Pflegeprodukte für Tattoos:Gegen das Verblassen der Hautkunst

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Tätowierungen sind heute so sehr akzeptiert, dass sogar Banken damit werben können. (Foto: Reuters)

Jeder fünfte Deutsche ist tätowiert, bei Frauen zwischen 25 und 34 Jahren ist es sogar die Hälfte. Die Kosmetikindustrie erfindet spezielle Pflegeprodukte für diese Zielgruppe. Aber braucht man die wirklich?

Von Claudia Fromme

Wer sich tätowieren lässt, macht die Haut zur Leinwand seiner Seele, und sehr schön hat Johnny Depp das einmal so beschrieben: "Mein Körper ist mein Tagebuch und meine Tattoos sind die Geschichten darin." Der Schauspieler trägt auf seiner Haut also die Namen seiner Kinder, Porträts der Eltern, Szenen aus seinen Filmen und seinen Wurzeln entsprechend indianische Symbole. Wo früher "Winona Forever" gehuldigt wurde, steht heute nur noch "Wino Forever", was nichts mehr mit seiner Ex-Freundin zu tun hat, sondern "Säufer für immer" heißt. Depp bekennt sich auch auf diesem Weg frei zu seiner Sucht.

Depp hat mehr als 30 Tattoos, manche scharf umrissen, einige konturlos und blass. Nicht für jeden schön, aber normal. Tattoos verändern sich, weil die Haut sich ständig erneuert. Die Industrie verspricht nun auf breiter Front Abhilfe. Früher wurden handverlesene Pflegeprodukte für Tattoos vom Studio des Vertrauens empfohlen, in Apotheken gekauft oder online im Ausland bestellt - heute gibt es sie in der Drogerie. Von L'Oreal für Männer, von der Handelsmarke Balea bei dm und vom Hersteller Schaebens, der traditionell ältere Kundinnen mit Meersalzgesichtsmasken versorgt. Mehr Mainstream geht nicht.

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Lange vorbei die Zeit, als ein Tattoo Ausweis eines Menschen war, der wahlweise einen Knast von innen gesehen hat, die Meere der Welt oder beides. In Deutschland ist nach einer Studie der Universität Leipzig jeder Fünfte tätowiert. Vor allem bei Frauen und älteren Menschen wächst der Anteil. Etwa die Hälfte aller Frauen zwischen 25 und 34 Jahren ist tätowiert, das sind 19 Prozent mehr als noch 2009.

Ein Wachstumsmarkt für Tattoostudios und Hersteller von Pflegeprodukten, auch, weil in diesen irre schnellen Zeiten Menschen nach Beständigkeit suchen und viele sie im Tattoo finden. Gesellschaftlich akzeptierter Lifestyle mit Ewigkeitsgarantie - und normativem Druck, wie die Leipziger Forscher feststellten: Wenn der Großteil der eigenen sozialen Gruppe sich tätowiert, ist es schwerer, es nicht zu tun. Gelegenheit dazu gibt es genug: Das Zeit Magazin hat einmal recherchiert, dass es nur zwei Landkreise in Deutschland gibt (Schweinfurt und Straubing-Bogen), in denen kein Tätowierer ein Studio betreibt.

Die neuen Pflegeprodukte gleichen sich dem Massentrend an. War früher die Creme des Herstellers Pegasus der Klassiker, schlichte Packung, medizinischer Auftritt, sehen die neuen Marken wie Frisiercremes für Clubgänger aus. Sie enthalten wie die Vorgänger meist der Wundheilung dienliches Panthenol, warten bisweilen aber auch mit Duftstoffen auf und tragen Namen wie "Sorry Mum" oder "Hustle Butter". Die Packung von "Balm Tattoo" ziert ein Pin-up aus den Fünfzigern, die Erfinder von Tattoo Med bekamen ihre Chance in der TV-Gründershow "Die Höhle der Löwen", die ein guter Gradmesser für neue Märkte ist. In den Kampagnen für die neuen Produkte wähnt man sich nicht mehr auf dem Heavy-Metal-Festival in Wacken, sondern im Familienurlaub: Väter mit tätowierten Armen herzen darin ihre Kinder. Einige Cremes preisen sich, vegan zu sein, was nichts über ihre Verträglichkeit aussagt, den Käufern aber wohl das Gefühl geben soll, alles richtig gemacht zu haben.

