Deutschland bürgt für Atomkraftwerke im Ausland:Strahlender Export

Atomkraft nein danke - das gilt für die Bundesregierung wohl nur im eigenen Land. Während sie für Deutschland den Ausstieg beschlossen hat, prüft sie nun Bürgschaften für AKW im Ausland. Das dürfte auch einen der Koalitionspartner verärgern, denn es geht um einen umstrittenen Reaktor in Tschechien.

Markus Balser

Kurz nach dem japanischen Atom-Desaster saß Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) der Schrecken in den Gliedern: "Fukushima hat meine Haltung zur Kernenergie verändert", sagte sie noch Mitte 2011. Die Katastrophe zeige, "dass selbst in einem Hochtechnologieland wie Japan die Risiken der Kernenergie nicht beherrscht werden können". Risiken, die länderübergreifend seien. In Deutschland ist deshalb 2022 Schluss mit der Atomkraft.

Doch das bedeutet noch lange nicht, dass Berlin nun auch auf die Förderung neuer Reaktoren in Osteuropa oder in Schwellenländern verzichtet. Im Gegenteil: Gleich mehreren Projekten winken nach Informationen der Süddeutschen Zeitung angesehene Bürgschaften der Bundesregierung - und damit im Notfall auch Finanzhilfen durch deutsche Steuergelder. Selbst hochumstrittene Atomkraftwerke könnten Exportgarantien bekommen.

Ein Papier aus dem von FDP-Chef Philipp Rösler geführten Bundeswirtschaftsministerium macht klar: Die Bundesregierung hat für mehrere internationale Atomprojekte eine grundsätzliche Bereitschaft für deutsche Bürgschaften signalisiert. Die sogenannten Hermes-Bürgschaften sind Sicherheiten beim Export deutscher Zulieferungen oder Dienstleistungen. Die Bundesregierung hat "Letter of Interests" - Interessensbekundungen - zur Prüfung von Bürgschaftsanträgen für die Atomprojekte in Jaitapur (Indien), Temelin (Tschechien), Wylfa (Großbritannien) sowie Olkiluoto (Finnland) "bereits ausgestellt". Das geht aus einer Antwort des Ministeriums auf eine Anfrage der Grünen-Bundestagsabgeordneten Ute Koczy hervor, die der SZ vorliegt. Zudem lägen dem Interministeriellen Ausschuss für Exportgarantien Anfragen für Projekte in Cernavoda (Rumänien) sowie Hainan (China) vor. Damit können insgesamt sechs Projekte auf Exportgarantien hoffen.

Dabei sind viele höchst umstritten. So arbeitet China auf der Insel Hainan an einem Eigenbau, dessen Sicherheitsstandards von Experten scharf kritisiert werden. Im indischen Jaitapur will Frankreichs Atomkonzern Areva, der auch einen Standort in Erlangen unterhält, die größte Atomanlage der Welt bauen. Die sieben Reaktoren sollen mitten in einem Erdbeben- und Tsunami-Gebiet entstehen, in dem es allein von 1985 bis 2005 fast 100 Erdbeben gab. Und in Cernavoda am Unterlauf der Donau in Rumänien warnen Umweltgruppen seit Jahren vor zwei neuen Blöcken für geschätzte vier Milliarden Euro - der Baugrund liegt in einer der seismisch aktivsten Regionen Europas. Deutschlands zweitgrößter Energiekonzern RWE hatte sich im vergangenen Jahr nach Protesten bereits aus dem Projekt zurückgezogen.

Heikles Thema Temelin

Bei Umweltschützern sorgen die Anträge und mögliche Exportgarantien für große Unruhe. "Wenn es um die Exportinteressen von Atomkonzernen geht, tut die Bundesregierung so, als hätte es Fukushima niemals gegeben", sagt Heffa Schücking, Geschäftsführerin der Umwelt- und Menschenrechtsorganisation Urgewald. "Dabei liegen die nuklearen Sicherheitsstandards von Ländern wie Rumänien, Brasilien, Indien und China noch um Lichtjahre hinter denen von Japan. Mit dieser Politik bereitet Deutschland den Boden für den nächsten großen Atomunfall."

Auch innenpolitisch könnten die Exportgarantien zu Verwerfungen führen. Denn dem FDP-Ministerium droht ein Konflikt mit der CSU. Eine Zusage für Zulieferungen für das tschechische AKW Temelin, gerade mal 60 Kilometer von der deutschen Grenze entfernt, schließt das Berliner Wirtschaftsministerium nicht aus. Für acht Milliarden Euro soll der Pannenmeiler bis 2025 um zwei Reaktoren erweitert werden. Umweltschützer beiderseits der Grenze äußern Sicherheitsbedenken. Auch die bayerische Landesregierung um CSU-Chef Horst Seehofer lehnt den Neubau ab. Eine Förderung aus Berlin würde in München wohl als Affront gesehen.

Das Bundeswirtschaftsministerium äußert sich nicht zu Details, Zeitplan und finanziellem Volumen. Auch welche Konzerne Interesse an Bürgschaften haben, bleibt offen. Ein Sprecher Röslers erklärt, die Bundesregierung sei sich der "besonderen Sensibilität von Nuklearprojekten bewusst". Man lege besonders strenge Prüfungsanforderungen an. Der Entschluss der Bundesregierung, die zivile Nutzung der Kernenergie mit kurzen Restlaufzeiten zeitnah zu beenden, betreffe aber die Energieversorgung im Inland. Für die Entscheidung anderer Staaten, Nukleartechnologie zu nutzen, habe dies keinen Einfluss.

Mit Hermes-Bürgschaften sichert der Staat Geschäfte deutscher Firmen in Risiko-Ländern ab. Er springt ein, wenn ausländischen Kunden - etwa für deutsche Anlagen - das Geld ausgeht. Für monatelangen Streit hatte zuletzt eine Hermes-Zusage für das brasilianische Atomprojekt Angra 3 gesorgt. Die rot-grüne Bundesregierung hatte die Exportförderung für Nukleartechnologie 2001 durch eine Verschärfung der Richtlinien ausgeschlossen. Doch die schwarz-gelbe Koalition ließ den Export etwa von Bauteilen oder Messtechnik wieder zu. Nach Fukushima folgte zwar der deutsche Atomausstieg - an der Praxis der Exportförderung änderte sich jedoch bislang nichts.

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