EU-Gipfel zu Bankgeheimnis und Energiepreisen:Gerechtigkeit für Eilige

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Die einen müssen zum Dinner, die anderen nach Hause, weil dort geputscht wird - und Merkel will einen Preis abholen. Im Schnellverfahren debattieren die EU-Mächtigen in Brüssel die drängenden Probleme Steuerflucht und Billig-Energie. Da kann Luxemburgs Premier Juncker ganz entspannt blockieren.

Von Jannis Brühl und Antonie Rietzschel

Vier Stunden Zeit nehmen sich Europas Mächtige, um Steuergerechtigkeit herzustellen und die Energiepolitik auf den Kopf zu stellen. François Hollande und David Cameron sind eigentlich auf dem Weg zum Abendessen. Mit dem belgischen Hochgeschwindigkeitszug Thalys fahren sie nach Paris, um 20 Uhr wollen sie zum gemeinsamen Dinner dort sein. Angela Merkel hat auch nicht ewig Zeit, sie muss zu einer Ehrung ihrer selbst. Wo die Kanzlerin und CDU-Chefin schon einmal in Brüssel ist, holt sie in der Großen Synagoge den Lord Jakobovits Prize of European Jewry ab. Die Konferenz der Europäischen Rabbiner verleiht ihn ihr für ihre Verdienste um Toleranz.

Den EU-Gipfel in Brüssel erledigen die Staats- und Regierungschefs eher nebenher. Statt echter Entscheidungen dürfte am Ende gerade mal eine Frist stehen: Bis zum 1. Januar 2014 wollen sie sich darauf geeinigt haben, das Bankgeheimnis für Ausländer aus adneren EU-Staaten abzuschaffen.

Dabei ist das Problem ein dringendes. Die EU-Kommission schätzt, dass eine Billion Euro den europäischen Staaten jährlich durch Steuervermeidung und Steuerflucht verloren gehen. Sie sollen bekämpft werden - indem Daten über Konten ausländischer Kunden flächendeckend und automatisch ausgetauscht werden.

Die Steuerbehörden der meisten EU-Länder tauschen sich bereits über Zinszahlungen aus. Luxemburg und Österreich haben aber noch einen Sonderstatus: Sie erheben eine Quellensteuer auf Zinszahlungen und wahren damit das Bankgeheimnis für Ausländer. Ein Entwurf der Kommission sieht vor, dass nicht nur Zinseinkünfte aus Spareinlagen erfasst werden, sondern auch Einkommen aus Arbeit, Renten, Versicherungspolicen, Dividenden und Kapitalerträgen - und zwar in allen 27 EU-Ländern. Seit fünf Jahren dringt die Kommission darauf, diese Schlupflöcher zu schließen. Das Votum der Staaten muss einstimmig sein. Doch die beiden Länder blockieren.

Luxemburgs polyglotter Premierminister Jean-Claude Juncker machte bei seiner Ankunft in Brüssel in diversen Sprachen klar, dass erst noch Bedingungen erfüllt werden müssen: Die EU müsse erst mit den Nichtmitgliedern Schweiz, Liechtenstein, Monaco, San Marino und Andorra darüber sprechen, inwieweit die Zinsbesteuerung auch auf sie ausgeweitet werde, sagte Premier Jean-Claude Juncker. "Wir hätten gerne, dass die EU die Schweiz ernst nimmt." Österreich gibt sich dagegen mittlerweile zumindest offiziell kompromissbereit. Bundeskanzler Werner Faymann sagte bei seiner Ankunft vor dem Gipfel: "Wir wollen es Steuerbetrügern schwermachen."

Zumindest der Zeitpunkt, bis zu dem das Bankgeheimnis für Ausländer fallen könnte, soll in Brüssel beschlossen werden, heißt es mittlerweile aus diplomatischen Kreisen. Bis zum Jahresende sollen wichtige Beschlüsse gefasst werden, die auf die Abschaffung des Bankgeheimnisses hinauslaufen,

Vor zwei Monaten hatten Journalisten ein Datenleck zu geheimen Geschäften in Steueroasen öffentlich gemacht. Durch die öffentliche Debatte ergebe sich nun die Möglichkeit, das System umzubauen, schrieb Herman Van Rompuy, Präsident des Europäischen Rates, in seiner Einladung an die Staats- und Regierungschefs.

EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso hat vor dem Treffen angekündigt, den Gipfelteilnehmern eine "politische Verpflichtung" abringen zu wollen. Allerdings müssen viele multilaterale Entscheidungen warten. Zu sehr sind Staats- und Regierungschefs mit sich selbst oder nur bilateralem Austausch beschäftigt. Siehe das Abendessen von Cameron und Hollande oder die Schwäche des spanischen Ministerpräsidenten Mariano Rajoy. Der muss schnellstens zurück, weil zu Hause gar nichts in Ordnung ist. Am Dienstag war ihm der Übervater der Konservativen, der ehemalige Premier José Maria Aznar, in den Rücken gefalle. Er könne den Krisenstaat retten und in die politische Arena zurückehren, sagte Aznar im spanischen Radio.

Neben der Steuerpolitik wollen die Staats- und Regierungschefs in Brüssel eine neue Ausrichtung der Energiepolitik. In der Krise empfinden viele EU-Länder die hohen Strompreise als besonders schmerzhaft für die Wettbewerbsfähigkeit der eigenen Industrie. Die EU will die Industrie und Verbraucher mit niedrigeren Energiepreisen unterstützen. Direkte Eingriffe in die Preispolitik sind aber nicht vorgesehen. "Die Versorgung mit bezahlbarer und nachhaltiger Energie für unsere Volkswirtschaften ist äußerst wichtig", heißt es in dem Entwurf. Strom billiger zu machen, steht besonders im Gegensatz zu den deutschen Anstrengungen einer - für Verbraucher teuren - Energiewende hin zu regenerativen Energien.

Das umstrittene Thema Fracking, dass nach Ansicht seiner Befürworter Energie deutlich verbilligen könnte, taucht in der Erklärung nur indirekt auf. Dabei handelt es sich um die Förderung von Erdgas aus tiefliegendem Gestein mithilfe von Chemikalien und Wasser. Die EU-Kommission werde "heimische Energiequellen darauf prüfen, wie sie sicher, nachhaltig und kosteneffizient" genutzt werden könnten. Energie-Kommissar Günther Oettinger (CDU) sagte, man müsse sich die Option Fracking für ganz Europa bewahren. Im Morgenmagazin der ARD sprach er sich für Probebohrungen aus. Sein Parteifreund, Bundesumweltminister Peter Altmaier, widersprach ihm in der Sendung. Ob in Europa mehr gefrackt wird, wird an diesem Mittwoch allerdings nicht entschieden. Die Politiker müssen ja weiter.

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