfungsregionen fehlt die Perspektive", resümiert das Berliner Forschungsinstitut Empirica. So kommt es, dass bundesweit Immobilien diesen Sommer weitere sieben Prozent teurer sind als im Vorjahr, berichtet Empirica. Vor allem die Preise für Eigentumswohnungen steigen seit Jahren stärker als die Einkommen (siehe Grafik). "Damit werden Immobilien für private Käufer weniger erschwinglich", sagt Jörg Krämer, Chefvolkswirt der Commerzbank.

Zwar wird der Anstieg dadurch relativiert, dass Kredite so günstig sind. Doch in vielen Großstädten geht diese Rechnung nicht mehr auf: Laut dem Kreditvermittler Interhyp zahlt ein durchschnittlicher Kunde unter anderem in Hamburg, München und Frankfurt heute eine höhere Monatsrate für seinen Baukredit als noch im Jahr 2010 - obwohl damals vier Prozent statt ein Prozent Zinsen üblich waren. Die Preise fressen die Zinsersparnis auf.

"Viele Banken verlangen 20 Prozent Eigenkapital"

Und mit den Preisen steigt der Betrag, den man mindestens auf der hohen Kante haben muss, um überhaupt kaufen zu können. "Viele Banken verlangen 20 Prozent Eigenkapital, wenn sie ein Haus oder eine Wohnung finanzieren sollen", sagt IW-Experte Voigtländer. Hinzu kommen Notarkosten und Grunderwerbsteuer, die man nicht kreditfinanzieren kann. Je höher der Kaufpreis, desto höher diese Nebenkosten. "Das macht es Menschen mit niedrigem Einkommen nahezu unmöglich, zum Eigentümer zu werden", sagt Voigtländer.

Ökonomen schlagen deshalb vor, die Grunderwerbsteuer abzusenken, zumindest für Familien oder Erstkäufer. Doch die Politik geht genau in die andere Richtung: Die meisten Bundesländer haben die Steuersätze erhöht oder wollen dies noch tun. Darüber hinaus hat die Bundesregierung im Frühjahr eine verschärfte Richtlinie für Immobilien-Kredite eingeführt. Banken und Sparkassen lehnen nun häufiger Kreditanträge junger Familien ab, wenn beispielsweise das Einkommen der Mutter für die kommenden Jahre unsicher erscheint. So wird Familien ein Weg zur Altersvorsorge versperrt, sagen Kritiker.

Welche Menschen sich noch eine Immobilie in einem Ballungszentrum leisten können, davon erzählt beispielhaft eine Untersuchung, die der Frankfurter Immobilien-Finanzierer Hüttig & Rompf regelmäßig durchführt. Der durchschnittliche Käufer einer Eigentumswohnung in Frankfurt ist demnach 38 Jahre alt. Er lebt in einem Haushalt, der 4450 Euro netto übrig hat. Kinder hat er nicht. Dafür bringt er viel Eigenkapital mit: im Schnitt 161 000 Euro.

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