Tätowiert wird seit Jahrtausenden, das soziale Ansehen war dabei wechselhaft, der Adel im 19. Jahrhundert zum Beispiel liebte Tätowierungen, Kaiserin Sisis blassen Nacken zierte ein Anker. Ob sie besondere Tinkturen zu dessen Erhalt verwendet hat, ist nicht überliefert. Braucht man also spezielle Cremes, von denen manche die Haut auf die Stiche vorbereiten wollen, andere frische Tattoos versorgen und wieder andere, Farben länger strahlen zu lassen?

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Christiane Bayerl ist Chefärztin der Dr.-Horst-Schmidt-Kliniken in Wiesbaden, als Dermatologin sieht sie Tätowierungen kritisch, schließlich sind sie nichts anderes als verwundete Haut. Bei frisch gestochenen Tattoos rät sie von jedwedem Pflegeprodukt ab. "Frisch tätowierte Haut darf in keiner Form, außer mit Plastikfolie, von außen versorgt werden." Um Krustenbildung zu vermeiden, die Narben begünstigt, wickeln Tätowierer Folie um frische Tattoos. Manche Dermatologen empfehlen Wundsalbe sofort aufzutragen, andere, wie Christiane Bayerl, raten davon ab, weil unter der Folie ein warmes und feuchtes Klima herrscht, in dem Bakterien sich vermehren können. Cremes förderten das. Wenn alles abgeheilt ist, sei die Hautpflege aber unproblematisch, sagt Bayerl. Da reiche jede Körperlotion oder Creme, "es sind keine speziellen Produkte notwendig". Kann eine Creme die Farbe eines Tattoos erhalten? "Ein Abblassen einer Tätowierung erfolgt durch immunologische Fress- und Aufräumzellen, die Farbpigmente über die Jahre abtransportieren", sagt sie. Ein natürlicher Prozess. "Eine von außen aufgetragene Creme beeinflusst Pigmente in der Tiefe der Haut nicht." Wichtig sei der Sonnenschutz, mindestens Lichtschutzfaktor 50, weil einige Pigmente mit Sonne reagierten.

Maik Frey vom Tattoostudio "Wilde 13" in Esslingen ist Sprecher von DOT, dem ältesten deutschen Berufsverband professioneller Tätowierer. Er tätowiert seit fast 30 Jahren, schwört auf die Kombination Folie und Heilsalbe nach dem Tätowieren und wundert sich, wie sich das Ansehen von Tattoos gewandelt hat. "Heute werben Commerzbank und Daimler mit tätowierten Menschen, das war vor ein paar Jahren undenkbar." Dass Kosmetikkonzerne nun Pflegeprodukte für Tattoos anbieten, ist für ihn die logische Konsequenz. Helfen die? "Es gibt keine ernsthafte Forschung, die belegt, das irgendeine Pflege dazu führt, dass ein Tattoo nach 20 Jahren noch aussieht wie am ersten Tag", sagt Frey. Das sei wie bei Anti-Falten-Cremes: Glaubenssache. "Ein Tattoo wird über die Jahre automatisch unpräziser und schwammiger." Er halte sich an die Tätowiererweisheit: "Bold will hold." Also nicht zu feine Linien, nicht zu viele Details pro Quadratzentimeter, nicht zu filigrane Mandalas mit Aquarellfarben, nach denen nun alle fragten. Auch er warnt vor der Sonne. "Wer eine großflächige Tätowierung hat und sich stundenlang auf Malle an den Strand legt, dem ist nicht zu helfen." Den Meisten, glaubt er, sei das egal. Sie wollten vor allem ihre Tattoos zeigen.

Vielleicht laufen sie sich auch warm für einen neuen Trend auf Instagram. Dort zeigen Menschen unter Hashtags wie #fadedtattoo, wie ihre Tätowierungen neu ausgesehen haben - und wie derangiert heute. Verblasste Kunst als Ausweis eines prallen Lebens. Hat was.

© SZ vom 19.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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