EU: Wirtschaftspolitische Koordinierung:"Schluss mit der Laxheit!"

Lesezeit: 3 min

Lehren aus der Eurokrise: Nur durch eine Politik in Richtung einer "EU-Wirtschaftsregierung" kann Europa seine wirtschaftlichen Probleme in den Griff bekommen.

Guy Verhofstadt

Mit einer Mischung aus Erleichterung und Verärgerung reagieren viele Mitglieder der Fraktion der Liberalen und Demokraten im Europäischen Parlament (ALDE) auf den Kurswechsel von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU).

Guy Verhofstadt ist Fraktionschef der Liberalen im EU-Parlament. Er sieht gewaltige Aufgaben auf die Regierungen der EU-Mitglieder zukommen. (Foto: AP)

Sie will nun in Abstimmung mit Frankreichs Staatspräsident die verstärkte wirtschaftspolitische Koordinierung in der Europäischen Union anpacken. Wenige Tage vor dem nächsten Brüsseler EU-Gipfel nehmen somit die wichtigsten Kräfte im Rat und, auch erst seit kurzem, in der EU-Kommission Kurs in Richtung einer "EU-Wirtschaftsregierung".

Allerdings kann sich die ALDE nicht recht über den Kurswechsel freuen. Sie hatte schon lange für einen umfassenden Ansatz zur Bewältigung der Krise plädiert, und musste lange warten, bis die Entwicklung ihr nun recht gibt. Seit dem Beginn der Krise in Griechenland hat sie davor gewarnt, dass die Unruhe auf den Finanzmärkten sich nicht dauerhaft legen würde, so lange die Geburtsfehler des Euro nicht geheilt würden.

Seitdem hat sich die ALDE dafür ausgesprochen, dass sich die Euro-Währungsunion auf eine gemeinsame Wirtschaftspolitik stützen soll. Denn nur eine Wirtschafts-, Währungs- und Haushaltsunion vermag die Wettbewerbsunterschiede zwischen dem Norden und dem Süden Europas zu verringern und die EU zukunftsfähig zu machen.

Bei der Sanierung darf es keine Ermüdung geben

Die anstehenden Aufgaben sind riesig, denn vor allem müssen die EU-Mitglieder ihre Haushalte in Ordnung bringen, um (wieder) den Regeln des Stabilitätspakts zu entsprechen. Bei der Sanierung der Staatsfinanzen darf es keine Ermüdung geben, sie muss sogar noch entschiedener betrieben werden. Die Länder der Euro-Zone müssen ihr Defizit im Schnitt um mindestens 1,0 Prozent pro Jahr verringern, damit die Verschuldung der Euro-Zone nicht noch wächst. Derzeit liegt dieser Wert bei nur 0,5 Prozent.

Um mittel- und langfristig eine solide Finanzierung sicherzustellen, muss der Stabilitäts- und Wachstumspakt drastisch verstärkt werden. Das bedeutet, dass die EU-Kommission automatisch wirkende Instrumente an die Hand bekommt, um schlecht haushaltende Länder zu sanktionieren.

Zwischen den Finanzministern hat es zu viele Gefälligkeiten unter Freunden gegeben, mit dieser Laxheit muss Schluss sein. Die nötige Tugendhaftigkeit in Haushaltsfragen stellt eine schwere Belastung dar. Deshalb sollte man den EU-Ländern und ihren Bürgern keine Doppelbestrafung von Sparzwang einerseits und steigenden Schuldzinsen andererseits zumuten.

Neuer Markt für Schuldverschreibungen - mit klaren Bedingungen

Gegen das Zinsproblem aber lässt sich mit finanzieller Solidarität in Europa wirksam angehen. Der Euro-Rettungsschirm greift dafür nicht weit genug. In einer Notsituation geschaffen, erfüllt er seine vorgesehene Kernaufgabe, aber die Zinssätze der Empfängerländer bleiben hoch.

