Arbeiterproteste in Frankreich:Schwache Krawallmacher

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  • Immer wieder erregen französische Arbeitnehmer mit spektakulären und gewalttätigen Protesten weltweit Aufmerksamkeit.
  • Die Handgreiflichkeiten gegen Manager sind aber vor allem ein Zeichen der Schwäche und Zerstrittenheit der Gewerkschaften, sagen Beobachter.

Von Leo Klimm, Paris

Zwei Manager, die in zerrissener Kleidung vor wütenden Mitarbeitern fliehen. Die Bilder von den Jagdszenen bei Air France gehen um die Welt und schaden nicht nur dem Image der Fluggesellschaft, sondern auch dem Land, dessen Namen das Unternehmen trägt: Die Gewalt drohe "Folgen für das Ansehen und die Attraktivität" Frankreichs zu haben, sorgt sich Staatspräsident François Hollande.

Dabei ist höchstens das Ausmaß der Gewalt, die sich bei Air France Bahn brach, ein Novum, nicht aber Attacken auf Führungskräfte. Das passiert regelmäßig in Frankreich: Seit 2009 ist kein Jahr vergangen, in dem nicht irgendwo Manager von aufgebrachten Mitarbeitern eingesperrt oder verfolgt wurden, meist in Betrieben, die vor dem Aus standen. Mal traf es den Chef von Sony Frankreich, mal Führungskräfte des Baumaschinenherstellers Caterpillar, mal solche von Peugeot oder von der französischen Post. Mal wurden Büros verwüstet, mal regnete es Eier wie beim Reifenhersteller Goodyear.

Starke Gewerkschaften würden eine Radikalisierung verhindern

Nun offenbart die Hatz wütender Vertreter des Bodenpersonals bei Air France auf besonders drastische Weise den schlechten Zustand der Sozialpartnerschaft in Frankreich. Und den noch schlechteren Zustand der Gewerkschaften des Landes. "Das Problem ist nicht die Stärke, sondern die Schwäche der Gewerkschaften. Die Gewalt ist ein Ergebnis davon", sagt Hubert Landier, er berät Unternehmen beim sozialen Dialog. "Gewerkschaften, die stark genug sind, am Verhandlungstisch auch mal etwas durchzusetzen, würden eine Radikalisierung in manchen Betrieben verhindern." Stattdessen verlören die Personalvertreter die Kontrolle über den teils selbst organisierten Protest, mancherorts münde das in eine "Herrschaft der Schurken".

Die fehlende Kraft der Gewerkschaften erschwert Verhandlungen gerade dann, wenn sie am nötigsten sind: In der Krise. Bei Air-France-KLM hatten die beiden Vertreter der Mitarbeiter im Aufsichtsrat der Konzernholding jüngst sogar der geplanten Kürzung von 2900 Stellen zugestimmt. Die Randalierer von Montag fühlten sich daran offensichtlich nicht gebunden.

Der Eindruck, den Bilder französischer Großdemonstrationen erwecken, täuscht: Außerhalb des öffentlichen Dienstes ist der gewerkschaftliche Organisationsgrad äußerst gering. Einer Statistik der Industrieländerorganisation OECD zufolge liegt er bei weniger als acht Prozent der Beschäftigten, niedriger ist er nur in Estland. Verschärft wird das Problem noch durch heftige Rivalität der Gewerkschaften: In vielen Betrieben konkurrieren mindestens vier Organisationen. Die einen, wie die kommunistisch geprägte CGT, folgen einer Tradition der Opposition. Andere, wie die CFDT, sind reformorientiert. In Krisenzeiten, wie Frankreich sie seit Jahren erlebt, verschärft sich der Kursstreit noch. Die Folge ist eine lähmende Polarisierung.

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Konfrontation statt Kooperation

"Die Zersplitterung wirkt viel schlimmer als Schläge gegen einen Manager", findet Jean-Paul Charlez, Präsident des französischen Verbandes der Personalchefs. Berater Landier schlägt einheitliche Personalvertretungen vor. Dann müssten sich die Gewerkschaften vor Verhandlungen mit den Arbeitgebern auf eine gemeinsame Position einigen. Das gebe den Arbeitnehmervertretern mehr Gewicht und zwinge sie zugleich in die Verantwortung.

Konfrontation statt Kooperation ist ein lange eingeübtes Schema, ebenso wie die Freiheitsberaubung von Führungskräften durch Mitarbeiter, die um ihre Existenz bangen. Schon um 1900 gab es solche Fälle in französischen Industriebetrieben, später wiederholten sie sich etwa während der Volksfrontbewegung der 30er-Jahre und der 68er-Revolte. Aber auch die Arbeitgeberseite pflegt bis heute nicht immer eine konsensorientierte Kultur: Mitbestimmung nach deutschem Vorbild lässt sie bisher nicht zu, erst seit 2013 schreibt ein Gesetz mindestens einen Personalvertreter im Aufsichtsrat von Großunternehmen vor. Und als bei Air France die Verhandlungen über ein betriebliches Bündnis scheiterten, erklärte Markenvorstand Frédéric Gagey in leicht arrogantem Ton, es sei nicht seine Aufgabe, die Verhandlungen zu retten. Inzwischen klingt Gagey anders.

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Die Gewerkschaften bei Air France rufen nun nach dem Staat: Er soll die Blockade in dem Konzern lösen, an dem er zu 17 Prozent beteiligt ist. Auch die Anrufung der Regierung hat Tradition. Für viele Experten liegt der eigentliche Zweck Aufsehen erregender Aktionen genau darin, den Staat zur Intervention zu zwingen.

Bei einem Besuch am Air-France-Sitz lehnte Premierminister Manuel Valls eine Einmischung am Dienstag demonstrativ ab. Er kann nach außen nicht anders, brütet er doch gerade über einem Gesetz, das den Sozialpartnern mehr Freiheiten auf Ebene der Unternehmen einräumen soll. Dennoch interveniert der Premier auf seine Weise: Sein eigener Berater für Soziales wird in wenigen Wochen neuer Personalchef des Unternehmens. Das stand zwar schon vor dem Gewaltausbruch von Montag fest, bekommt jetzt aber eine andere Bedeutung.

© SZ vom 07.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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