Griechenland und die Währungsunion:Kompletter Bankrott oder noch mehr Euro-Hilfen

Lesezeit: 4 min

Entweder Euro oder Drachme, entweder weiter mit dem Spar- und Reformkurs - oder Athens Pleite. Bei den anstehenden Wahlen wird klar werden, ob Griechenland in der Euro-Zone bleibt oder nicht. Zwei Szenarien, was dann passieren könnte.

Alexander Hagelüken und Catherine Hoffmann

Europa fiebert den griechischen Neuwahlen an diesem Sonntag entgegen. Werden die Griechen wie bei den ersten Wahlen Anfang Mai keine Regierung an die Macht wählen, die den Spar- und Reformkurs fortsetzt? Siegt gar Linksaußen Alexis Tsipras, der explizit die Zusagen an die Euro-Partner brechen will? Für diesen Fall drohen die Partner, den Geldhahn zuzudrehen - was unweigerlich Athens Pleite und Abgang aus dem Euro auslösen würde. Aber: Wäre das nicht vielleicht sogar das Beste für Deutschland und andere Zahlerländer? Die SZ untersucht beide Szenarien: Griechenland bleibt im Euro oder fliegt raus.

Wandgemälde in Athen: Nur ein kleiner Teil der Griechen ist offenbar bereit, alle Reformen für einen Verbleib in der Euro-Zone zu unterstützen. (Foto: AFP)

Szenario 1: Athen mit Euro

Die Griechen bleiben im Euro, und damit ist eines unangenehm klar: In diesem Fall brauchen sie von den Partnerländern noch mehr Geld - zusätzlich zu den 240 Milliarden Euro aus den ersten beiden Hilfspaketen. Am Kapitalmarkt bekommt das Land, das vor gut zwei Jahren die stetig expandierende Euro-Krise auslöste, keinen Kredit mehr. Und es ist unwahrscheinlich, dass Investoren wie geplant von 2015 an wieder massiv griechische Anleihen kaufen. Schon weil der erzwungene Schuldenerlass privater Banken und Anleger von 100 Milliarden Euro dieses Frühjahr nachhaltig abschreckt - erstmals seit 1945 zahlt ein westliches Industrieland seine Gläubiger nicht aus. Staatspapiere gelten daher als unsicher.

Europas Steuerzahlern muss also klar sein, dass sie Griechenland noch ein paar Jahre finanzieren. Ein drittes Hilfspaket im zweistelligen Milliardenbereich kommt, es wurde seit langem hinter den Kulissen geplant. Selbst ein teilweise Schuldenerlass staatlicher Gläubiger wie Deutschland könnte nötig sein, weil Athen Verbindlichkeiten von 160 Prozent des Bruttoinlandsprodukts drücken.

Trotz dieser Risiken gilt: All die Hilfskredite fließen an Europas Steuerzahler zurück, denn Griechenland erholt sich langfristig. Das ist die positive Perspektive, die den Euro-Verbleib des Landes weit verlockender erscheinen lässt als das Chaos eines Austritts. Die entscheidende Frage beim Szenario "Athen bleibt drin" ist: Modernisiert das Land seine Wirtschaft, um aus dem Wachstum später die Hilfskredite zurückzahlen zu können? Die Antwort: Es gibt erste Erfolge. Es bleibt noch sehr viel zu tun, und die Griechen wissen das. Ja, Athen spart seit 2010, stärker als seit langem ein EU-Mitglied. Und ja, die Löhne schrumpften so stark, dass Griechenland etwa die Hälfte dessen an Wettbewerbsfähigkeit gegenüber den EU-Rivalen aufholte, was es wegen überzogener Lohnzuwächse im Jahrzehnt zuvor verlor.

Andere Vorhaben aber stocken noch. Das Land hat weiter zu viele Beamte, der Verkauf von Staatseigentum hat wenig erlöst. Steuern zahlen ist nicht die Regel. Exportprodukte fehlen und Berufe wie Anwälte oder Apotheker bleiben für Jobsucher abgeschottet: Wer eine Taxifirma starten will, muss einem Lizenzbesitzer 100.000 Euro in die Hand drücken. Die erneute Euro-Rettung setzt neue Kräfte frei.

