Existenzminimum:Hartz IV als Wundertüte

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Wie viel darf ein Grundrecht kosten? Es ist noch immer das Verfassungsgericht, das bestimmt, wie das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum einzulösen ist. Arbeitsministerin von der Leyen sollte das beherzigen, bevor sie den Haushaltspolitikern zu weit entgegenkommt.

Heribert Prantl

Wie viel darf ein Grundrecht kosten? Darf es der Finanzminister unter Finanzierungsvorbehalt stellen? Darf er sagen: schön, aber zu teuer? Das Bundesverfassungsgericht hat im Urteil vom Februar, in dem es die bisherigen Hartz-IV-Sätze für verfassungswidrig erklärte, das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum propagiert.

Protest gegen Hartz IV vor dem Bundesverfassungsgericht: Bei der Hartz-IV-Neuberechnung wird ein höherer Betrag als bisher herauskommen, auch wenn es Haushaltspolitikern nicht gefällt. (Foto: ddp)

Dürfen die Haushaltspolitiker dieses Minimum minimalisieren? Dürfen sie sagen, als Minimum für die Armen in diesem Land gibt es das, was wir noch übrig haben? Dürfen sie sagen, dass sie das neue Grundrecht zwar dem Grunde, aber nicht der Höhe nach akzeptieren - weil die Bankensanierung so viel Geld kostet? Würden sie sich damit durchsetzen, wäre die Verfassungswidrigkeit von "Hartz IV neu" so sicher wie das Amen in der Kirche.

Das Verfassungsgericht hat dem Gesetzgeber aufgegeben, die Grundsicherung nach Hartz IV völlig neu zu berechnen, und zwar diesmal ohne Tricksereien.

Ministerin Ursula von der Leyen hat noch keine konkreten neuen Zahlen bekanntgegeben. Die können erst genannt werden, wenn die Auswertung der jüngsten Einkommens- und Verbrauchsstatistik abgeschlossen ist - das soll noch ein paar Tage dauern.

Aber sie hat nun den Spekulationen ein Ende bereitet, sie wolle als Vergleichsgruppe für die Bemessung der Erwachsenen-Regelsätze eine noch kleinere Gruppe von Einkommensbeziehern heranziehen als bisher, um so den Regelsatz niedrig zu halten.

Das ist nicht der Fall; es wird bei den unteren zwanzig Prozent der Einkommensbezieher bleiben. Da aus dieser Vergleichsgruppe, worauf Karlsruhe hingewiesen hat, diejenigen herauszurechnen sind, die wegen zu niedriger Löhne Aufstocker sind (also selbst Hartz-IV-Leistungen empfangen), wird bei der Hartz-IV-Neuberechnung ein höherer Betrag als bisher herauskommen, auch wenn es Haushaltspolitikern nicht gefällt.

Das Verfassungsgericht ist die Rückendeckung für die Ministerin. Das gilt auch bei den Leistungen für Kinder. Karlsruhe hat eine kindgerechte Bedarfsberechnung auf statistischer Basis angeordnet.

Das Bildungspaket, das die Ministerin Kindern zukommen lassen will, soll offenbar nicht zu den Regelleistungen für Kinder addiert, sondern bei der Grundsicherung angerechnet, also dort abgezogen werden. Zumindest optisch käme so die Ministerin den Haushaltspolitikern entgegen.

Sie preist das Paket an wie eine Wundertüte; angeblich sind wunderbare Sachen drin: der Grundbedarf für die Schule, Zuschüsse für Mittagessen, sportliche und kulturelle Aktivitäten. Aber: Der Inhalt soll nicht gesetzlich vorgeschrieben werden; die Tüte wird von den Arbeitsagenturen individuell gepackt.

Das hört sich gut an, wird den Behörden aber Mehrarbeit in einem eh schon schwierigen Geschäft bringen und die Flut der Klagen vor den Sozialgerichten noch erhöhen. Wenn Ursula von der Leyens Wundertüten vor allem optische Funktion haben, dann dürfen sie gar nicht erst in Produktion gehen.

© SZ vom 21.09.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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