Lifestyle:Die Trinkflasche ist die neue It-Bag

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Alles so schön bunt hier: Bei Designer-Trinkflaschen sollen die Verkaufszahlen weiter steigen. (Foto: Stephan Rumpf)

Der Markt für Flaschen zum Auffüllen wächst. Es gibt sie mittlerweile mit Holzmaserung, in Marmor-Optik oder im Metallic-Look. Immer inklusive: der Vorwurf an alle, die keine dabei haben.

Von Angelika Slavik

Es gibt Dinge, ohne die eine Existenz als urbaner Trendsetter im Jahr 2017 nicht möglich ist. Dazu zählen unter anderem die wöchentliche Yoga-Stunde ("Das hat mein Leben vollkommen verändert"), mindestens ein Möbelstück aus Altholz ("Unser Esstisch war früher eine Kinderschaukel in Papua-Neuguinea") und natürlich ein jederzeit abrufbarer Vortrag über die Vorzüge des Minimalismus ("Es ist so befreiend, wenn man sich nicht mehr über Konsum definiert").

Neuerdings gehört auch die stete Anwesenheit einer Trinkflasche in diese Reihe. Die Flasche ist immer mit dabei, und sie funktioniert wie ein stummer Vorwurf an alle Umstehenden - attestiert sie dem Träger oder der Trägerin doch gleich eine ganze Menge herausragender Qualitäten. Wer eine Trinkflasche hat, schont die Umwelt, schließlich wirft er keine Einwegflaschen oder Getränkedosen in den Müll (oder zwischen die Gleise der S-Bahn).

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Die Trinkflaschen-Besitzer sparen außerdem eine Menge Geld, denn sie sind clever und müssen nicht an irgendeinem Kiosk überteuerte Preise zahlen, wenn sie der Großstadt-Sommer ausgedörrt hat. Und, natürlich, sie trinken Wasser! Keine Energydrinks, keinen Eistee, keine Fanta. Kurz gesagt, keinen bösen Zucker. Sie sind also auf dem besten Weg zu ewiger Jugend. Wenn sie irgendwann 60 ist, wird die Trinkflaschen-Besitzerin aussehen wie das Model Christie Brinkley, während die unorganisierte Softdrink-Säuferin schon mit 40 frappante Ähnlichkeit zur Punksägerin Courtney Love aufweisen wird.

Da fühlt man sich natürlich gar nicht gut mit seiner Cola-Dose in der Hand, eben erworben für irrsinnige 3,95 Euro am U-Bahn-Kiosk.

Die mitgeschleppte Wasserflasche demonstriert Umwelt-Engagement

Dass sich der Großstädter nun nicht mehr ohne seine Trinkflasche aus dem Haus bewegt, hat natürlich auch eine Schattenseite. An so einem Ding zu nuckeln ohne gerade, sagen wir, mit einem Mountainbike heroisch die Zugspitze erklommen zu haben, sieht nicht unbedingt sexy aus. Da ändert es auch nichts, dass Hollywood ebenfalls schon seit Jahren an der Trinkflasche hängt.

Der gestresste A-Promi schleppt mit cooler Selbstverständlichkeit seine Water Bottle in edel mattierten Pastelltönen durch L. A. und demonstriert bei dieser Gelegenheit nicht nur vorbildliches Engagement für die Umwelt. Er liefert auch gleich noch Beweisfotos, welche die Standardantwort im beliebtesten Dialog zwischen Reporter und Hollywoodstar glaubwürdig untermauern: "Wie schaffen Sie es, so unglaublich jung auszusehen?" - "Nun, ich trinke einfach sehr viel Wasser, das ist das ganze Geheimnis!"

Die neue Begeisterung fürs Wassertrinken und Umweltschützen ist auch der Wirtschaft nicht entgangen, und so gibt es ein immer unübersichtlicheres Angebot von Trinkflaschen in unterschiedlichen Größen, Preisklassen und mit diversen Sonderfunktionen. Da ist der Klassiker von Sigg aus der Schweiz, solide, praktisch, schnörkellos, die Flasche gehörte schon immer in jeden Wanderrucksack. Das Traditionsunternehmen aus Frauenfeld, 1908 gegründet, wurde zwar von einem chinesischen Konzern gekauft. Aber immerhin ist "die Sigg" aus Aluminium Bestandteil der permanenten Sammlung des Museum of Modern Art in New York. Also ein Kulturgut mit höchsten Weihen.

Und alle machen mit, klar. Der Schauspieler Matt Damon hat sogar mal seine eigene Trinkflasche kreiert, als Charity-Projekt für eine Wasserschutz-Organisation. Cassey Ho, die Fitnesstrainerin der Generation Youtube, verscherbelt Wasserflaschen mit Motivationssprüchen ("Der Schmerz von heute ist die Stärke von morgen"), bei der Modekette H & M gibt es schweinchenrosa Trinkflaschen und im Drogeriemarkt welche mit eingebautem Filter und in fragwürdiger Farbauswahl.

