Expertin zum Atomausstieg:Große Zahlen für die große Angst

Was kostet die Energiewende? Immer neue Zahlen verunsichern die Deutschen. Dahinter steckt Kalkül, sagt Greenpeace-Expertin Anike Peters. Dabei werde es vor allem dann richtig teuer, wenn Deutschland nicht aus der Kernenergie aussteige.

Hans von der Hagen

Die Energiewende koste viel Geld, sagt die Bundesregierung. Gemäß ersten Berechnungen könnten es drei Milliarden Euro jährlich sein. Womöglich fällt der Betrag am Ende noch viel höher aus - vielleicht aber auch tiefer, denn in solchen Rechnungen stecken viele Unbekannte.

Anike Peters

Anike Peters: "Wir wissen, dass die Folgekosten für erneuerbare Energien wesentlich geringer sind als bei der Atomkraft". (c) Isadora Tast/Greenpeace

(Foto: © Isadora Tast / Greenpeace)

Ohnehin sollten derartige Zahlen mit großer Vorsicht betrachtet werden, sagt Anike Peters, die bei Greenpeace Deutschland für den Energiebereich zuständig ist. Bürgern werde absichtlich Angst gemacht, um den Ausstieg hinauszuzögern. Ihrer Ansicht nach rechnet sich die Energiewende - und sie ist noch dazu schnell realisierbar.

sueddeutsche.de: Die Bundesregierung überschlägt in ersten Berechnungen die Kosten für einen schnellen Ausstieg aus der Kernenergie mit im Schnitt drei Milliarden Euro jährlich. Aber auch viele andere Zahlen sind im Umlauf. Was kostet uns das Ende der Kernkraft in Deutschland?

Anike Peters: Ich kann keine Zahl nennen, weil die Kosten nicht einfach zu beziffern sind. Aber aus unserer Sicht ist es klar, dass langfristig gerechnet die Kosten einer Energiewende geringer sein werden, als wenn wir jetzt an Atomkraft und klimaschädlichen Kohlekraftwerken festhalten.

sueddeutsche.de: Wie können Sie wissen, dass sich der Energiewechsel rechnet, wenn Sie nicht wissen, wie hoch die Kosten für einen Ausstieg sind?

Peters: Wir wissen zumindest, dass die Folgekosten für erneuerbare Energien wesentlich geringer sind als bei der Atomkraft. Nehmen Sie nur die marode Atommüll-Lagerstätte Asse, wo jetzt hohe Mengen an radioaktivem Cäsium gemessen wurden. Die Spätfolgen der Atomkraft müssen nicht die Konzerne bezahlen, sondern der Steuerzahler. Nur spielt das in den Berechnungen für den Ausstieg oft keine Rolle. Schon der jetzt vorhandene Atommüll wird uns noch über Generationen beschäftigen. Bei den Kohlekraftwerken müssen zusätzlich die Kosten für den Klimawandel mitberücksichtigt werden.

sueddeutsche.de: Drei Milliarden Euro soll die Energiewende pro Jahr kosten - das sind also aus Ihrer Sicht Zahlen, mit denen keiner etwas anfangen kann?

Peters: Das ist Panikmache. Da wirkt die Energielobby stark auf die Bundesregierung ein und es wird den Bürgern Angst gemacht. Es darf nicht vergessen werden: Kosten kommen so oder so auf uns zu - auch, wenn wir nicht aussteigen würden. Der Wechsel zu den erneuerbaren Energien ist nicht umsonst zu haben. Aber es sind Investitionen in die Zukunft, es ist darum gut angelegtes Geld.

sueddeutsche.de: Wie schnell ist der Ausstieg aus der Kernenergie in Deutschland realisierbar?

Peters: In vier Jahren. Die Kernkraftwerke, die abgeschaltet werden sollen, werden lediglich durch die schon im Bau befindlichen oder ohnehin längst geplanten Gaskraftwerke sowie erneuerbare Energien ersetzt. Die Gaskraftwerke sehen wir dabei als Brückentechnologie, die in den nächsten Jahrzehnten dann zunehmend durch einen immer höheren Anteil an erneuerbaren Energien ersetzt werden.

sueddeutsche.de: Die Energiekonzerne argumentieren, dass die Einspeisung vom Strom durch erneuerbare Energien starken Schwankungen unterliege und darum derzeit keine ernstzunehmende Alternative für Kernkraftwerke darstelle ...

Peters: Wir haben in unseren Berechnungen auch den schlimmsten Fall berücksichtigt, extreme Zeiten also, in denen die Nachfragelast am größten ist, aber kaum Strom aus Sonne und Wind zur Verfügung steht. Da konnten wir nachweisen, dass zu keiner Zeit die Energieversorgung gefährdet ist. Die Gaskraft reicht für den Übergang zu den erneuerbaren Energien aus. Wir bräuchten noch nicht einmal zusätzliche Kohlekraftwerke. Es befinden sich schon jetzt mehr von ihnen im Bau als benötigt werden. 2013 könnte der Ausstieg aus der Kohle eingeleitet werden.

sueddeutsche.de: Warum planten denn die deutschen Konzerne - ja zunächst zusätzlich zur Kernkraft - ihre Kapazitäten so großzügig?

Peters: Wohl um weitere Exportkapazitäten aufzubauen. In Deutschland wird jedenfalls schon jetzt mehr produziert, als nötig ist. In unseren Berechnungen steht natürlich im Vordergrund: Wie kann Deutschland sich selbst versorgen? Und da ist klar: Es wird keine Stromlücke geben. Die Stromlücke ist eine Stromlüge.

sueddeutsche.de: Bis 2050, heißt es in Studien, könnte sich Deutschland vollständig aus erneuerbaren Energien versorgen. Welches wird dann die wichtigste Energieform in Deutschland sein?

Peters: Die Windenergie dürfte den Großteil des deutschen Stromverbrauchs abdecken.

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