Fassadensyteme:Äußere Werte

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Nachhaltige Fassaden helfen nicht nur Energie zu sparen. Sie können auch welche produzieren. Außerdem helfen sie, Tageslicht ins Innere zu lenken und wirken sich auf die Gesundheit aus. Was die neuen Elemente alles können, ist auf der Veranstaltung Bau in München zu sehen.

Von Lars Klaaßen

Ästhetisch anspruchsvolles Design ist nach wie vor gefragt. Schönheit alleine aber reicht heute nicht mehr. Das gilt zumindest für moderne Fassaden. Sie müssen vor allem energetisch viel leisten, um Häuser für den Kampf gegen den Klimawandel fit zu machen. 40 Prozent des Energieverbrauchs in der EU gehen aufs Konto unserer Häuser: um sie zu heizen, kühlen, lüften und beleuchten. Das verursacht zudem ein Drittel aller Treibhausgasemissionen. Intelligente Fassaden können nicht nur ein Stück weit die Welt retten, sie senken auch die laufenden Immobilienkosten erheblich. Doch auch schon beim Bau ist Effizienz gefragt, Architekten und Planer arbeiten unter Kosten-, Zeit- und Budgetdruck. Sie suchen Fassadensysteme, die in verschiedenen Situationen multifunktional eingesetzt werden können.

Solch ein Bauteil stellt der Bauelementhersteller Iconic Skin aus Gersthofen mit seinem "Glass Sandwich Panel" (GSP) auf der Messe Bau 2017 vor: "Damit können homogene Fassaden mit Glaslängen von bis zu 16 Metern realisiert werden", erläutert Vertriebsleiter Matthias Lang. Das von dem Entwicklerteam konzipierte Bauelement GSP sei systemoffen. Dadurch ließen sich intelligente Fassaden für vielfältige Gestaltungen realisieren, die ökonomische Vorteile bieten.

Das System ist gleichzeitig Wand, Dämmung, Oberfläche und selbsttragendes Bauteil. "Es bietet Warm-Warm-Übergänge von Öffnungen zu opaken Gebäudeteilen", so Lang und ergänzt: "GSP ist für verschiedene Tragkonstruktionen geeignet - bei der Skelettbauweise kann es als opakes Fassadenbauteil alle Vorteile nutzen." Aber auch als Dämmelement mit Glasoberfläche lässt es sich beim Massivbau einsetzen. GSP findet innerhalb einer vorgehängten Glasfassade (Structural-Glazing-Fassade), einer Loch- Fensterbandfassade oder einer Pfosten-Riegel-Fassade seine Anwendung. Aufwändige Übergänge innerhalb der Fassade gebe es nicht, so Lang, und nachträglich aufgebrachte Wärmedämmverbundsysteme erübrigten sich. Auf der Messe stellt iconic skin zudem erste Kooperationen vor, unter anderem mit dem Systempartner Hueck: Mittels Adapterprofilen können die GSP-Elemente mit herkömmlichen Fassadensystemen kombiniert sowie Türen und Fenster integriert werden.

Die Aufgaben intelligenter Fassaden beschränken sich nicht allein auf gute Dämmung. "Eine zentrale und mehrschichtige Rolle bei der Konzeption intelligenter Fassaden spielt die Sonneneinstrahlung", erläutert der Architekt und Lichtdesigner Oliver Ebert von Zumtobel Lighting. "Das Tageslicht soll einerseits genutzt werden, andererseits soll es nicht blenden. Im Sommer soll die Hitze draußen gehalten, im Winter die Wärme der Sonne genutzt werden." Hält eine Fassade im Sommer etwa das blendende Licht und die Hitze draußen, muss im Innenraum Kunstlicht zugeschaltet werden. Das erhöht den Stromverbrauch und kann zu einer Temperaturerhöhung führen, die zusätzlich herausgekühlt werden muss.

