EZB-Strategie in der Euro-Krise:Draghi verspricht unbegrenzte Anleihenkäufe

Hilfen ohne Limit - aber nur für Länder, die hart sparen: Mario Draghi hat seinen Plan zur Euro-Rettung vorgestellt. Der EZB-Chef erklärt, welche Staatsanleihen er kaufen wird und wie er dabei die Inflation eindämmen will. Die Märkte reagieren positiv - Draghis Krisen-Strategie steht aber in der Kritik.

Benjamin Romberg

Nur wenige Deutsche vertrauen Mario Draghi und seiner Strategie in der Euro-Krise. Gerade mal 18 Prozent der Bundesbürger schätzen den Italiener - wenn sie ihn denn überhaupt kennen. Das ergab eine aktuelle Umfrage des Sterns. 42 Prozent der Befragten haben kein oder nur geringes Vertrauen in den Präsidenten der Europäischen Zentralbank (EZB). Jeder dritte von ihnen kennt Draghi gar nicht. Finanzmärkte und Politik wissen hingegen sehr gut, wer Draghi ist.

Gespannt warteten sie auf die Erläuterung des obersten Notenbankers und seiner Kollegen, wie und in welchem Umfang die Währungshüter in den Markt für Staatsanleihen eingreifen werden. An diesem Donnerstag nun hat der EZB-Chef den Plan zum Ankauf von Staatsanleihen vorgestellt (hier zum nachlesen).

Die wichtigsten Punkte im Überblick:

[] Hilfen bekommen nur Staaten, die sich einem Reformprogramm unterwerfen. Die EZB kündigte an, Anleihen mit einer Laufzeit von ein bis drei Jahren zu kaufen. Staaten finanzieren ihre Schulden mit solchen Papieren.

[] Für die Anleihenkäufe gibt es kein Limit. Sie bringen neues Geld in das Finanzsystem, das die EZB an anderer Stelle abziehen will, um die Inflationsgefahr einzudämmen.

Doch wie sieht die Strategie der EZB im Detail aus? Was sagen Finanzmärkte und Politik? Was monieren die Kritiker? Die wichtigsten Fragen und Antworten.

Was will die EZB erreichen?

Der Druck der Finanzmärkte auf angeschlagene Euro-Länder wie Spanien oder Italien ist groß. In absehbarer Zeit vielleicht zu groß, als dass sie sich über die Ausgabe von Staatsanleihen künftig noch finanzieren können. Die EZB will die Zinsen senken, die Krisenstaaten Investoren zahlen müssen, um ihnen die Kredite schmackhaft zu machen. So kommen die Länder wieder leichter an frisches Geld, die Gefahr einer Pleite sinkt - und damit auch die Gefahren für die gesamte Euro-Zone.

Wie sieht die Strategie der Notenbanker aus?

Die Notenbanker planen, selbst in den Anleihenmarkt einzugreifen und dort Papiere von in Bedrängnis geratenen Euro-Ländern aufzukaufen. Indem sie die Nachfrage nach Staatsanleihen auf dem sogenannten Sekundärmarkt - also dort, wo die bereits ausgegebenen Papiere weiterverkauft werden - erhöht, sinkt die Rendite und der Markt beruhigt sich. So die Idee.

Im Fall von Spanien reichte die bloße Hoffnung der Finanzmärkte auf ein Eingreifen durch die EZB, um dem Land etwas Luft zu verschaffen: Der hochverschuldete Krisenstaat platzierte am Donnerstag, kurz vor der Ratssitzung der EZB, Bonds mit Laufzeiten zwischen zwei und vier Jahren an den Märkten und kassierte dafür 3,5 Milliarden Euro. Die Renditen für die Papiere sanken ungewöhnlich deutlich: Bei Anleihen mit einer Laufzeit bis 2015 fielen sie im Schnitt von 5,1 auf 3,7 Prozent. Bei Papieren bis 2016 gingen sie sie von 5,9 auf 4,6 Prozent zurück. Unmittelbar nach der Ratssitzung und der Ankündigung Draghis fielen die Renditen für zehnjährige spanische Anleihen auf ein Dreimonatstief von 6,03 Prozent.

Welche Rolle spielen die Euro-Rettungsschirme?

Auf dem sogenannten Primärmarkt - also direkt von den Ländern selbst - darf die EZB keine Anleihen kaufen, die direkte Finanzierung von Staaten ist ihr verboten. Dem Stabilitätsmechanismus EFSF und später auch dem neuen Rettungsschirm ESM ist es aber erlaubt, für Staatsanleihen auf dem Primärmarkt unmittelbar bei der Versteigerung von Anleihen mitzubieten. So hätten diese Institutionen unmittelbaren Einfluss auf das Zinsniveau. Mit dieser Doppelstrategie sollen EZB und Euro-Rettungsfonds Krisen-Länder aus dem Würgegriff der Finanzmärkte befreien.

Allerdings knüpft EZB-Präsident Draghi die Hilfen an Bedingungen - er spricht in diesem Zusammenhang von "Konditionalität". Bevor die Währungshüter eingreifen, muss das betroffene Land einen offiziellen Hilfsantrag an den EFSF/ESM stellen und die damit verbundenen Bedingungen akzeptieren. So will Draghi sicherstellen, dass sich die jeweilige Regierung zu Reformen verpflichtet und Sparzusagen gibt. Die betreffenden Staaten müssen sich also nach dem Willen Draghis der strikten Kontrolle der Euro-Rettungsfonds unterwerfen.

Wie sehen die Pläne im Detail aus?

