Arbeitsmarkt:Streit um Billiglohn für Flüchtlinge

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Der Syrer George Romanos hat einen Ausbildungsplatz in einer Autowerkstatt in Bobingen gefunden. Sein Chef ist voll des Lobs für ihn. (Foto: AFP)
  • Wirtschaftsverbände fordern, den Mindestlohn für Flüchtlinge auszusetzen.
  • Gewerkschaften wollen eine Klassengesellschaft auf dem Arbeitsmarkt vermeiden.

Von Alexander Hagelüken und Thomas Öchsner, Berlin, Berlin/München

Der CDU-Wirtschaftsrat ist dafür, der Deutsche Landkreistag auch und verschiedene Ökonomen erst recht: Weil so viele Flüchtlinge nach Deutschland drängen, mehren sich Forderungen, die Ankommenden zumindest vorübergehend für weniger Geld als den Mindestlohn arbeiten zu lassen. Die Wirtschaftsverbände verlangen jetzt, die Ausnahmen bei der gesetzlichen Lohnuntergrenze zu erweitern, auch um Flüchtlingen den Eintritt in den deutschen Arbeitsmarkt zu erleichtern.

Die große Koalition sollte "überlegen, wie gerade den Menschen aus dem In- und Ausland, die nur geringe Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben, der Einstieg ins Berufsleben erleichtert werden kann", sagte Lutz Goebel, Präsident des Verbands "Die Familienunternehmer" der Süddeutschen Zeitung. Sinnvoll wäre es, den Mindestlohn beispielsweise für berufsorientierte Praktika, die länger als drei Monate dauern, auszusetzen. Ähnliches hat gerade auch Airbus-Chef Thomas Enders vorgeschlagen. Darüber hinaus sollte die Bundesregierung die Ausnahme beim Mindestlohn für Langzeitarbeitslose über die bereits geltenden sechs Monate hinaus verlängern, fordert Goebel. So könnten "mehr Betriebe Einstiegsmöglichkeiten für Menschen mit wenig Berufserfahrung oder mangelnden Qualifikationen schaffen". Goebel stellt aber klar: "Die Herkunft eines Menschen darf bei seiner Bezahlung keine Rolle spielen. Ob Flüchtling oder Staatsbürger - was zählt, ist die Qualifikation."

Schon jetzt sind Praktika ohne Mindestlohn möglich

Genauso sieht es die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände. Die BDA ist gegen Sonderregeln für Flüchtlinge, aber für mehr Sonderregeln bei der 8,50-Euro-Grenze: "Wir brauchen Ausnahmen vom Mindestlohn für Praktikanten, die vor einer Ausbildung ein Praktikum absolvieren, um überhaupt ausbildungsgeeignet werden zu können", sagt ein BDA-Sprecher. Dies gelte auch für Langzeitarbeitslose: "Wer noch nie gearbeitet hat, keinerlei Qualifizierung aufweist oder sehr lange Zeit arbeitslos war, wird zum Mindestlohn keine Beschäftigung finden. Das gilt für Einheimische wie für Flüchtlinge."

Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles hat hingegen unlängst in einem SZ-Interview darauf hingewiesen, dass viele Hürden bereits abgebaut seien. So könnten Unternehmen schon jetzt junge Menschen, ob Flüchtling, Migrant oder Deutscher, für zum Beispiel sechs oder zwölf Monate Einstiegsplätze oder Praktika anbieten, ohne Mindestlohn zahlen zu müssen. Es müsse sich nur um eine Einstiegsqualifizierung handeln. Dieses Instrument "haben wir für schwächere Schüler ermöglicht, die noch nicht reif für eine Ausbildung sind".

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Dem Präsidenten des Münchner Ifo-Instituts, Hans-Werner Sinn, reicht das aber nicht: "Die Bundesregierung sollte den Mindestlohn ganz aufheben oder senken", sagt er. Sinn begründet das damit, dass die meisten Flüchtlinge aufgrund ihrer Ausbildung zumindest am Anfang nur für gering qualifizierte Beschäftigungen infrage kämen. Wenn das Angebot an solchen Arbeitskräften zunehme, sei es wie auf jedem Markt: "Wenn das Angebot steigt, braucht es eine Preissenkung, damit es von der Nachfrage aufgenommen wird."

Ifo-Präsident Sinn warnt vor einer "Parallelgesellschaft arbeitsloser Immigranten"

Der Münchner Ökonom lehnt es ebenfalls ab, nur Flüchtlinge vom Mindestlohn auszunehmen. Lohnzuschüsse an Firmen hält er für nicht zielgenau. Deshalb bleibt für Sinn kurzfristig nur ein Weg, die Flüchtlinge zu integrieren: den Mindestlohn flächendeckend zu senken, verbunden mit Lohnzuschüssen direkt an einzelne Arbeitnehmer, damit jeder genug zum Leben hat. "Wer aber am Mindestlohn festhält", warnt er, "erzeugt eine Parallelgesellschaft arbeitsloser Immigranten, mit der sich wachsende Spannungen ergeben werden."

Michael Hüther, der Direktor des arbeitgebernahen Instituts der Deutschen Wirtschaft, spricht sich für befristete Ausnahmen aus. Ähnlich wie Langzeitarbeitslose, die eine Firma zunächst zu einem niedrigeren Betrag wie den Mindestlohn einstellen kann, sollten Flüchtlinge eineinhalb oder zwei Jahre weniger verdienen dürfen.

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Für BDA-Präsident Ingo Kramer ist dabei klar: Es dürfe nicht passieren, dass Flüchtlinge und einheimische Arbeitskräfte gegeneinander ausgespielt werden. "Wenn wir den Mindestlohn nun haben, dürfen wir keine Konflikte zwischen denen organisieren, die ihn haben und nicht haben. Dann haben wir Hunderttausende auf der Straße", sagt er. Kramer, der den Mindestlohn im Prinzip ablehnt, bewegt sich damit auf einer Linie mit dem DGB-Chef Reiner Hoffmann. Dieser hat stets betont, dass Flüchtlinge keine Beschäftigten zweiter Klasse werden dürfen.

Langzeitarbeitslose belegten, dass Ausnahmen sinnlos sind

Hoffmann lehnt aber auch weitere Ausnahmen, etwa bei den Regeln für Langzeitarbeitslose, ab. Alexander Spermann, Forscher am Institut zur Zukunft der Arbeit in Bonn, sieht gerade die bestehende Regel für Langzeitarbeitslose als Beleg, dass solche Sonderklauseln sinnlos sind. "Die Ausnahme für etwa eine Million Langzeitarbeitslose wird kaum in Anspruch genommen", sagt Spermann. Ebenso werde es mit einer Ausnahme für Flüchtlinge gehen. Warum? "Weil der gesetzliche Mindestlohn als faire Lohnuntergrenze akzeptiert ist. Diesen Konsens sollte man jetzt nicht aufkündigen."

Spermann beobachtet ein Umdenken in Branchen wie Einzelhandel, Hotels und Gaststätten. Firmen nutzten den Mindestlohn, um sich als gute Arbeitgeber zu präsentieren. Vor Kurzem sprach sich auch der Personalvorstand von McDonald's, Wolfgang Goebel, gegen Ausnahmen vom Mindestlohn aus: "Jedes Unternehmen muss ein Geschäftsmodell entwickeln, das es ermöglicht, faire Löhne zu bezahlen."

© SZ vom 27.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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