Flüchtlinge in Deutschland:Billiglöhner sind nicht die Zukunft

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Hunderttausende Flüchtlinge kommen nach Deutschland und wollen arbeiten. Ist der Mindestlohn noch zu halten?

Ein Kommentar von Alexander Hagelüken

Es funktioniert, finden manche, ganz einfach. Weil Hunderttausende Flüchtlinge nach Deutschland kommen, nimmt das Angebot an Arbeitskraft zu. Damit die Firmen dieses gestiegene Angebot nachfragen und die Flüchtlinge einstellen, muss der Preis sinken - und der gerade eingeführte Mindestlohn von 8,50 Euro die Stunde abgeschafft oder gesenkt werden. Wie bei einem Überangebot an Äpfeln, das sich nur durch niedrigeren Preis losschlagen lässt. Das hört sich einfach an, oder? Es ist aber viel schwieriger. Und selbst wenn es anders wäre: So einfach sollte es sich die Bundesrepublik selbst dann nicht machen.

Es dauerte Jahre, bis Deutschland am 1. Januar einen Mindestlohn einführte. Das war kein Alleingang, sondern folgte dem Vorbild vieler Industriestaaten von Großbritannien über Frankreich bis zu den USA. Kritiker betrachteten die Einführung trotzdem als Luxus-Wohltat, die sich rasch rächen werde. Die Lohnuntergrenze ist in Wahrheit etwas anderes: die Korrektur eines Marktversagens. Zahlreiche Firmen missbrauchten ihre Macht, um Mitarbeiter für ein paar Euro anzuheuern, wovon sich kaum leben lässt.

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Nach zehn Monaten lässt sich sagen: Der Mindestlohn wirkt, nur anders, als die Kritiker warnten. Die prophezeiten Massenentlassungen blieben aus. Klar hat die gute Konjunktur die Einführung begünstigt. Doch manche Unternehmer scheinen auch umzudenken. Wenn eine Firma wie McDonald's erklärt, wer keine fairen Löhne zahlen könne, habe ein Problem mit seinem Geschäftsmodell, lässt das aufhorchen. Es liegt nahe: Mit dem Mindestlohn wird einer nicht reich. Er verdient 1400 Euro im Monat. Brutto.

Was heißt das alles? Die Regierung hat erst mal Erfolg mit dem Ziel, möglichst vielen einen Lohn zu ermöglichen, von dem sie annähernd leben können. Das ist im Übrigen ein Ziel, von dem alle Deutschen profitieren. Wenn Beschäftigte für ein paar Euro arbeiten, muss ihnen der Staat Geld zum Leben zuschießen. Und im Alter haben sie ebenfalls zu wenig.

Das alles spricht dagegen, den Mindestlohn beim erstbesten Anlass aufzugeben, wie es viele fordern, die schon immer dagegen waren. Es spricht dagegen, es sich so einfach zu machen, wie sie suggerieren. Zumal es bedeutende Anzeichen gibt, dass es nicht so einfach ist. Es existiert schon eine Ausnahme vom Mindestlohn: für Menschen, die länger als ein Jahr ohne Stelle sind. Doch Firmen nutzen dies kaum, um Langzeitarbeitslose einzustellen. Offenbar stellt der Preis hier nicht das entscheidende Kriterium dar, um Jobs zu schaffen. Das ganze scheint eindeutig komplizierter als bei den Äpfeln.

Manche schlagen vor, den Mindestlohn nicht für alle Arbeitnehmer aufzugeben, sondern nur für die Flüchtlinge. Das wirft nicht nur die Frage auf, was es in der Bevölkerung auslöst, wenn die Ankommenden einen Bonus auf dem Arbeitsmarkt gegenüber gering qualifizierten Deutschen haben, die Jobs suchen. Es führt auch zum Kern der Frage, was Deutschland eigentlich will. Sollen die häufig jungen, häufig kaum für deutsche Standards ausgebildeten Flüchtlinge vor allem schnell arbeiten? Dann halt für ein paar Euro, egal wo? Die Zahlen sprechen dagegen. Die Bundesrepublik hat schon zu viele Geringqualifizierte. Die Priorität sollte nicht darin liegen, Flüchtlinge zu Dumpinglöhnen in Hilfsjobs zu schieben. Sondern darin, möglichst viele zu qualifizieren. Auch wenn das Zeit kostet. Das Land braucht Fachkräfte und eher keine Hilfsarbeiter.

Das könnte einen bei der Debatte um weniger Mindestlohn am meisten stören: Es ist eine Riesenaufgabe, das System zu ändern. Also humanitäre Flüchtlinge nicht vorrangig abzuschrecken, sondern ihnen rasch die Sprache beizubringen, sie zu qualifizieren und Arbeitshürden niederzureißen. Dafür ist gewaltige Energie nötig, die das Land kaum aufbringen wird, wenn es sich von Scheinlösungen wie Billiglöhnen blenden lässt.

Klar ist aber auch, dass der Mindestlohn als Ziel gesetzt sein sollte, ohne Dogma zu werden. Das heißt: Bei der Integration der Flüchtlinge sollte es Flexibilität geben, wenn diese hilft, am Ende Jobs zu mindestens 8,50 Euro die Stunde zu verschaffen. Praktika etwa, die den Berufseinstieg erleichtern, sollten keinen Mindestlohn erfordern. Offenbar reden Arbeitsministerin und Arbeitgeber bei dem Thema immer noch aneinander vorbei. Auch befristete Ausnahmen für besonders schwer vermittelbare Flüchtlinge analog zu den Langzeitarbeitslosen sollte sich die Regierung vorbehalten. Die generelle Linie aber muss eindeutig sein: Ein Heer von Billiglöhnern, die für ein paar Euro werkeln, ist nicht die Zukunft der Bundesrepublik.

© SZ vom 28.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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