Mit Details zu den Anleihenkäufen hält sich Draghi bislang zurück. Nach der EZB-Ratssitzung am Donnerstag bestätigte er erstmals offiziell, dass es kein festgelegtes Limit für die Kaufaktionen geben werde.

Die EZB will sich dabei auf Papiere mit kürzeren Laufzeiten beschränken - die Rede ist von Anleihen mit einer Laufzeit von bis zu drei Jahren. Zum einen reduziert sich damit das Risiko für die EZB, denn je länger es dauert, bis ein Kredit zurückgezahlt wird, desto unsicherer ist es, ob der Schuldner das dann überhaupt noch kann. Zum anderen will die EZB den Druck auf die Regierungen der Länder aufrechterhalten. Wenn sie Anleihen kauft, die erst in zehn Jahren fällig werden, könnte der Sparwille mittelfristig verloren gehen.

Möglich ist es auch, dass die Währungshüter interne Zinsgrenzen für die einzelnen Länder festlegen. Demnach würde die EZB immer dann eingreifen, wenn die Zinsen einen bestimmten Aufschlag auf die Renditen deutscher Bundesanleihen überschreiten. Offiziell sagt sie allerdings nichts dazu.

Wie viel verrät die EZB?

Die EZB achtet darauf, dass ihre Strategie nach außen hin kaum erkennbar ist. Denn sobald die Investoren wissen würden, wann und unter welchen Bedingungen die Währungshüter eingreifen und Anleihen aufkaufen, könnten sie entsprechend dagegen spekulieren. Das wollen die Notenbanker verhindern. Gleiches gilt für Zeitpunkt und Umfang der Maßnahmen. Auch aus politischer Sicht gibt es einen Grund, konkrete Details der Anleihenkäufe geheimzuhalten: Wenn Regierungen die Bedingungen für ein Eingreifen der EZB kennen, könnten sie Druck auf die Währungshüter ausüben.

Was sagen die Kritiker?

Kritiker des Kurses von Draghi, allen voran Bundesbankpräsident Jens Weidmann, fürchten, dass die EZB zu weit von ihrem eigentlichen Ziel abrückt. Die Währungshüter sind dafür verantwortlich, dass die Preise in der Euro-Zone stabil bleiben. Dieses Ziel ist nicht mehr einzuhalten, wenn die EZB zu viel Geld in den Markt pumpt. Es droht eine Inflation, befürchten Kritiker.

Weidmann sorgt sich auch um die politische Unabhängigkeit der EZB, wenn sie Staaten indirekt finanziert. Was passiert, wenn Spanien oder Italien sich nicht an die Reformzusagen halten? Was, wenn eine neue Regierung plötzlich nicht mehr sparen will? Dann müssten die Notenbanker, entsprechend der Abmachung, ihre Hilfen einstellen - und den betroffenen Staat womöglich in die Pleite schlittern lassen.

In Deutschland stehen Teile aus Politik und Bevölkerung den Plänen der EZB auch kritisch gegenüber, weil sie das Verlustrisiko fürchten. Wenn ein Land seine Kredite nicht zurückzahlen kann, haftet die Bundesbank - und letztlich der Steuerzahler - entsprechend ihrem Anteil an der EZB derzeit für knapp 30 Prozent der Verluste.

Schon jetzt liegen griechische, portugiesische und andere Staatsanleihen im Wert von mehr als 200 Milliarden Euro in den Tresoren der EZB. Umso brisanter sind nun aber die möglichen Verluste geworden, weil sich die Währungshüter offensichtlich bereit erklären, auf ihre Rolle als vorrangiger Gläubiger zu verzichten und Verluste zu akzeptieren.

Bislang hatte die EZB eine Sonderstellung: Beim griechischen Schuldenschnitt waren ihre Kredite zum Beispiel nicht betroffen, nur die privaten Gläubiger mussten auf Geld verzichten. Das aber schreckt bislang private Investoren ab, denn wenn die Kredite der EZB vorrangig zurückgezahlt werden, bleibt am Ende weniger für die privaten Anleger.

Was sagen die Befürworter?

Unterstützer eines Eingreifens der EZB hoffen, dass dadurch verschuldete Euro-Länder weniger Zinsen zahlen und sich langfristig erholen. Sie sind der Meinung, dass Spanien und Italien zu Unrecht derart hohe Aufschläge zahlen. Spanien etwa müsse nicht wegen grundlegender Probleme seiner Wirtschaft, sondern wegen der Zweifel am Euro Risikoaufschläge auf Staatsanleihen zahlen, sagte Ministerpräsident Mariano Rajoy.

Auch in Rom fragt man sich, warum die Sparfortschritte der Regierung von Mario Monti von den Finanzmärkten nicht gewürdigt werden. Wie hoch dieser sogenannte Risikoaufschlag ist, den die Investoren wegen der unsicheren Lage in der Euro-Zone fordern, ist unklar. Der Internationale Währungsfonds (IWF) schätzt, dass er sich bei zehnjährigen Anleihen aus Spanien und Italien auf rund zwei Prozent beläuft. Etwa ein Drittel der Zinsen, die die Länder derzeit für langfristige Anleihen zahlen müssen, wäre demnach nicht den aktuellen wirtschaftlichen Bedingungen geschuldet - und somit aus Sicht der Länder nicht gerechtfertigt.

Auch das Verlustrisiko der EZB schätzen Befürworter von Anleihenkäufen durch die Notenbank nicht so hoch ein. Ob bei Kreditausfällen tatsächlich Verluste entstünden, käme darauf an, zu welchem Preis die EZB die Staatsanleihen gekauft habe. Es könne auch sein, dass ihr nur mögliche Gewinne entgingen. Im besten Fall stünde am Ende sogar ein Plus.

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