US-Reaktionen auf Armstrongs Geständnis:Auf Bewährung

Per Fernsehbeichte hat Dopingsünder Lance Armstrong seine Fans um Verzeihung gebeten. Nach den ersten Reaktionen ist noch nicht absehbar, ob die Amerikaner dem Lügner eine zweite Chance geben. Womöglich könnte dessen großes Vermögen dabei eine Rolle spielen.

Von Matthias Kolb, Washington

Amerika, so sagt Frank Farley, sei das Land der zweiten Chancen. Farley weiß, wovon er spricht: Der ehemalige Präsident des US-Psychologenverbands hat sich ausgiebig mit Heldenverehrung beschäftigt. Es komme nur darauf an, wie man um Verzeihung bitte, schreibt das Massenblatt USA Today in einem Artikel, in dem neben Farley auch PR-Experten und Priester ausführlich zu Wort kommen.

Der Text erschien nach dem ersten Teil der Doping-Beichte und war mit jener Frage überschrieben, die sich nun viele Amerikaner stellen: "Können Sie Lance Armstrong vergeben?" Bisher gibt es dazu noch keine Umfragen oder andere Indikatoren, anhand derer sich die Reaktion der Öffentlichkeit verlässlich ablesen ließe. USA Today destilliert vier Stufen der öffentlichen Reue heraus, die für ein erfolgreiches Comeback (als Musterbeispiel gilt Präsident Bill Clintons Umgang mit der Lewinsky-Affäre) nötig seien: Beichte - Zerknirschung - Sinneswandel - Sühne.

Kalt, emotionslos und zynisch

Die öffentliche Beichte hat zweifellos stattgefunden, doch bereits bei dem Punkt "Zerknirschung" äußern viele Zweifel. In einem Gespräch mit dem Radiosender NPR sagte der Sportjournalist Howard Bryant, er habe bei Armstrong keine Reue gesehen. In seiner Twitter-Timeline, so erzählt Bryant, habe er einen guten Vergleich gelesen: So wie Armstrong bei Oprah aufgetreten sei, könne er bald als Pressesprecher für die Waffenlobby NRA arbeiten. So kalt, emotionslos und zynisch sei er gewesen.

Bryant arbeitet für den Kabelsender ESPN, auf den kaum ein amerikanischer Sportfan verzichten kann und der mit seiner Berichterstattung jede Debatte im Profi-Sport beeinflusst. Rick Reilly, ein ebenso populärer wie einflussreicher Kolumnist bei ESPN, sagte in einem Interview nach der Ausstrahlung des ersten Teils, der Radprofi habe auf ihn "kalt und berechnend" gewirkt (Video hier). Immerhin habe er sich nicht während des Interviews die Nägel geschnitten, ätzt der Journalist.

"Versteht der Mann nicht, wie viele Leute er enttäuscht hat?"

Armstrongs Gesichtsausdruck und Körperhaltung hätten in keiner Weise zu dem Thema gepasst, worüber er sprach: "Versteht der Mann nicht, wie viele Leute er verletzt und enttäuscht hat?" Reilly nimmt dem 41-Jährigen nicht ab, dass dieser es bereue, das Leben vieler Kritiker durch unzählige Klagen und Beschimpfungen fast ruiniert zu haben. Dass einige dieser Opfer wie Betsy Andreu, die Ehefrau eines früheren Teamkollegen, Armstrong nun vorwerfen, er verdrehe weiterhin die Tatsachen und konstruiere seine eigene Wahrheit, schadet seiner ohnehin schon beschädigten Glaubwürdigkeit (Details bei der New York Times).

Der vielfach preisgekrönte Kolumnist Reilly glaubt nicht, dass dieser Auftritt ausreicht, um die Amerikaner zu überzeugen und ihr Vertrauen zu gewinnen. Diese Worte sind bemerkenswert, weil der 54-Jährige den nun gestürzten Helden 14 Jahre lang gegen alle Anschuldigungen verteidigt hatte. In einer viel beachteten Kolumne (hier nachzulesen) berichtete Reilly, wie schlecht er sich seinen Lesern gegenüber fühle - und dass ihm Lance Armstrong am Mittwoch eine Email geschrieben und ihn um Verzeihung gebeten habe.

"Lance, wir machen alle Fehler"

Reillys Text endet mit den Worten: "Ich denke, ich sollte ihm vergeben. Aber das kann ich noch nicht. Vielleicht in 14 Jahren. Lance, du sagst, es tut mir leid? Nein, ich bin es, dem es leid tut." Aber natürlich gibt es auch viele Fans, die ihrem Idol verziehen haben. Sie zeigen sich via Facebook oder online in den Kommentar-Spalten mit dem fünffachen Vater solidarisch und preisen ihn sein Engagement für die Krebsforschung.

Auf Armstrongs Facebook-Fanseite, die ihn noch als siebenfachen Tour-de-France-Sieger feiert, finden sich viele Botschaften wie jene von Carmen Napolitano aus Bennington: "Lance, wir machen alle Fehler, in unterschiedlichem Ausmaß und aus unterschiedlichen Gründen. Lasst uns die Leute nicht danach beurteilen, was sie gestern gemacht haben - sondern danach, was sie heute tun. Sei stark, gehe voran und sei Dir bewusst, dass alles besser wird."

Opfer einer Hexenjagd

Andere wie Brenda L. Rupert versichern dem Texaner, dass sie noch immer zu 100 Prozent hinter ihm stünden - und argumentieren, dass alle Radprofis damals gedopt hätten. Sie sehen ihren "Lance" als Opfer einer Hexenjagd und finden es unfair, dass er lebenslang gesperrt wurde und ihm alle Titel aberkannt wurden, während Sünder wie Alberto Contador noch heute im Sattel sitzen.

Auf Fan-Seiten wie "Lance Armstrong Support Group" sind ganz ähnliche kommentare zu lesen. Offenbar haben gerade die emotionalen Passagen im zweiten Teil, in denen er über seinen Sohn Luke und seine Familie spricht (mehr in diesem Süddeutsche.de-Artikel), viele Menschen bewegt.

Erster Schrtitt auf einem langen Weg

Sicherlich war das Interview mit Amerikas Beichtmutter Oprah Winfrey, dessen ersten Teil fünf Millionen Menschen sahen, nur der erste Schritt auf dem langen Weg, den Lance Armstrong noch vor sich hat, wenn er seine beiden Ziele erreichen möchte: Er will wieder von der amerikanischen Öffentlichkeit akzeptiert werden und seine lebenslange Sperre verkürzen, die er als "Todesstrafe" empfindet.

Viele Amerikaner werden genau verfolgen, was der Texaner bei den anstehenden Befragungen sagen wird - und ob er Schritte unternimmt, die zeigen, dass er es mit der Sühne ernst meint. Im Internet stößt man immer wieder auf ein Argument, mit dem der Multimillionär wirklich beweisen könnte, dass er bereut: Er solle einen möglichst hohen Scheck schreiben, um einen Teil des vielen Gelds zu spenden, das er mit seinem Betrug verdient hat.

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