Bundesverfassungsgericht:Warum die Grundsteuer in ihrer bisherigen Form absurd ist

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Die Kriterien für die Bewertung des zu versteuernden Grundvermögens auf Grundstücken stammen in Westdeutschland von 1964, im Osten aus dem Jahr 1935. Sie sind immer noch gültig. (Foto: Oliver Berg/dpa)

Die Steuer auf Grundeigentum beruht auf vollkommen veralteten Zahlen. Vieles spricht dafür, dass das Bundesverfassungsgericht die bisherige Berechnungsmethode kippen wird.

Von Thomas Öchsner

Um die Grundsteuer kommt kaum einer herum. Hauseigentümer, die in den eigenen vier Wänden wohnen, zahlen sie. Mieter zahlen sie, weil Vermieter die kommunale Abgabe als Nebenkosten abrechnen können. Und Unternehmen zahlen sie im Prinzip auch. Viele zahlen jedoch zu viel, andere zu wenig, weil die Immobilienwerte, auf denen die Abgabe beruht, völlig veraltet sind. Daran geändert haben Bund und Länder bislang nichts. Die Grundsteuer ist deshalb mittlerweile ein Fall für das Bundesverfassungsgericht. An diesem Dienstag verhandeln die Karlsruher Richter über die Abgabe. Es geht um Milliarden und das Geld von Millionen Wählern.

Welche Vorzüge hat die Grundsteuer?

Die Grundsteuer gilt als eine der gerechtesten Steuerarten. Ihre Höhe hängt zumindest in der Idealform vom Wert des Grundstücks und der darauf errichteten Immobilie ab. Das ist sozial gerecht. Außerdem lässt sich Grundbesitz ohne Leistungen des Gemeinwesens wie Stromleitungen oder Straßen nicht sinnvoll nutzen. Das rechtfertigt, die Steuer zu erheben.

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Warum ist die Grundsteuer in Deutschland in Verruf geraten?

Die Grundlagen für die Bemessung der Steuer sind völlig veraltet. Die Kriterien für die Bewertung des zu versteuernden Grundvermögens auf Grundstücken stammen in Westdeutschland von 1964. Damals legte die Bundesregierung nach dem starken Anstieg der Immobilienpreise im Zuge des Wirtschaftswunders neue Maßstäbe fest. Statt sie wie geplant alle sechs Jahre zu ändern, gelten sie aber noch heute. Im Osten stammen die Daten, die sogenannten Einheitswerte, aus dem Jahr 1935 - auch sie sind noch gültig. Grundbesitzer, Mieter, Hauseigentümer zahlen daher heute eine Steuer, die mit den tatsächlichen Werten und ihrer Entwicklung in den vergangenen Jahrzehnten nichts zu tun hat.

Wie wird die Grundsteuer berechnet?

Die Finanzämter bestimmten den Wert des Objekts, den Einheitswert anhand Lage, Nutzung und Bebauung des Grundstücks. Daraus wird ein Grundsteuermessbetrag ermittelt. Dieser wird mit dem Hebesatz der Kommune von mehreren hundert Prozent multipliziert. Daraus ergibt sich die individuelle Grundsteuer.

Welche Formen der Steuer gibt es?

Die Grundsteuer A wird für land- und forstwirtschaftliche Flächen erhoben. Die Grundsteuer B gilt für die übrigen Grundstücke, egal ob bebaut oder unbebaut. Für bebaute Grundstücke zahlt man aber mehr. Knapp 14 Milliarden Euro zahlen die Bürger jährlich für die kommunale Abgabe. Im Jahr 2015 lag die Grundsteuer für ein Einfamilienhausgrundstück in Großstädten mit mehr als 100 000 Einwohnern nach Angaben des Instituts der Deutschen Wirtschaft bei durchschnittlich 577 Euro im Jahr, für eine Wohnung in einem Mehrfamilienhaus bei 229 Euro.

Wie nutzen Kommunen die Steuer?

