Anleihenkaufprogramm:Das große Dilemma der EZB

Europäische Zentralbank (EZB) in Frankfurt

Wo das Geld regiert: Die Euro-Zone hat anders als die EU kein eigenes Parlament. Das soll sich ändern, um das Auseinanderdriften Europas zu beenden, fordern die Autoren. Im Bild die EZB-Zentrale während einer Lichtinstallation.

(Foto: Kai Pfaffenbach/Reuters)
  • Am Donnerstag wird die EZB verkünden, ob sie ihr Ankaufprogramm für Anleihen verlängern wird. Tut sie das nicht, wird es Ende März 2017 auslaufen.
  • Ein Ende des Programms würde allerdings an den Börsen für Probleme sorgen - und dürfte deshalb noch vertagt werden.
  • Dennoch naht das Ende der lockeren Geldpolitik, weil sonst die Gefahr einer Preisblase droht.

Von Markus Zydra

Mario Draghi hat seinen Mitarbeitern bei der jüngsten Belegschaftsversammlung der Europäischen Zentralbank einen Auftrag mit auf den Weg gegeben. Sie alle zusammen seien Botschafter der EZB und sollten mit darauf hinwirken, dass die Bürger in Europa den Job der Notenbank richtig verstehen. Die Wahrnehmung in der Öffentlichkeit, so der EZB-Präsident, sei anders, als die Notenbank sich selbst sehe. Ein EZB-Mitarbeiter berichtet, dass er überrascht war. "Das war das erste Mal, dass da so ein Ton reinkam, nach dem Motto: Vielleicht ist ja was dran an dem, was die Kritiker sagen."

Nun darf niemand erwarten, dass Draghi demnächst öffentlich erklärt, die EZB-Geldpolitik sei wirkungslos und gefährlich. Aber der Italiener merkt natürlich, dass die vielen Billionen aus der Druckerpresse nicht die gewünschte Wirkung erzielen. Er merkt auch, dass die Kritik vor allem in Deutschland unvermindert anhält. Für viele Bürger hierzulande füllen die Technokraten aus dem EZB-Doppelturm ein politisches Vakuum und sehen zu, dass sich Euro-Staaten möglichst günstig neuverschulden können. Mit Geldpolitik habe das nicht mehr viel zu tun, so die Kritik. Man subventioniere Staatshaushalte, wofür man kein Mandat habe.

"Kleinster Hinweis auf Zurückschalten könnte missverstanden werden"

Für Draghi gilt ein unausgesprochener Pakt: Die EZB kauft Zeit, damit Politiker ihren Teil der Pflicht erfüllen. Die Euro-Staaten müssten nach Ansicht der EZB viel mehr tun, um die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen zu verbessern. Doch das geschehe viel zu wenig. Die EZB klagt darüber seit Jahren, und Draghi wirkt langsam ziemlich ermüdet, weil er immer wieder darauf hinweisen muss.

Gut möglich, dass der Italiener an diesem Donnerstag den Geist des Pakts trotzdem noch einmal beschwört. Dann trifft sich der EZB-Rat zu seiner regulären Sitzung. Im Anschluss gibt Draghi seine Pressekonferenz. Es gibt wichtige Fragen zu klären. Soll die EZB ihr Ankaufprogramm für Anleihen verlängern? Stand jetzt würde es Ende März 2017 auslaufen. Dann hätte die Notenbank rund 1,7 Billionen Euro in die Finanzmärkte kanalisiert.

Doch ein Stop im März könnte zu Turbulenzen an den Börsen führen. Dort geht man fest davon aus, dass Draghi verlängern wird, womöglich sogar bis Dezember 2017, um auch noch die Wahlen in Frankreich und Deutschland in einen weichen geldpolitischen Kokon einzubetten. Wenn er verlängert, würden wohl weiter jeden Monat 80 Milliarden Euro in den Ankauf der Schuldscheine fließen.

Spannend wird, ob Draghi dazu bereit ist, das brisanteste Thema anzusprechen: den Zeitpunkt für das Ende der EZB-Hilfen. Experten bezweifeln, dass er sich traut. "In diesem Umfeld, da die Finanzmärkte nervös sind und die politische Unsicherheit gewaltig ist, könnte selbst der kleinste Hinweis auf ein Zurückschalten der Geldpolitik missverstanden werden die Finanzierungsbedingungen verschärfen", sagt Carsten Brzeski, Chefvolkswirt der ING-Diba. "Daher denken wir, dass die EZB sehr vorsichtig sein wird."

Geld versickert nutzlos. Wie viel Schulden sind noch tragbar?

Dennoch naht das Ende der lockeren Geldpolitik. Einzelne EZB-Ratsmitglieder haben das auch schon angedeutet. Bundesbankpräsident Jens Weidmann warnt bereits lange vor den möglichen Risiken der historisch einmaligen Geldschwemme. Viel EZB-Geld fließt in überteuerte Immobilien und Aktienmärkte. Dort könnte sich die nächste Preisblase aufbauen.

Das billige Geld raubt dem Markt die Fähigkeit, Unrentables von Rentablem zu unterscheiden. Es besteht die Gefahr, dass man Projekte zu einem Nullzins finanziert, die in der "normalen" Zinswelt keine Chance hätten zu überleben. Geld versickert nutzlos. Dazu kommt: Die öffentlichen und privaten Schulden in Europa liegen jetzt sogar höher als vor der globalen Finanzkrise. Wie viel Schulden sind noch tragbar? Gleichzeitig schwächt die Nullzinspolitik der EZB auch Europas Banken. Gleichzeitig ist die EZB seit 2014 auch die oberste Bankenaufsichtsbehörde in Europa, die den Sektor stärken soll. Das passt nicht zusammen.

Der Mythos der EZB begann im Sommer 2012. Damals versprach Draghi in seiner Londoner Rede, er werde alles tun, um den Euro zu retten. Der Italiener galt fortan als Magier der Märkte. Er konnte Spekulanten, die auf einen Kollaps der Währungsunion wetteten, allein mit diesen Worten besiegen. Bis heute. Doch dieser Erfolg kann den Misserfolg nicht überdecken.

Noch nie konnte sich Deutschland so günstig verschulden

Die EZB verliert ihren Machtnimbus, weil sie das wichtigste ihrer Ziele nicht erreicht: die Preisstabilität. Nun mögen Verbraucher zurecht anmerken, dass die Preise bei einer Inflationsrate von 0,5 Prozent in der Euro-Zone sehr stabil sind. Doch die EZB versucht durch ihre Billionen-Programme seit Jahren, die Inflationsrate auf zwei Prozent zu erhöhen. Zwei Prozent - das Erreichen dieser Marke dient der EZB als Ausweis stabiler Preise. Man möchte einen Puffer haben, um eine möglicherweise gefährliche Deflation, also stetig sinkende Preise, zu verhindern. Doch was ist, wenn dieses Inflationsziel nicht mehr zeitgemäß ist?

Man sollte sich die vielen Maßnahmen der EZB noch einmal in Erinnerung rufen: Sie hat den Leitzins auf null Prozent gesetzt. Das gab es noch nie in der modernen Zentralbankgeschichte. Die EZB verlangt von den Banken einerseits Strafzinsen in Höhe von 0,4 Prozent für das Geld, das die Institute auf ihrem EZB-Girokonto parken. Andererseits verzichtet die EZB bei der Kreditvergabe auf die Rückzahlung genau jenes Strafzinsbetrags, wenn eine Bank nachweist, dass sie Geld als Darlehen an Unternehmen vergeben hat. Ein Beispiel: Gibt die EZB einer Bank eine Million Euro Kredit, muss das Institut zum Laufzeitende nur 996 000 Euro zurückzahlen. Man möchte die Kreditvergabe mit allen Mitteln ankurbeln, um Wirtschaftswachstum zu erzeugen. Dafür verschenkt die EZB sogar Geld.

Gleichzeitig kauft die Notenbank den europäischen Anleihemarkt leer. Rund 1,2 Billionen Euro stecken in Staatsanleihen, rund 290 Milliarden davon sind deutsche Schuldscheine (siehe Grafik). Da diese Staatsanleihen häufig negativ rentieren, nimmt die EZB einen Verlust in Kauf. Das deutsche Finanzministerium kann sich hingegen freuen. Noch nie konnte sich Deutschland so günstig verschulden, dasselbe gilt für das Krisenland Italien.

Darüber hinaus kauft die EZB auch Pfandbriefe. Das sind Schuldscheine, die durch Grundstücke und Immobilien besichert sind. Die EZB kauft zusätzlich verbriefte Wertpapiere, in denen viele Einzelkredite gebündelt werden. Seit neuestem erwirbt die EZB auch Unternehmensanleihen und wird damit Gläubiger von Dax-Konzernen. Dazu kommen immer wieder neu aufgelegte langfristige Finanzierungsprogramme für Banken.

Der EZB-Rat wird nun die Dosis womöglich das letzte Mal erhöhen. Im nächsten Jahr sollte der Ausstieg auf dem Programm stehen. Ein sensibles Thema. Viele haben sich an das billige Geld gewöhnt.

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