Ein Unternehmen wie Zumtobel, das Lichtlösungen entwickelt, sieht darin neue Herausforderungen: "Fassaden- und Kunstlichtsysteme können nur durch eine gekoppelte Simulation der lichttechnischen und thermischen Faktoren beurteilt werden," sagt Ebert. So hätten Untersuchungen gezeigt, dass Bauprojekte großes Optimierungspotenzial hinsichtlich des Primärenergiebedarfs bieten, wenn bei der Planung klimatische Standortbedingungen berücksichtigt werden. In Zusammenarbeit mit der Universität Innsbruck und Bartenbach GmbH hat Zumtobel bereits ein Simulationstool entwickelt, welches dieses Potenzial bereits in frühen Planungsphasen aufzeigt: DALEC (Day- and Artificial Light with Energy Calculation) kann online kostenlos genutzt werden: http://dalec.zumtobel.com

Moderne Fassaden wirken sich auch auf die Gesundheit aus

"Wenn man von intelligenten Fassaden spricht, sollte man nicht ausschließlich an Hightech und technische Innovationen denken", sagt der Architekt Stefan Behnisch. "Der Trend geht zu geringerem und vor allem weniger vielfältigem Materialeinsatz." So wird zum Beispiel die abgehängte Decke als architektonisches Element mehr und mehr verdrängt, weil der Beton des Rohbaus oder auch Holzkonstruktionen klimatisch mehr Vorteile bieten. "In der weiteren Entwicklung der technischen Lösungen in der Architektur kommt der Fassade eine immer größere Bedeutung zu", sagt Behnisch.

Verbreitet sind mittlerweile bereits Sonnenschutz, Solarpaneele zur Energiegewinnung sowie Elemente, die Tagelicht ins Innere lenken oder die zur Lüftung geöffnet werden können. "Künftig", sagt Behnisch, "werden sich auch Beleuchtungselemente für die Grundbeleuchtung bei Nacht durchsetzen sowie Wärmetauscher und Elemente der mechanischen Be- und Entlüftung." Ein Vorteil für Immobilienbesitzer: Die dezentrale Technik in der Fassade führt zu geringeren Energiekosten, auch weil die Anlagentechnik nur bei Bedarf in Betrieb ist. Die Mehrkosten im Vergleich zu einer herkömmlichen Fassade schätzt Behnisch auf zehn bis 15 Prozent: "Dieser Mehraufwand amortisiert sich aber nicht nur durch die Senkung der Energiekosten." Die größere Zufriedenheit der Mitarbeiter im Gebäude steigere zudem die Produktivität und senke etwa die Zahl der Krankheitstage.

Intelligente Fassaden können nicht nur Menschen gesünder machen und den Energieverbrauch senken, sie können auch Energie produzieren. Mit diesem Ziel arbeitet Lothar Wondraczek, Lehrstuhlinhaber für Glaschemie an der Universität Jena, mit seinem Team daran, Mikroalgen an Fassaden zu züchten. Hinter einer Schicht mit einem sehr dünnen und hochfesten Deckglas befindet sich eine Schicht mit einem strukturierten Glas. "Dieses strukturierte Glas enthält Mikrokanäle, durch die eine Flüssigkeit mit den Algen zirkuliert", erläutert der Materialwissenschaftler. "Die Flüssigkeit ermöglicht es, den Lichteinfall automatisch anzupassen oder die Außenwärme zu speichern, um dann mithilfe einer Wärmepumpe Strom zu erzeugen."

Die Forschung über intelligente Gebäudefassaden, die selbstständig auf ihre Umwelt reagieren und so die Energieeffizienz von Gebäuden verbessern, macht große Fortschritte. "Doch nur wenige sind derzeit realisiert", so Wondraczek, "da es an entsprechenden Materialien und Herstellungsprozessen fehlt."

In der Praxis gibt es bereits einige erfolgreiche Projekte, zum Beispiel das BIQ-Algenhaus mit 15 Wohnungen in Hamburg: In einer intelligenten Bioreaktorfassade werden die Einzeller kultiviert. Sie verwandeln durch Photosynthese energieärmere Stoffe in energiereiche Materie. Unter optimalen Bedingungen teilen sie sich zweimal am Tag, woraus neue Organismen zur Energieerzeugung entstehen. In einer Biogasanlage wird aus der in der Energiezentrale geernteten und dann getrockneten Biomasse Methan gewonnen, das als Heizgas oder zum Betrieb von Motoren verwendet werden kann. Gleichzeitig wird Wärme erzeugt, die sich im Gebäude nutzen lässt.

Bis solch ein Fassadensystem serienreif ist, wie etwa das "Glass Sandwich Panel" von Iconic Skin, wird es wohl noch ein wenig dauern. Sicher ist jedoch: Die Forschung und Entwicklung im Bereich der intelligenten, nachhaltigen und wandelbaren Fassaden und Systeme dürfte auch in Zukunft für die Baubranche spannend bleiben.

© SZ vom 13.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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