Die Grundsteuer ist für Städte und Gemeinden eine bequeme und einfache Art, sich unabhängig von konjunkturellen Schwankungen Geld zu verschaffen. So erhöhen gerade Kommunen, die in Geldnot sind, gerne die Grundsteuer. Nach einer Erhebung des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK) sind in den vergangenen fünf Jahren in Gemeinden ab 20 000 Einwohnern die Hebesätze für die Grundsteuer B um 36 Prozentpunkte auf nunmehr 534 Prozent gestiegen. Mittlerweile haben zwölf Städte mit mehr als 20 000 Einwohnern hier einen Hebesatz von 800 Prozent und darüber, wie etwa Hattingen (875 Prozent), Duisburg (855 Prozent) oder Overath (850 Prozent). 2017 führte laut DIHK die Stadt Witten in Nordrhein-Westfalen die Liste mit einem Hebesatz von 910 Prozent an. Den niedrigsten Hebesatz wies Ingelheim mit 80 Prozent aus. In Bayern liegen die Hebesätze meist deutlich unter dem Bundesdurchschnitt.

Warum landete die Grundsteuer beim Bundesverfassungsgericht?

Bund und Länder streiten mittlerweile 22 Jahre über eine Reform der Steuer. Der Bundesfinanzhof (BFH) hält die Richtwerte zur Erhebung der Steuer für veraltet. So beanstandete das höchste deutsche Steuergericht unter anderem, dass eine Wertminderung wegen des Alters einer Immobilie ausgeschlossen sei. Über die Vorlage des BFH und zwei weitere Verfassungsbeschwerden verhandelt das Bundesverfassungsgericht mündlich an diesem Dienstag. Die Kläger und Beschwerdeführer sehen unter anderem einen Verstoß gegen Artikel 3 des Grundgesetzes, also den Gleichheitsgrundsatz, weil Veränderungen auf dem Immobilienmarkt nicht ausreichend bei der Bewertung berücksichtigt werden.

Was ist in Karlsruhe zu erwarten?

Es spricht viel dafür, dass das Bundesverfassungsgericht die veraltete Berechnungsmethode kippen wird. Kommen die Richter zu einem ähnlichen Schluss wie ihre Kollegen in München, muss der Gesetzgeber aktiv werden.

Welche Reformvorschläge kommen von Bund und Ländern?

In ihrem alten Koalitionsvertrag hatten Union und SPD angekündigt, die Grundsteuer "zeitnah zu modernisieren". Passiert ist jedoch nichts. Die Länder brachten hingegen 2016 einen Gesetzesentwurf im Bundesrat auf den Weg. Dieser Plan sieht vor, die 35 Millionen Grundstücke und Immobilien in Deutschland neu zu bewerten und dabei den Wert des Gebäudes und den Bodenrichtwert zu berücksichtigen, der sich aus den durchschnittlichen Verkaufspreisen ergibt. Eigentümer von wertvollen Objekten und Grundstücken müssten dann eher mehr zahlen, die mit Besitz in weniger begehrten Lagen eher weniger.

Gibt es Kritik an den Plänen der Länder?

Zu den Gegnern zählt die bayerische Staatsregierung. Sie befürchtet, dass eine Erhebung nach aktuellen Werten Eigentümer und Mieter im Freistaat besonders hart treffen werde, weil die Immobilienpreise dort zuletzt besonders stark angezogen haben. Der Bund der Steuerzahler dringt darauf, sich auf ein einfaches Modell zu einigen, ohne ein aufwendiges neues Erfassen des aktuellen Werts aller Immobilien. Auch Martin Wansleben, Hauptgeschäftsführer des DIHK, warnt: Der Vorschlag des Bundesrates würde das Steuerrecht nur komplizierter machen. "Die Unternehmen müssten befürchten, dass die Steuer noch stärker steigt als bisher." Eine Reform müsse auf jeden Fall einfachere Bewertungsregeln vorsehen.

Welche Reformvorschläge gibt es noch?

Das Bündnis "Grundsteuer: Zeitgemäß!", dem unter anderem der Deutsche Mieterbund und der Naturschutzbund angehören, fordert eine reine Bodensteuer. Auch das arbeitgebernahe IW macht sich dafür stark. Unbebaute Grundstücke in Innenstädten würden so um mehrere hundert Euro pro Jahr teurer, das könnte die Spekulation mit ungenutzten Grundstücken und Baulücken weniger attraktiv machen. Die Grundsteuer für Mieter in Mehrfamilienhäusern würde sich eher verringern und für Nutzer von Ein- und Zweifamilienhäusern eher erhöhen.

© SZ vom 16.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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