Jetzt geht es gegen Politiker und Beamte, die Nutznießer des alten Systems, die vieles blockiert haben - weshalb das Land eine starke Regierung braucht, um längst beschlossene Reformen durchzusetzen. Das klare Signal, Athen behält den Euro, bedeutet, dass Sparen und die ineffiziente Wirtschaftsstruktur das Bruttoinlandsprodukt künftig nicht mehr so stark schrumpfen lässt (2012 um weitere fünf Prozent), dass die Arbeitslosigkeit von 25 Prozent sinkt und die Griechen nicht mehr Milliarden Euro von ihren Sparkonten abziehen und so ihre Banken gefährden. Mit der Wahl verbindet sich Hoffnung: Dass die Euro-Partner einer reformwilligen Regierung mehr Zeit gibt und damit den Griechen Ansporn.

Drinzubleiben in der Euro-Zone bietet am Ende - nach all den Vorarbeiten - mehr Chancen als ein Ende mit Ärger.

Die Alten holen ihr Geld in Plastiktüten von der Bank, die Jungen ziehen ins Ausland. Arbeitslosigkeit, Lohneinbußen, Kapitalflucht und Verzweiflung haben die griechische Wirtschaft bis zur Depression erschöpft. Mit den Schicksalswahlen verabschieden sich die Bürger am 17. Juni vom Euro. Die griechische Parteienlandschaft liegt in Trümmern, der Spar- und Reformkurs ist gescheitert. Sofort stoppt die Troika alle Zahlungen an Athen, der griechische Staat ist binnen Tagen bankrott. Es kommt zum finanziellen Exodus aus dem griechischen Bankensystem. Um den Kollaps zu verhindern, werden die Konten eingefroren, der Zahlungsverkehr steht still. Unternehmer und Staat bleiben die Löhne und Renten schuldig. Und der Staat erhält keine Steuern mehr.

Griechenland ist gezwungen, die Drachme wieder einzuführen, um den Zusammenbruch seiner Banken zu verhindern und die Geldwirtschaft in Schwung zu bringen. Zuvor kündigt das Land seine "unwiderrufliche" Mitgliedschaft in der Währungsunion und verabschiedet sich dazu aus der EU. Eine Notverordnung gegen Kapitalflucht verpflichtet alle Griechen, ihren Besitz an ausländischen Zahlungsmitteln - dazu zählen nun auch Euro - der Notenbank zu melden und auf Verlangen zu verkaufen. Der Wechselkurs der neue Drachme stürzt gegenüber dem Euro um 65 Prozent ab.

Mit der Bankrotterklärung sind die griechischen Staatsanleihen schlagartig wertlos. Viele Unternehmen und Banken haben sich mit Notfallplänen dafür gewappnet. Aber es wird schmerzhaft. Vorsichtigen Schätzungen zufolge fallen allein 135 Milliarden Euro öffentlicher Hilfskredite aus, einschließlich der griechische Staatsanleihen, die von der Europäischen Zentralbank gekauft wurden. Hinzu kommen vermutlich 130 Milliarden Euro Forderungen der europäischen Notenbanken gegenüber Griechenland. Den deutschen Steuerzahler könnte der Totalausfall Griechenlands rund 70 Milliarden Euro kosten.

Für die griechische Wirtschaft ist die Pleite zunächst verheerend. Nach der scharfen Abwertung haben die Griechen Schwierigkeiten, an Devisen zu kommen, um die notwendigen Einfuhren etwa von Öl und Lebensmitteln zu finanzieren. Die Inflation schnellt in die Höhe, die Unternehmenspleiten beschleunigen sich, noch mehr Menschen verlieren ihre Arbeit. Als Trost bleibt, dass die schwache Drachme griechische Produkte im Ausland günstiger macht und sie verstärkt nachgefragt werden. Auch der Tourismus profitiert, der zuletzt unter den Billig-Konkurrenz der Türkei und Bulgariens gelitten hat.

Beunruhigt vom Chaos in Griechenland, stürmen nervöse Sparer in Portugal, Spanien und Italien ihre Banken. Das Vertrauen in die Währungsunion ist erschüttert. Niemand will mehr Staatsanleihen von Euro-Krisenländern kaufen, der Euro stürzt ab, Gold gewinnt. Anleger fürchten, dass Griechenland nicht das einzige Land bleibt, das aus dem Euro aussteigt. Mit aller Macht versuchen EZB und Rettungsfonds den Dominoeffekt zu stoppen. Damit die Pleite Griechenlands nicht der Anfang vom Ende der Währungsunion wird.

© SZ vom 15.06.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: