Chanel-Ausstellung in Hamburg:Mythos ohne lästige Details

Chanel-Ausstellung in Hamburg: Coco Chanel im Jahre 1969

Coco Chanel im Jahre 1969

(Foto: Imago Stock&People)

Flakons, Bonmots und Abendkleider - eine Ausstellung in Hamburg spürt Coco Chanel nach. Die Macher verzichten darauf, die Schönheit der Dinge mit zu viel zweifelhaften Details aus der Biografie der Modemacherin zu beschämen. Schließlich entstand der Mythos Chanel vor allem durchs Weglassen.

Von Till Briegleb

Im Leben der Gabrielle Chanel war einiges zweifelhaft. Ihren Spitznamen Coco bekam sie als jugendliche "Sängerin" in einer Soldatenbar. Ihr Verhalten nach dem Einmarsch der Deutschen in Paris, als sie versuchte, ihre jüdischen Geschäftspartner vom Kommissariat für Judenfragen enteignen zu lassen, sowie ihre Liebesbeziehung zu dem Sonderbeauftragten des Reichspropagandaministeriums für Frankreich werden mit dem Adjektiv "zweifelhaft" eher verharmlost. Von Arbeiterrechten hielt die Waise mit Wohnsitz im Hotel Ritz so viel, dass sie Bitten um Gehaltserhöhung nach zehn Jahren treuer Dienste mit der Entlassung quittierte.

Ist das der Stoff, aus dem man Mythen strickt?

"Mythos Chanel", die große Ausstellung zum berühmtesten Modehaus der Welt, erwähnt solche Details nur am Rande. Im Mode-Geschäft verflüchtigen sich persönliche Verfehlungen noch schneller als ein Spritzer "Chanel Nº 5". Das meistverkaufte Parfüm aller Zeiten erweckt andere Eroberungszüge in der Phantasie als den Einsatz deutscher Panzer. Der seit 1921 nahezu unveränderte Flakon dient als ein Reichsapfel für jede Frau, der Herrschaft über das Begehren verspricht. Der Duft aus Rose, Jasmin und 80 anderen Ingredienzen, weht durch eine Welt, in der Politik und Moral peinlich und spießig wirken.

Darum ist dann diese für die Draiflessen Collection in Mettingen konzipierte Wanderausstellung, die im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe zu sehen ist, auch nicht so kleinkariert, die Schönheit der Dinge mit allzu viel Biografischem zu beschämen. Schließlich entstand der Mythos Chanel vor allem durchs Weglassen. Das "kleine Schwarze", das Coco Chanel zwar nicht erfunden, aber durchgesetzt hat, steht für die erste Phase zeitloser Eleganz durch Reduktion, mit der das Modehaus ab den Zwanzigern identifiziert wird. Und auch ihr Comeback mit 71, das sie - nach einer Schamfrist wegen NS-Kollaboration im Schweizer Exil - 1954 in Paris startete, gelang der Modedesignerin mit Anti-Opulenz: Das Chanel-Kostüm eroberte die Welt als eine prägnant überzeugende Kleidungslehre, die dann auch kopiert wurde wie kein anderes Nähwerk französischer Stilkunde.

Tags wie eine Raupe, nachts wie ein Schmetterling

Beispiele aus den Zwanzigern im ersten Saal illustrieren Coco Chanels Bonmot, die Frau solle tags gekleidet gehen wie eine Raupe, aber nachts wie ein Schmetterling - wobei auch die gezeigten Abendkleider mehr dem ornamentlosen Schick der Architekturmoderne jener Zeit verpflichtet waren als der Grandezza von Ballfantasien. Dem kleinen Schwarzen ist der folgende Saal gewidmet. Von Chanels Umkehrung der Trauerfarbe in den fröhlichen Inbegriff des "Pariser Chics" Mitte der Zwanziger, bis zu diversen Wiederaufnahmen des Klassikers von C&A bis Issey Miyake demonstriert dieses Kapitel die unleugbare Mythenkraft von Coco Chanels Entwürfen.

Marlene Dietrichs Chanel-Garderobe aus 20 Jahren beweist Coco Chanels genaues Gespür für die Grenze von Extravaganz zu Vulgärem. Diese Großvitirine teilt sich den dritten Saal mit dem einzigen Tätigkeitsfeld der "Mademoiselle", das kühn und verschwenderisch Luxus darstellte. Der Schmuck des Hauses, für den Inspiration aus Gemälden und Grabbeigaben unterschiedlichster Epochen zugelassen war, versteckt seine Nüchternheit allein im Material. Die Variationen über Cocos Lieblingsblüte, der Kamelie, und die goldenen Prachtgehänge im Stil von Inka-Fürsten und Renaissance-Mätressen bestehen im Wesentlichen aus Glas, Emaille, Messing und Kunstperlen.

Saal vier zeigt eine Konfrontation von Chanel-Kostümen und ihren weltweiten Adaptionen, wobei weniger die Anpassungsfähigkeit der Kopisten überrascht, als die Tatsache, das Chanel dem Plagiarismus durchaus zugewandt war. Sie pflegte die Meinung, dass "Entdeckungen gemacht werden, um kopiert zu werden. Das ist das größte Kompliment." Und um Komplimente zu werben, wird Mode schließlich gemacht. Das ist die Wahl des Paris, der sich jede Kollektion zu stellen hat. Auch jede von Karl Lagerfeld, der seit 1983 den Stil des Hauses entwirft. Seine anfangs vorsichtigen, später forscheren Modernisierungsschritte werden im letzten Saal gewürdigt - und mit dem Rezept erklärt: "Ich gebe der Chanel-Lehre eine Prise Humor."

Nackte Lieblingsmodels in verzuckerten Posen

Lagerfeld ist in seiner Geburtsstadt aber nicht nur das große Finale dieser Ausstellung gewidmet. Für den Versuch der benachbarten Hamburger Kunsthalle, Lagerfeld als Reinkarnation von Anselm Feuerbach in einer Doppelausstellung zu verherrlichen, muss der Besucher selbst eine gehörige Prise Humor schnupfen. Lagerfelds peinlicher Schwulen-Kitsch zum Thema "Daphnis und Cloe" ist eine Hochglanz-Adaption der Bilder Baron Wilhelm von Gloedens, der 1878 in Sizilien nackte Burschen in antiken Ruinen knipste. Drapiert über zahlreiche Säle zeigen Lagerfelds redundante Großformate seine nackten Lieblingsmodels in verzuckerten Posen.

Man kann sicherlich auch Feuerbachs obsessiven Porträtzwang, mit dem er seine beiden Liebesmodels in den gleichen Profilposen mit aufgeknöpfter Bluse malte, unter dem Aspekt des Kitsches diskutieren. Aber in dem hier erzwungenen Verhältnis zu Lagerfelds Idealkörper-Verherrlichung ist der akademisch-schlüpfrige Schönheitsdrang des 19. Jahrhunderts so eine Offenbarung wie die legendäre Chanel-Tasche "2.55" es für die graue Nachkriegszeit gewesen sein muss.

Mythos Chanel. Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg. Bis 18. Mai 2014. Der Katalog kostet 50 Euro.

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