Brexit:Europas Städte buhlen um britische Arbeitsplätze

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Das Bild entstand während des Besuchs von Elisabeth II. im Juni 2015. Jetzt hofft Berlin auf Finanz-Start-ups.

(Foto: John Macdougall/AFP)
  • Die Briten haben noch nicht einmal offiziell ihren Austritt aus der EU eingereicht, da laufen sich die Städte Europas schon warm, um Unternehmen und Institutionen aus der britischen Hauptstadt abzuwerben.
  • Das Kalkül ist einfach: Wer Unternehmen anlockt, kann mit Arbeitsplätzen und Steuereinnahmen rechnen.

Von Caspar Busse, Björn Finke, Andrea Rexer und Wolfgang Wittl

Der große Ausverkauf hat begonnen, und der bayerische Finanzminister Markus Söder prescht dabei voran: Er will die Europäische Bankenaufsichtsbehörde (EBA) aus London nach München holen. In einem Brief an den Bundesfinanzminister bittet er, dass sich Wolfgang Schäuble auf europäischer Ebene für den Umzug der Behörde mit ihren 160 Mitarbeitern einsetzen möge.

Ziel müsse es sein, München als zweitwichtigsten Finanzplatz Deutschlands nachhaltig zu stärken, sagte Söder der Süddeutschen Zeitung. Die Nummer eins, Frankfurt am Main, sei mit dem Sitz der Europäischen Zentralbank und Versicherungsaufsicht EIOPA bereits gut bestückt. Die EBA sei für München und seine großen Versicherungen und 436 bayerische Banken eine "hervorragende Ergänzung", so Söder.

Wachstum durch Abwerben

Der bayerische Finanzminister ist nicht der Einzige, der versucht, aus dem Votum der Briten Vorteile zu schlagen. Die Briten haben noch nicht einmal offiziell ihren Austritt aus der EU eingereicht, da laufen sich die Städte Europas schon warm, um Unternehmen und Institutionen aus der britischen Hauptstadt abzuwerben. Dabei ist noch offen, ob oder inwieweit die Freizügigkeit eingeschränkt wird oder ob es Hürden im Kapitalverkehr geben wird. Das Kalkül ist einfach: Wer Unternehmen anlockt, kann mit Arbeitsplätzen und Steuereinnahmen rechnen. Wachstum durch Abwerben - das ist in der vor sich hin dümpelnden Konjunktur höchst willkommen.

Kein Wunder also, dass auch die Franzosen völlig offen um britische Arbeitsplätze buhlen. "Wir rollen den britischen Unternehmen den blau-weiß-roten Teppich aus", sagte etwa die Präsidentin der Region Paris, Valérie Pécresse. Und das lässt sie sich auch etwas kosten: In der Financial Times erschienen Anzeigen mit den Slogans "Willkommen in der Region Paris" und "Kommen Sie nach Paris und nutzen Sie dort ihre Chancen!"

Selbst Städte wie Amsterdam rechnen sich Vorteile durch den Brexit aus. So brachte der niederländische Finanzminister und Euro-Gruppenchef Jeroen Dijsselbloem Amsterdam als neuen Finanzstandort ins Spiel. Für ihn ist es ausgemachte Sache, dass Banken, die in London ansässig sind, keinen uneingeschränkten Zugang zum europäischen Kapitalmarkt mehr haben werden. Denn um in der gesamten EU tätig zu sein, brauchen Banken einen sogenannten "EU-Pass". Vor allem amerikanische und asiatische Banken haben sich diesen Zugang bisher über London geholt, sie werden sich andere Standorte suchen müssen. Ganz vorn sieht sich in diesem Rennen natürlich Frankfurt.

Mit rund 10 000 zusätzlichen Arbeitsplätzen rechnet die Standortinitiative Frankfurt Main Finance. Dass die Bankenaufsicht EBA nach Frankfurt kommen sollte, hält man am Main für "folgerichtig", denn neben den Banken ist auch die Zentralbank hier angesiedelt.

Dublin hat nicht genug Büros, um das neue London zu werden

Und während Frankfurt mit München um die EBA streitet, versucht Berlin bei den Start-ups aus dem Finanzbereich schneller zu sein als die Kollegen in Frankfurt. Ab Montag schaltet die Ansiedlungsagentur Berlin-Partners eine Website frei, die gezielt für britische Unternehmen die wichtigsten Fragen klären will ("Was ist die Rechtsform GmbH?"). Schon jetzt verzeichnet Berlin-Partners-Chef Stefan Franzke reges Interesse: Direkt nach dem Referendum hätten sich fünf Londoner Fintechs gemeldet, die nach Berlin kommen wollen, so Franzke. Interesse kommt auch von unerwarteter Adresse: "Wissenschaftler aus Cambridge und Oxford interessieren sich für Berlin, weil sie sich um die europäische Forschungsförderung sorgen. Ihre Neugründung wäre in Berlin gut aufgehoben", meint Franzke.

Sowohl bei Finanzunternehmen als auch bei Tech-Unternehmen könnte den Deutschen allerdings ein anderer Spieler einen Strich durch die Rechnung machen: Dublin. Irland ist zusammen mit Luxemburg ein Zentrum der Fondsbranche in Europa, viele Leasinganbieter residieren ebenfalls in der Stadt. Daneben sitzen in Dublin viele Technologiekonzerne. Google und Facebook haben ihre Europazentralen in der Stadt, auch viele Start-ups haben Dublin als Standort gewählt. Ein Hindernis dafür, Konzerne von London nach Dublin zu locken, ist der Mangel an Büros und Wohnungen in der Stadt.

Die alte Mannesmann-Stadt Düsseldorf hofft auf die Weltzentrale von Vodafone

Doch es sind längst nicht nur Finanzunternehmen und Start-ups, um die andere Städte werben. Düsseldorf etwa würde einen alten Bekannten gern willkommen heißen. Viele Jahre lang leuchtete der rote Schriftzug "Vodafone" über der Stadt. Im Jahr 2000 hatte der britische Mobilfunkkonzern nach einem heftigen Übernahmekampf Mannesmann D2 für die Rekordsumme von 190 Milliarden Euro übernommen und war anschließend mit seiner Deutschlandzentrale in das ehemalige Mannesmann-Hochhaus aus den 50er-Jahren gezogen. 2013 dann zog das Unternehmen auf einen modernen Campus um. In den Büros der alten Zentrale am Rheinufer sitzt heute Nordrhein-Westfalens Wirtschaftsminister - und der träumt jetzt von einem Coup. Er will die Vodafone-Weltzentrale von London nach Düsseldorf locken.

"Düsseldorf ist ein idealer Standort mitten im europäischen Binnenmarkt", sagt Garrelt Duin und fügt an: "Welcome." Schon in der kommenden Woche sollen Mitarbeiter der Wirtschaftsfördergesellschaft NRW-Invest in die britische Hauptstadt reisen und dort Werbung machen. Vodafone-Chef Vittorio Colao, ein überzeugter Europäer, hatte nach dem Votum für den Brexit laut über einen Umzug nachgedacht. Noch ist nichts entschieden, aber Düsseldorf rechnet sich Chancen aus. Deutschland ist mit einem Umsatz von elf Milliarden Euro der wichtigste Markt für Vodafone. Für Düsseldorf wäre ein Umzug nicht nur ein Plus von Tausenden Arbeitsplätzen - sondern auch ein enormer Imagegewinn.

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