WM-Quartier der Nationalmannschaft:Hämmern unter Palmen

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Noch ist das Campo Bahia Baustelle, am 8. Juni sollen hier die deutschen Nationalspieler einziehen. (Foto: Maik Rosner)

Die deutsche Nationalelf soll im beschaulichen Quartier Campo Bahia trainieren und entspannen, um in Rio den WM-Titel zu holen. Viele Dorfbewohner freuen sich schon auf ihre neuen Nachbarn. Doch die brasilianische DFB-Herberge ist noch so unfertig wie einige WM-Stadien. Eine Ortsbesichtigung.

Von Maik Rosner, Santo André

Rodrigo und Maurice sitzen im Schatten einer Palme am Strand, direkt vor dem Campo Bahia, in dem die deutsche Nationalmannschaft am 8. Juni ihr WM-Quartier beziehen wird. Die Sonne brennt, die beiden Bauarbeiter essen gerade zu Mittag. Vor den beiden Männern rauscht die Brandung an den weiten und nahezu menschenleeren Sandstrand, im Hintergrund ist lautes Hämmern und Sägen zu hören. Rodrigo wiegt den Kopf, er sagt: "Ich glaube nicht, dass alles fertig wird. Es gibt noch zu viele Dinge, die erledigt werden müssen."

Über das Quartier etwa 30 Kilometer nördlich vom Flughafen in Porto Seguro im Bundesstaat Bahia war bisher nicht viel Gutes zu vernehmen: Pikierte Gastgeber, die sich wunderten, dass der Deutsche Fußball-Bund (DFB) keine der ursprünglich angebotenen Unterkünfte für gut genug befunden hatte. Ein Unwetter, das das Campo angeblich beinahe weggespült hätte. Naturschützer, die das für brasilianische Verhältnisse erstaunlich schnell genehmigte Projekt und dessen Folgen kritisierten. Und Dorfbewohner, die die Deutschen als Eindringlinge betrachten und sie am liebsten mit der Fähre auf dem nahegelegenen Fluss João de Tiba kentern sähen. So klang das jedenfalls.

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Der Besuch vor Ort und die Gespräche mit den Menschen in Santo André erwecken jedoch einen anderen Eindruck. Es gibt Kritik, die Mehrheit der Einwohner scheint sich aber auf die Fußballer aus Alemanha zu freuen.

Von der offiziellen Gelassenheit ist nichts zu spüren

Anlass zur Sorge gibt aus DFB-Sicht vor allem der langsame Baufortschritt. Das dürfte auch Teammanager Oliver Bierhoff so sehen, der hier in Kürze zu seiner letzten Visite vor der WM erwartet wird. Der Zeitdruck ist enorm, die Bauvorhaben in den nur noch sechs Wochen bis zum Einzug komplett umzusetzen. Das Campo Bahia ist derzeit so unfertig wie manche WM-Arenen.

Bierhoff hatte das zuletzt zwar schon indirekt eingeräumt. "Die Häuser der Spieler müssen als Erste fertig sein, die haben Priorität", sagte er, beruhigte aber, bis zum 8. Juni "muss und wird alles funktionieren". Doch offenbar ist der DFB besorgter, als es ohnehin schon anklang. Von der offiziellen Gelassenheit ist in Santo André jedenfalls nichts zu spüren. Die Stimmung ist nervös. Keine Auskünfte, stattdessen wird über Nacht schnell eine Zaunlücke geschlossen. Einblicke ins Campo Bahia und den Trainingsplatz zwei Kilometer nördlich vom Dorf sind unerwünscht. Man schottet sich ab - und arbeitet rund um die Uhr, um nicht am Ende auf einer Baustelle zu wohnen.

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Die meisten Häuser stehen zwar, in manchen sind auch schon Fenster, doch noch gibt es viele Rohbauten, oft fernab von Installationen und Interieur. Auch auf dem Trainingsgelände wird gegenüber den ursprünglichen Plänen wohl abgespeckt werden müssen. Die Funktionsgebäude sind noch nicht einmal im Rohbau fertiggestellt. Immerhin dürfte Rasenexperte Rainer Ernst, der ebenfalls kommende Woche vorbeischauen soll, recht zufrieden sein. Das Grün wird bereits bewässert.

Weitaus besser, als es bisher klang, scheint dagegen die Stimmung unter den Dorfbewohnern zu sein. Santo André ist Gäste gewohnt, Urlauber aus Brasiliens Großstädten genauso wie aus Europa, darunter viele aus Deutschland. Als Fischer arbeiten hier nur noch wenige Menschen, die meisten sind seit vielen Jahren im Tourismus tätig - lange bevor das Campo Bahia geplant worden war. Unweit davon steht eine weitaus größere Hotelanlage, zudem gibt es in dem ruhigen Örtchen mit seinen rund 800 Einwohnern viele alteingesessene Pousadas entlang der staubigen Dorfpiste.

Im Restaurant von Giseli Guedes läuft gerade das Halbfinale der Champions League zwischen Real Madrid und dem FC Bayern, mit Philipp Lahm und vielen anderen deutschen Nationalkickern, die bald ihre Nachbarn sein werden. Spannend sei das und gut fürs Dorf, findet Giseli, und natürlich auch fürs Geschäft. Sie sagt beim Blick auf den Fernseher: "Jetzt bin ich für Real, aber bei der WM für Deutschland. Nach Brasilien natürlich."

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Von Maik Rosner, Santo André

Auch Sergio Boré, ein Musiker aus der Region, der viele Jahre in Hamburg gelebt und den FC St. Pauli ins Herz geschlossen hat, kann mit der Medienkritik an der DFB-Herberge wenig anfangen. "Natürlich ist das eine Invasion, aber eine gute", meint er.

Die Zukunft besorgt einige Einwohner

Zumindest gilt das für den Moment. Ein nennenswerter Teil der Arbeiter auf der Baustelle kommt aus Santo André, die Rede ist von 30 Prozent, der Großteil stammt aus der Region. Die Frage, was nach der WM sein wird und das Campo nach sich ziehen könnte, besorgt einige Einwohner jedoch. Die Immobilienpreise seien schon stark gestiegen, erzählt die Pousada-Besitzerin Ana Lucia Tamancoldi. Einige Gebäude sowie viele Flächen im Dorf und ringsum stehen zum Verkauf. Das Campo könnte einen Boom auslösen, Santo Andrés beschauliches Flair wäre passé. Für manche Einwohner aus den einfachen Häuschen und ohne Job im Tourismus wäre das wohl existenzbedrohend. Ein Nachbar des deutschen Quartiers schimpft über den Lärm und Baudreck, seinen Namen möchte er nicht nennen. "Mehr Tourismus zieht auch Kriminalität an", fürchtet Ana Lucia derweil.

Noch ist Kriminalität hier kein Thema. Die Nationalkicker werden sich im Dorf und am Strand ziemlich frei bewegen können und zwischen den Spielen zur Ruhe kommen, abseits der oft anstrengenden brasilianischen Städte. Aus DFB-Sicht könnte sich der Standort des Quartiers also auszahlen, sofern in der Abgeschiedenheit kein Lagerkoller aufkommt. Die Bewohner des Ortes hoffen derweil, dass die Nationalelf der Dorfgemeinschaft tatsächlich so offen begegnet wie versprochen. Andernfalls dürfte es den Menschen am Ende wohl eher so vorkommen, als landeten Außerirdische im Idyll. Nutzen sollen die Deutschen, wird im Dorf getuschelt, übrigens eine eigene Fähre. Für alle Fälle.

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