Ernährung:Warum exotische Zucker-Alternativen immer beliebter werden

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Der Löffel Zucker gehört für viele zum Kaffee. Doch immer mehr Menschen wollen bewusster konsumieren und suchen beim Süßen nach anderen Möglichkeiten. (Foto: dpa)
  • Seit dem 1. Oktober gibt es die sogenanne Zuckerquote nicht mehr - und prompt wird das Angebot an Zuckerarten vielfältiger.
  • Exotische Zuckersorten wie Kokosblütenzucker oder Maiszucker werden immer beliebter.
  • Ein Grund dafür: Viele Menschen wollen bewusster konsumieren - und so gesundheitliche Probleme wie Diabetes bekämpfen.

Von Bernhard Hiergeist

Vivien Vogt agiert weltweit im Zuckergeschäft, aber sie setzt dabei nur eine einzige Maschine ein. Auf der indonesischen Insel Java klettern Arbeiter auf wilde Kokospalmen, ritzen mit Macheten die Blüten an, fangen den Nektar auf, kochen ihn ein, lassen ihn zu einem ziegelsteingroßen Karamellbonbon austrocknen, sieben ihn. "Bei unserem Projekt gibt es keine Monokultur, keine Plantagen", sagt Vogt. Die Familien vor Ort ernten das, was die Natur ihnen gibt.

Bevor der Kokosblütenzucker verpackt und verkauft wird, gelangt er auf dem Containerschiff nach Europa, dann ins niederbayerische Hutthurm bei Passau, wo er von der Knetmaschine in der Manufaktur noch einmal durchgewalkt wird. Fast der ganze Prozess läuft also in Handarbeit ab. Mit ihrer Firma Janur produziert Vogt vier bis fünf Tonnen Kokosblütenzucker im Jahr. Die Idee dazu kam ihr 2014 bei einer Reise durch den Dschungel Indonesiens. Dort traf sie eine Familie, die allein von der aufwendigen Ernte des Kokosblütenzuckers lebte. Sie probierte den braunen, leicht feuchten Zucker, der karamellig, malzig und ein wenig nach Curry schmeckt, fast wie ein Gewürz. Vogt entschloss sich, eine Produktion aufzuziehen. Klein, nachhaltig, ohne Plantagen. 80 Prozent der Wertschöpfung, sagt sie, bleiben dabei auf Java. Die Arbeiter erhalten einen festen Kilopreis. So will Vogt verhindern, dass sie in lukrativere, aber schädlichere Branchen abwandern wie etwa die Holzwirtschaft.

Obwohl er anders aussieht, ist Kokosblütenzucker in der chemischen Zusammensetzung fast identisch mit dem konventionellen weißen Rübenzucker. Aber er enthält außer dem Zucker weitere Nährstoffe, ist bekömmlicher. Sein glykämischer Index ist niedriger. Das heißt, der Blutzuckerspiegel steigt nach dem Verzehr nur langsam an.

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Zwar ist Ernährung ein komplexer Prozess, der sich nicht mit einer einzelnen Kennzahl einfangen lässt. Auch bei Kokosblütenzucker sei maßvoller Konsum wichtig, sagt Vogt. Aber das Interesse ist da: Bei ihr kaufen Privatkunden, Firmen, die den Zucker zum Beispiel zu Weihnachten an ihre Angestellten verschenken, und sogar Sternerestaurants. Gekocht wird damit fast wie mit einem Gewürz.

Vier oder fünf Tonnen im Jahr - im Vergleich mit den etwa 180 Millionen Tonnen konventionellem Rohr- oder Rübenzucker, die weltweit im Jahr verkauft werden, ist das kaum der Rede wert. Das Beispiel Janur zeigt dennoch: Es bilden sich Nischen im Angebot, immer mehr Menschen wollen offenbar vielfältiger und bewusster konsumieren. Sogar Discounter wie Lidl oder Penny haben manchmal Kokosblütenzucker im Angebot.

"Vor ein paar Jahren war ich noch eine Pionierin", sagt Vogt. Heute seien neue, exotische Lebensmittel gefragt, auch große Zuckerhersteller beginnen, sich für diesen Markt zu interessieren. Die Frage ist nur: In welchem Ausmaß? Werden aus der Handvoll Tonnen Kokosblütenzucker irgendwann viel mehr?

Die Nachfrage ist da: Viele Menschen wollen sich bewusster ernähren

Die Industrie hätte jetzt einen zusätzlichen Anreiz, neue Geschäfte zu erschließen, denn der Markt ist in Bewegung geraten. Bislang war der europäische Markt durch die Zuckerquote streng geregelt: Die EU teilte eine Produktionsmenge auf Länder und Unternehmen auf, die wiederum auf ihre Zulieferer, die Bauern. Die Preise standen lange im Voraus fest und lagen meist höher als auf dem Weltmarkt.

Seit dem 1. Oktober aber gibt es die Quote nicht mehr. Europäische Unternehmen stehen nun im Wettbewerb mit den großen Exporteuren aus Brasilien und Thailand. Die produzieren viel günstiger als in der EU. Zwar ist der EU-Markt noch durch hohe Zollschranken geschützt, doch auf Dauer dürfte auch hier der Preis sinken. Die Unternehmen stellen sich darauf ein, indem sie mehr produzieren. Mit einer größeren Menge könnte ein fallender Preis aufgefangen werden. Doch das hat Grenzen. Eine Alternative wäre, sich breiter aufzustellen - und etwa Produkte wie Kokosblütenzucker anzubieten.

Der weltweit größte Zuckerhersteller Südzucker aus Mannheim teilt mit: "Wir haben Verständnis dafür, wenn Verbraucher mal etwas Neues ausprobieren wollen." Aber ob man ein bewährtes Produkt durch ein neues ersetzen könne - da sei man eher skeptisch. "Für uns sind das Nebenschauplätze", sagt ein Sprecher. Der traditionelle Weißzucker sei immer noch am effizientesten aus Rübe oder Rohr zu gewinnen, deren Vorteile würden nach wie vor überwiegen. Zudem existiere die Infrastruktur in Form von Genossenschaften und Geräten bei den Bauern, die Pflanzen seien gezüchtet. Das umzustellen sei schwierig. Auch seien die Verbraucher daran gewöhnt. Darum sei der Weißzucker auch der "Goldstandard" der Branche, den es immer nachzuahmen gelte. Soll heißen: Die etwaigen Vorteile des Kokosblütenzuckers nützen nichts, wenn der Verbraucher ihn nicht im großen Stil annimmt.

Und was sagen die Händler? "Für die Versorgung des Weltmarkts hat der Zucker aus der Kokosblüte heute eigentlich keine Relevanz", sagt Christoph Kind, Geschäftsführer der Zuckerhandelsunion in Berlin. Er sei aber ein Zeichen dafür, dass der Markt vielfältiger werde. Potenzial für Alternativen sieht er am ehesten im Bereich der Flüssigzucker. Isoglukose, ein Sirup auf Basis von Mais oder Weizen, mit dem etwa die Softdrink-Industrie in den USA arbeitet, könne eine starke Alternative zum Flüssigzucker aus Rüben sein. Letzterer sei aber in Europa noch fest etabliert, sagt Kind. Isoglukose sei zwar billiger herzustellen, jedoch: "Die Frage ist immer: Wie nimmt der Konsument es auf?"

Für die Ernährung biete die Isoglukose im Vergleich zum herkömmlichen Flüssigzucker keine Vorteile. Auch ökologische Vorzüge sieht Kind bei den exotischen Zuckerarten nicht: "Auch Rübenzucker ist ein hundertprozentiges Naturprodukt." Bei der Herstellung werde zudem nichts weggeworfen, noch aus den kleinsten Schnitzeln werde etwa Tierfutter hergestellt.

Vivien Vogt will sich gar nicht mit der Großindustrie messen: "Wir sehen uns eher als Ergänzung zum herkömmlichen Speiseplan", sagt sie. Wichtiger sei es, mit den Menschen auf Java ein Projekt aufzubauen, dort lokale Strukturen zu fördern, die der Umwelt nicht schaden. So etwas könne die konventionelle Industrie mit ihren großen Anbauflächen nicht leisten.

Zu 100 Prozent nachhaltig und umweltfreundlich zu produzieren, ist aber auch für Janur schwierig. Schließlich müssen die Bambusbündel mit den Karamellen von Java nach Niederbayern geliefert werden. Das geschieht immerhin auf dem Schiff und nicht mit dem Flugzeug, betont Vogt. Richtig konsequent wäre es zudem, wenn der Zucker direkt in einen verpackungsfreien Supermarkt geliefert würde. Aber die seien eben noch rar.

Vogt ist überzeugt, dass sich das bewusstere Konsumieren auch in anderen Teilen der Welt durchsetzen wird. Sei es wegen eines steigenden Lebensstandards oder auch wegen gesundheitlicher Probleme. "Diabetes ist ja nicht nur hierzulande ein großes Problem", sagt sie. "Sondern auch in den Emiraten und in Südostasien." Über kurz oder lang würde der Markt dann wohl auf den Bedarf reagieren. Für die Kokosblütenbauern auf Java sind das durchaus gute Nachrichten.

© SZ vom 12.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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