Zlatan Ibrahimovic:Zum Abschied noch ein bisschen Pathos

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Letzter Auftritt gegen Belgien: Zlatan Ibrahimovic beendet seine Karriere in der Nationalmannschaft. (Foto: AFP)

... aber geweint wird nicht. Zlatan Ibrahimovic rekonstruiert sein Ende in der schwedischen Elf im Stile einer Tellerwäschergeschichte. Die EM wird zum Makel in seiner schillernden Karriere.

Von Ulrich Hartmann, Nizza

Als Zlatan Ibrahimovic am Mittwoch um 22.50 Uhr den Rasen im Stade de Nice verließ, brandete im Fanblock Applaus auf. Tausende Zuschauer klatschten mit erhobenen Händen demonstrativ Beifall und riefen im Chor seinen Namen. Diese Zuschauer trugen rote Trikots. Es waren die Fans der belgischen Mannschaft, die den bedeutendsten Spieler der schwedischen Fußballgeschichte verabschiedeten.

Schon vor dem Spiel und währenddessen hatten sie seinen Namen gerufen und applaudiert. Aber da war es noch reiner Spott gewesen. Parodierend hatten sie die Rufe der schwedischen Fans nachgeäfft. Der Held Ibrahimovic war für viele ja immer auch ein richtiges Feindbild. Doch nach dem Schlusspfiff waren es die belgischen Zuschauer, die wieder riefen. Und diesmal meinten sie es ernst.

Sie wussten, dass hier einer der besten, einflussreichsten und exzentrischsten Fußballer der Welt seine Zeit in der Nationalmannschaft beendete. Dass es keine Europa- und keine Weltmeisterschaft mehr geben wird mit dem umstrittenen Provokateur, der dem Fußball so viele Kabinettstücke und Youtube-Filmchen gegeben hat, das bedauerten an diesem Abend sogar die Belgier. "Er ist einer der Größten des Fußballs", sagte Belgiens Angreifer Eden Hazard, "aber wir konnten ihn leider trotzdem nicht ins Achtelfinale einziehen lassen."

Mit 19 erstmals im gelben Trikot

Als Ibrahimovic nachdenklich und mit hängendem Kopf in die Stadion-Katakomben schlich, erwartete ihn dort der belgische Trainer Marc Wilmots und gratulierte ihm "zu einer großartigen Karriere", wie er später berichtete. Man wusste an diesem milden Abend an der Côte d'Azur nicht genau, was bedeutsamer war: Belgiens Einzug in die K.-o.-Runde oder das letzte Länderspiel des großen schwedischen Fußballers.

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Wenn man nach 15 Jahren zum letzten Mal für sein Land gespielt hat, dann erinnert man sich offenbar wehmütig vor allem der Anfänge. Als Ibrahimovic nach Mitternacht die schwedische Kabine verließ und jenen Parcours durch die Katakomben gehen musste, der auf dem Weg zum Bus von den Berichterstattern gesäumt wird, sprach der 34-Jährige nicht von der 0:1-Niederlage gegen Belgien, nicht von einem schwachen Spiel, nicht von einer enttäuschenden EM-Teilnahme mit nur einem Punkt und jenem einen Tor, das auch noch die Iren für die Schweden erzielen mussten - nein, Ibrahimovic sprach über sich und seine Kindheit in Schweden.

Er sprach davon, wie dieses Land einen festen Platz in seinem Herzen gefunden hat, obwohl er vor 34 Jahren als Kind eines Bosniers und einer Kroatin in jenem multikulturellen Malmöer Stadtteil namens Rosengard geboren wurde, in dem sich viele Kinder erst einmal nicht so richtig zugehörig fühlen. Ibrahimovic hat in Schweden über den Fußball seine Heimat gefunden. Die Anerkennung der Menschen, seit er mit 19 Jahren erstmals im gelben Trikot spielte, hat ihm dabei geholfen.

Ibrahimovic ist privilegiert, aber diese Relativierung seines Erfolgs bei den Menschen hat er am Mittwoch ausgespart. Er hat seine Fußballkarriere lieber im Stile einer amerikanischen Tellerwäschergeschichte rekonstruiert und sie mit einer Sahnehaube aus Patriotismus garniert. So etwas gefällt den Leuten. "Ich habe dieses Land zu meinem Land gemacht", sagte er im fahlen Neonlicht des Stadion-Souterrains, "und das ist auch deshalb eine so besondere und schöne Geschichte, weil die Menschen den Ort, aus dem ich komme, 'Ghetto' nennen."

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Ibrahimovic, der begnadete Fußballer, wusste auch den Pathos immer treffend einzusetzen. In einem Buch ("Ich bin Zlatan Ibrahimovic") und einem Film ("Zlatan - ihr redet, ich spiele") hat er die Welt mit seinen großmäuligen ebenso wie mit seinen eher wenig bekannten sensiblen Gedanken versorgt. Er spricht viele Sprachen - emotional wie linguistisch.

Ibrahimovic hat in Malmö, Amsterdam, Turin, Mailand, Barcelona und Paris gespielt - und bald wird er mit großer Wahrscheinlichkeit bei Manchester United spielen. Er ist in den Metropolen Europas zu Hause, deshalb war er einer der attraktivsten Fußballer, die die Geschichte der Europameisterschaft hervorgebracht hat. 2004, 2008 und 2012 hatte er bereits an einer EM teilgenommen und dabei sechs Tore erzielt, bevor dieses Turnier - sein torloses, viertes und abschließendes - fast ein kleines Debakel wurde, das auf dem letzten Platz der Gruppe E endete. Er wollte seine Karriere im Nationalteam (116 Länderspiele, 62 Tore) nicht mit einer Enttäuschung beenden, aber dies ist nun doch eine jener Facetten, die einen kleinen Schatten auf seine so strahlende Laufbahn wirft.

Kein Bad in der Menge

Ibrahimovic hat mit dieser schwedischen Mannschaft nicht mehr viel verbunden. Man spürte das vor den Spielen beim Aufwärmen, bei dem er die kollektiven Übungen der Startspieler nur verlangsamt mitmachte, fast widerwillig. Man spürte das aber vor allem während der Spiele, in denen er auch deshalb keine Bindung zum Rest der Mannschaft fand, weil sie überhaupt nicht auf seinem Niveau spielte. Immer wieder versuchte er seinen Mitspielern gestisch Laufwege und Passmöglichkeiten zu erklären, doch diesmal gelang nichts. Diesmal versagten sie alle: der König ebenso wie seine Gefolgschaft.

Ibrahimovic ist jetzt 34, er will in Manchester noch mal auf höchstem Niveau Premier-League-Fußball spielen und opfert dafür die Nationalmannschaft. Aber es ist wohl auch so, dass er mit dieser Mannschaft ohnehin keine gute Perspektive für die nächsten Jahre gesehen hat. Bevor er am Mittwoch den Rasen verließ, ging er allenfalls bis auf 30 Meter an den schwedischen Fanblock heran und klatschte den Fans mit erhobenen Händen Beifall, nur kurz, dann drehte er sich schon wieder ab Richtung Kabinengang.

Es wirkte, als wäre es nur ein ganz normales Länderspiel gewesen. Kein Bad in der Menge, kein minutenlanger Abschied, keine Tränen - aber man sagt ja, dass den harten Kerlen das Abschiednehmen besonders schwer fällt. Vielleicht sogar am schwersten von allen.

© SZ vom 24.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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