Ukraine nach dem 3:3 gegen Deutschland:Schlechte Sicht auf das Spektakel

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Die Ukraine zelebriert beim 3:3 gegen Deutschland die Eröffnung des neuen Kiewer EM-Stadions, wo auch das Finale 2012 stattfinden wird. Doch Pfiffe gegen den Staatspräsidenten und ein gegen alles mosernder Nationaltrainer Oleg Blochin stören die gute Stimmung.

Johannes Aumüller, Kiew

Oleg Blochin ist bekannt für seine notorisch schlechte Laune, aber an diesem Abend war er mal wieder besonders mies drauf. Da saß der Trainer der ukrainischen Nationalelf nach dem aufregenden 3:3 seiner Mannschaft gegen Deutschland vor der Presse und grummelte und moserte und schimpfte vor sich hin.

Unerwarteter Jubel: Sergej Nasarenko freut sich über seinen wunderbaren Schuss zum 3:1 für die Ukraine.  (Foto: REUTERS)

Wegen des Ergebnisses, das ihm angesichts der 3:1-Pausenführung seiner Mannschaft nicht passte. Wegen der hohen Bandenwerbung im neuen Kiewer Stadion, die direkt vor den Trainerbänken stand und das Coachen erschwert habe. Und wegen all der Fragen, die er nun beantworten musste. Mal schaute Blochin entnervt zur Decke, mal schüttelte er noch entnervter den Kopf - und einmal herrschte er einen Fragesteller so direkt an, dass dieser artig und eingeschüchtert nur noch "Vielen Dank" murmelte. Dabei hatte der frühere Weltklasse-Fußballer gerade erklärt, dessen Frage nicht beantworten zu wollen.

Oleg Blochin war also schlecht gelaunt, doch mit diesem Gefühl stand er an diesem Abend ziemlich alleine da. Der einzige Stadionbesucher, der sich während des Spiels noch ärgern musste, war Staatspräsident Viktor Janukowitsch. Denn als der Stadionsprecher nach knapp zehn Minuten dessen Namen nannte, pfiff das Publikum wieder heftig - wie schon bei der offiziellen Eröffnung des Kiewer Olympiastadions vor einigen Wochen. Doch immerhin ertönten diesmal die zuletzt so heftigen Beleidigungsrufe nicht so laut, dass sie sich gegen die anderen Fangesänge hätten durchsetzen können.

Alle anderen schienen das erste Spiel im Finalstadion der nächsten Europameisterschaft eher zu genießen. Die "U-kra-i-ne"-Rufe hallten das ganze Spiel über durchs prunkvolle und mehr als 500 Millionen Euro teure Stadion, die Fans zelebrierten La Ola - wenn auch untypisch gegen den Uhrzeigersinn. Das Urteil EM-würdig wäre sicher nicht falsch.

Diese Stimmung war ganz im Sinne der Organisatoren, die nach den zahlreichen Berichten über Korruption und Bauprobleme in den vergangenen Monaten mit dem Spiel beweisen wollten: Seht her, wir bekommen am Ende doch alles in den Griff, von nun an schauen wir auf das große Event, das uns da im nächsten Sommer bevorsteht. Dass es im Land noch immer viele Probleme und Baustellen gibt, versuchen sie einfach wegzuschweigen. Um für diesen Aufbruchevent volle Tribünen zu garantieren, bekamen viele Schüler und Studenten Tickets umsonst und kosteten die günstigsten Karten umgerechnet auch nur knapp zwei Euro - ganz ausverkauft war das Stadion trotzdem nicht.

Dass sich Deutschlands Bundestrainer Joachim Löw zu einem Taktik-Experiment entschloss, mit dem er alle Beobachter und sogar die eigene Mannschaft verblüffte, hatte so gesehen auch einen netten Nebeneffekt. Es trug seinen Teil dazu bei, dass sich das Spiel so offen und torreich entwickelte und die Bewertung "Spektakel" verdiente.

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Johannes Aumüller, Kiew

Die ukrainischen Zuschauer hatten nach den schlechten Ergebnissen in der jüngeren Vergangenheit eine hohe Niederlage befürchtet - umso größer war der Jubel, als in der ersten Hälfte nacheinander Andrej Jarmolenko, Jewgenij Knopljanka sowie Sergej Nasarenko trafen. Selbst die Tore der Deutschen und das späte Remis änderten an der Freudenstimmung nichts.

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Und so wie die Fans sahen es auch die meisten der ukrainischen Journalisten und Spieler "Das war das beste Spiel der Nationalmannschaft unter Blochin", gab sich der Reporter des Fernsehsenders Kanal 5 euphorisch - was ein besonderes Lob war. Denn bevor Blochin vor wenigen Monaten Nationaltrainer übernahm, war er von 2003 bis 2007 schon einmal für die Mannschaft verantwortlich gewesen. Und in dieser Zeit erreichte die Ukraine ja unter anderem das Viertelfinale bei der Weltmeisterschaft in Deutschland. Auch Bayern Münchens Mittelfeldspieler Anatolij Timoschtschuk zeigte sich zufrieden: "Viele glauben nicht an uns, aber wir haben heute gezeigt, dass wir an guten Tagen mit einer Mannschaft wie Deutschland gleichwertig sein können."

Doch trotz der guten Laune auf den Tribünen war an einigen Stellen zu merken, dass die Spielstätte erst kürzlich eingeweiht worden war und dass die Verantwortlichen nachbessern müssen. Erstens ist die Sicht von den unteren Rängen einem modernen Fußball-Stadion unwürdig: wegen der Werbebande, die nicht nur Blochin, sondern auch den Zuschauern die Sicht versperrt, und wegen der großen Laufbahn, die zwischen Rasen und Rängen liegt und die wohl der Lobbyarbeit des ukrainischen Leichtathletik-Funktionärs Sergej Bubka zu verdanken ist.

Zweitens war an den Essensständen der neuen Arena das Kartenbezahlsystem noch nicht sonderlich gut eingespielt, was teilweise zu längeren Schlangen führte. Und drittens ist die technische Ausrüstung anscheinend noch so mangelhaft, dass die deutsche Hörfunkanstalt ARD nicht live aus Kiew berichten konnte. Reporter Alexander Bleick konnte machen, was er wollte, aber keine Übertragungsmöglichkeit klappte - ein Kollege aus der Hamburger Redaktion musste einspringen und anhand der Fernsehbilder die Radio-Hörer über das Geschehen informieren. "Seit 23 Jahren übertrage ich Länderspiele, aber das ist noch nie passiert, nicht in Moldawien, nicht in Albanien, nirgendwo", sagte Bleick.

Und natürlich hatte noch jemand anderes etwas auszusetzen: Oleg Blochin. "Das ist nicht mein Stadion", sagte der ukrainische Nationaltrainer gewohnt kratzbürstig. "Wenn ich früher aufs Feld kam, hatte ich ein ganz besonderes Gefühl. Jetzt ist da eine ganz andere Atmosphäre."

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