Konkret helfen kann hier aber die Schaffung eines Marktes für europäische Schuldverschreibungen - mit klaren Bedingungen. Die Teilnahme der Euro-Staaten an der gemeinsamen Ausgabe von Eurobonds sollte entsprechend ihres Kapitalanteils an der Europäischen Investitionsbank erfolgen.

Der Eurobond-Zinssatz sollte sich aus dem gewichteten Mittel der Zinssätze der nationalen Anleihen berechnen. So zahlt jedes Land auch weiterhin seinen nationalen Zinssatz auf seinen Anteil am Eurobond. Zudem sollte die Beteiligung auf maximal 60 Prozent der nationalen Verschuldung beschränkt sein. Ein solches Solidarsystem würde allen Beteiligten einen niedrigen Zinssatz garantieren. Gleichzeitig würde es sie dazu anhalten, ihre Anstrengungen beim Schuldenabbau zu verstärken.

Verlorene Zeit aufholen

Ein komplementäres Modell dafür hat der ALDE-Fraktionskollege Wolf Klinz soeben vorgestellt und an folgendem Beispiel demonstriert: Ein Land hat Schulden in Höhe von 100 Prozent des Bruttosozialprodukts. Senkt das Land die Last auf 80 Prozent, hat es den halben Weg hin zur Schuldengrenze geschafft.

Im Gegenzug darf es die Hälfte seiner Schuldenlast innerhalb der erlaubten 60 Prozent - also 30 Prozent - in Eurobonds decken. Für den Rest emittiert es nationale Anleihen, für die es allein haftet. Senkt das Land seine Verschuldung auf 60 Prozent seiner Wirtschaftsleistung, erfüllt es also das Stabilitätskriterium zu 100 Prozent, so kann die gesamte Verschuldung über Eurobonds gedeckt werden. Ob es genau auf die vorgeschlagenen Werte hinausläuft, muss letztlich gemeinsam erarbeitet werden. Entscheidend ist, dass man sich endlich an diese Arbeit macht.

Dafür muss der Rat die verlorene Zeit aufholen - und darf dabei nicht hinter den Vorschlägen der EU-Kommission zurückbleiben. Diese werden bereits im Europäischen Parlament behandelt und zudem von Jean-Claude Trichet, dem Präsidenten der Europäischen Zentralbank, unterstützt.

Verpflichtende Ziele

Die Politik der Europäischen Union braucht wieder eine klare Richtung. Die Europäer sind sich bewusst, dass Europa im Rahmen der Globalisierung nur unter großen Anstrengungen seine Stellung und seinen Einfluss wird behaupten können. Aber um ihre Energien zu mobilisieren, muss man ihnen einen gemeinsamen Weg weisen, ihnen eine echte europäische Perspektive bieten. Man kann daher gespannt sein, wie die ambitionierten Ziele der Bundeskanzlerin auf dem EU-Gipfel aufgegriffen werden.

Europa braucht dringend strukturelle Reformen, die es in die Lage versetzen, dauerhaft Arbeitsplätze zu schaffen und die Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern. Jede Regierung weiß, was sie auf nationaler Ebene zu tun hat: bei der Reform der Arbeitsmärkte und der Rentensysteme, bei der Überarbeitung des Steuersystems zur Senkung der Lohnnebenkosten, bei den Investitionen in Bildung, Forschung und eine nachhaltigere Wirtschaft, bei der Vereinfachung des Regelungsrahmens für Unternehmen.

Um diese Reformen auf europäischer Ebene zu unterstützen, sollten auf Grundlage der EU-2020-Strategie verpflichtende Ziele festgelegt werden. Dazu gehören auch soziale und steuerliche Aspekte. Um mehr Gewinne im Binnenmarkt zu erwirtschaften, muss Europas Infrastruktur in den Bereichen Energie, Telekommunikation und Transport massiv verbessert werden. Das sollen spezielle Infrastruktur-Anleihen der Europäischen Investitionsbank finanzieren.

Die drei Pfeiler einer Politik, die der Europäischen Union zu neuer Dynamik verhelfen kann, sind deshalb: Haushaltsdisziplin, finanzielle Solidarität und dauerhaftes Wachstum.

© SZ vom 04.02.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: