Haartrend in New York:Glänzende Haare gleich glänzende Karriere

Nautica  - Backstage - New York Men's Fashion Week FW 2016

Ein typisches Bild für Fashion-Show und Bürgersteig in New York: Haare föhnen beim Spezialisten für das Frauenhaar.

(Foto: dpa; Bearbeitung SZ)

"Waschen, Legen, Föhnen" ist nur etwas für ältere Damen? In New York lassen sich Geschäftsfrauen regelmäßig Haar und Hirn durchpusten.

Von Johanna Bruckner, New York

Wer seine Haare im Griff hat, hat sein Leben im Griff. Diese Erfolgsformel wird manchen kleinen Mädchen und Jungen eingetrichtert, sobald sie einen kämmbaren Flaum haben. Später erhalten diese Kinder die Shampoo-Conditioner-Out-of-Bed-Texturizer-Industrie am Leben, und natürlich Friseure von Garmisch-Partenkirchen bis Flensburg. Aus gutem Grund. Sie kennen vielleicht Studien, die glatzköpfigen Männern mehr Durchsetzungsvermögen im Beruf bescheinigen? Ein rasierter Kopf ist also keinesfalls die (letztmögliche) Frisur des Verzweifelten, sondern das getrimmte Statement des selbstbewussten Machers. Oder nehmen wir Angela Merkel: Der trauten viele erst zu, ein Land zu leiten, nachdem sie einen kompetenten Friseur gefunden hatte. Vielleicht ist die deutsche Kanzlerin sogar mitverantwortlich dafür, dass es seit einigen Jahren auch hierzulande vereinzelt sogenannte "Blow Dry Shops" gibt.

Flächenmäßig hat sich dieser Trend in Deutschland allerdings bislang nicht durchgesetzt. Ganz anders in amerikanischen Großstädten. Hier sind "Blow Dry Shops" etablierte Institutionen. "Waschen, Legen, Föhnen", dieser Domestizierungsdreiklang firmiert in New York unter einem einzigen Begriff: Blowout. Das klingt mindestens wie der Titel eines Quentin-Tarantino-Films. (Eine kurze Internetrecherche ergibt: Es existiert tatsächlich ein Film mit dem Titel "Blow out" aus dem Jahr 1981, den Tarantino nach eigener Aussage zu seinen All Time Favorites zählt.) Wer vom Blowout kommt, so stellt man sich vor, hat einmal Haar und Hirn durchgepustet bekommen und sieht die eigene Agenda sauber strukturiert in Bullet Points vor dem inneren Auge. Äußere Ordnung gleich innere Ordnung, wie meine Tante zu sagen pflegt.

Wash, Dry, Style, Go - die Betonung liegt auf Gehen

Bei "Amika" im hippen New Yorker Stadtteil Williamsburg gilt anscheinend: glänzende Haare gleich glänzende Karriere. Viele Kundinnen kämen vor der Arbeit, die stressigste Zeit im Salon sei morgens vor acht, erzählt Friseurin Katie, als sie mir das Haar shampooniert. Ihre typische Kundin ist eine Geschäftsfrau zwischen 25 und 45. Sie bezahlt für das Standardprogramm "Down DO" 45 Dollar und bekommt dafür: "Wash. Dry. Style. Go."

Die Betonung liegt auf Gehen. Die verschiedenen Waschgänge sind eine geschäftsmäßige Angelegenheit. Aber zumindest bekommt man für sein Geld die ganze Produktpalette ins Haar massiert, die in quietschbunten Dosen in den Regalen steht. Das ist das Kerngeschäft von "Amika": Das Unternehmen aus Brooklyn produziert Haarpflegeprodukte mit wohlklingenden Namen wie "Bombshell Blowout Spray" oder "Headstrong Hair Spray" (die spontane Vermutung, dass Quentin Tarantino stiller Teilhaber ist, lässt sich nicht verifizieren). Außerdem im Angebot: mit Blumen bedruckte Glätteisen und Föhne.

Den "Blow Dry Shop" gibt es seit Ende 2015, er dient natürlich auch als Verkaufsplattform. Deshalb läuft auf den Bildschirmen über den Spiegeln ein Schwarz-Weiß-Film, in dem ein Vampir reihenweise perfekt geföhnte Blondinen meuchelt. "Wir haben einen neuen Föhn, den 'Immortal Power-Life Dryer'", erklärt Friseurin Katie. Was der unsterbliche Föhn mit den sterbenden Blondinen zu tun hat, wird nicht ganz klar. Das Blut spritzt, die Frisur sitzt?

Von solchen missverständlichen Werbebotschaften einmal abgesehen: Imagetechnisch liegt zwischen Blowout und "Waschen, Legen, Föhnen" mindestens ein Ozean. Die deutsche Variante weckt Assoziationen an reizende ältere Damen mit toupierten Silberlocken, Frauen, die seit Jahrzehnten nicht mehr Hand an die eigene Frisur gelegt haben. Stattdessen wird das eigene Haupthaar einmal in der Woche im Salon des Vertrauens mit Stielkamm, Föhn und jeder Menge Haarspray in Form gebracht. Doch solche Kundinnen mit Klasse werden mutmaßlich seltener.

New York, Blow Dry Shop, Blowout

Zwölf verschiedene Stylings bietet "Amika" an - gefühlt geht jede Kundin mit einer Locken-Variation aus dem Laden (mich eingeschlossen).

(Foto: Johanna Bruckner)

Welchen Anteil am Umsatz der Service "Waschen - Legen - Föhnen" bei deutschen Friseuren im Jahr ausmacht, lässt sich nur spekulieren. Zahlen dazu werden nicht erhoben. Man könnte aufgrund der demografischen Struktur vermuten, dass auf dem Land mehr geföhnt wird als in der Stadt. Andererseits haben Damen in der Stadt möglicherweise mehr Anlässe für ein Rundbürsten-Refreshing?

Auf der "Park Avenue" trägt man Seitenscheitel und edle Wellen

In New York gibt es föhntechnisch jede Menge Auswahl: Die "Amika"-Kundin kann beispielsweise zwischen zwölf Stylings wählen, die nach den verschiedenen Vierteln der Stadt benannt sind. In "SoHo" trägt man demnach Mittelscheitel und geglättete Haare, auf der "Park Avenue" Seitenscheitel und edle Wellen und auf der Lower East Side eine Kombination aus Undone-Locken und Dutt. Am Tag des Besuchs verlassen sämtliche Frauen den Laden mit einem Look, der nicht auf der Karte steht: Beach Waves. Möglicherweise eine Trotzreaktion der New Yorkerinnen - denn draußen schneit es.

Am Ende ist "Waschen, Legen, Föhnen" auch ein Ausdruck des Kampfes Mensch und Maschine gegen die Natur. Der Tagessieg geht an den "Immortal Power-Life Dryer".

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