Aber, wie könnte es anders sein bei einem Lifestyle-Produkt, Wasserflaschen gibt es auch in der edleren Variante, ab 35 Euro aufwärts. Die gläsernen Exemplare der hippen Firma Bkr aus San Francisco werden in Parfümerien als "Beauty Essential" vermarktet, und das neue, stachelige Modell Tutu in blassem Rosa ist derzeit garantiert das richtige Modestatement in der Yogastunde.

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Stars verbreiten den Trend

Oder man erwirbt eine S'well Bottle - auch kein olles Plastikding mit Schraubverschluss, sondern ein doppelwandiges Kunstwerk aus Edelstahl. Die S'well ist eher eine Art todschicker Thermosbecher, sie soll zwölf Stunden heiß und 24 Stunden kalt halten, was immer man einfüllt. Vor allem aber gibt es S'well Bottles in einer Vielzahl von Designs. Metalliclook, Marmoroptik, Holzmaserung oder Einhornkitsch - die S'well Bottle ist nicht einfach eine Trinkflasche. Sie ist ein Accessoire.

Ausgedacht hat sich das Sarah Kauss. Die Amerikanerin gründete S'well vor sieben Jahren, nachdem sie bei einem Wanderausflug ein praktisches und ästhetisch vertretbares Behältnis vermisst hatte. "Später wurde mir bewusst, was es für die Umwelt bedeuten könnte, wenn wir Einwegflaschen für immer verbannen", sagt Kauss. Den vielen Designs, in denen sie ihre Flaschen anbietet, liege durchaus eine strategische Überlegung zugrunde: "Ich dachte, wenn du die Fashionistas bekommst, bekommst du alle." Und genau so lief es dann auch.

Kauss versuchte gezielt, die Modeszene für ihre Trinkflaschen zu begeistern, damit die Stars den Trend in der Welt verbreiten. Inzwischen lassen sich Julia Roberts, Kaley Cuoco oder Rosario Dawson regelmäßig mit S'well Bottles sehen. Blogger posten Fotos, auf denen die Wasserflasche zum Outfit passt wie die Handtasche und die Armbanduhr. Im vergangenen Jahr hat Kauss mit der S'well Bottle 100 Millionen Dollar Umsatz erwirtschaftet, fast zehnmal so viel wie noch zwei Jahre zuvor. Geholfen haben neben der Marketingstrategie auch eine Kooperation mit Starbucks und eine günstigere Linie für die Discounter-Kette Target.

Kauss, 41, gilt dank des Hypes um die Flasche nun als eine der einflussreichsten Businessfrauen der USA. Das Magazin Forbes setzte S'well auf Platz eins der am schnellsten wachsenden Firmen, die von Frauen gegründet wurden. Die frühere Unternehmensberaterin sagt, sie rechne aber nicht in diesen Kategorien, für sie seien andere Zahlen wichtiger: eine Million zum Beispiel, die Zahl der Einwegflaschen, die sie mit ihrer "1 Million Bottle"-Aktion vom Planeten verbannen möchte - indem die Leute eben ihre Mehrwegflaschen benutzen.

Zum Auftakt hat sie beim Sundance Film Festival im Januar, das sich dem Klimawandel widmete, schon mal 6000 Flaschen mit dem Aufdruck "1 Million Bottle Project" unter die Leute gebracht. In Deutschland startet die Aktion kommende Woche auf der Berliner Fashion Week.

Rettung vor dem Plastikkollaps

Der Erfolg der S'well Bottles hat eine Menge Nachahmer angezogen, doppelwandige Flaschen mit Marmormuster kann man inzwischen auch von anderen Firmen finden, und teilweise deutlich günstiger. Kauss sagt, sie beschäftige ein paar sehr gute Juristen, die sich um die Patentverletzungen kümmern. Wenn Marmormuster die Welt vor dem Plastikkollaps rettet, das macht Kauss deutlich, dann sollen es schon ihre Flaschen sein und nicht die von der Konkurrenz.

In der Zwischenzeit sieht sie sich nach neuen Absatzmärkten um, an Deutschland knüpft sie große Erwartungen. "Der Umweltschutz hat in Deutschland Tradition, ganz anders als in den USA", sagt Kauss. Zudem stelle man in der Bundesrepublik einen hohen Qualitätsanspruch an die Produkte. Beides komme ihr und der S'well Bottle zugute.

Nicht nur Kauss kann sich Hoffnungen auf gute Geschäfte machen. Marktstudien erwarten, dass der Umsatz mit wiederverwendbaren Wasserflaschen bis 2024 im Schnitt um mehr als vier Prozent im Jahr wachsen wird, auf dann 10,2 Milliarden Dollar. Vor allem Flaschen aus Edelstahl haben Potenzial. In sieben Jahren soll jede dritte Trinkflasche aus Metall sein, während derzeit Plastikflaschen den Markt dominieren. Bei denen ist die Gewinnspanne am größten. Flaschen aus Kunststoff sind günstig herzustellen und mit dem richtigen Design dennoch gut zu verkaufen.

Darauf trinken wir! Aus einem Glas.

© SZ vom 01.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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