Torhüter in der Nationalmannschaft:Ter Stegen fehlt die Lobby

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  • Marc-André ter Stegen hat beim FC Barcelona eine sehr erfolgreiche Saison gespielt.
  • Trotzdem wird er die Weltmeisterschaft voraussichtlich nur als Reservist erleben.
  • Hinter einem übergroßen Manuel Neuer will ter Stegen eine möglichst große Stütze für die Mannschaft sein.

Von Benedikt Warmbrunn, Eppan

Das Bild, das von Marc-André ter Stegen erst einmal hängen bleiben wird, ist das von einem Mann, der im Regen steht. Die Kapuze hatte er sich tief ins Gesicht gezogen, aber das half wenig. Es wirkte so, als ob das Unwetter, das am Samstag über Klagenfurt hinwegzog, es allein auf ihn abgesehen hätte, so heftig trommelten die Regentropfen auf ihm herum. Ter Stegen blieb unbewegt. Wäre es eine Szene aus einem Film aus dem Vorabendprogramm, wäre sie mit düsteren, langsamen Klängen unterlegt gewesen.

Ein paar Meter weiter hüpfte Manuel Neuer über den Rasen, er wirkte vergnügt, wie ein Kind, das sich freut, in den Pfützen herumspringen zu dürfen. Im Vorabendprogramm würden sie das mit leichtem, fröhlichem Gedüdel unterlegen.

Manchmal dient das Wetter in all seiner Unzuverlässigkeit und Ungerechtigkeit eben doch ganz gut, um die menschliche Gefühlswelt zu beschreiben.

Nicht viele Torhüter haben besser gespielt

Bundestrainer Joachim Löw wird mit Neuer als Stammtorwart zur WM in Russland fahren, mit dem Mann, der im Unwetter von Klagenfurt im Testspiel gegen Österreich erstmals seit acht Monaten spielte, der sich in den vergangenen eineinviertel Jahren dreimal den Mittelfuß gebrochen hat, der zuletzt gespielt hat, als den FC Bayern - die Fachleute werden sich erinnern - noch ein gewisser Carlo Ancelotti trainiert hat.

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Manuel Neuer beeindruckt bei seinem Comeback - nur darüber reden will er erst am Dienstag. Alles deutet darauf hin, dass der Torhüter als Nummer eins zur WM fährt.

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Somit bleibt nur der Platz auf der Bank für ter Stegen, der für den FC Barcelona mit Ausnahme von zwei unbedeutenden Partien in der Liga und in der Champions League stets gespielt hat, insgesamt 48 Mal, in 24 Begegnungen blieb er ohne Gegentor. Viele Torhüter, die auf diesem Niveau eine ähnlich erfolgreiche Saison gespielt haben, fallen selbst den Fachleuten nicht ein.

Ein Dienstagmittag in der vorletzten Woche vor der WM, das Teamhotel der deutschen Nationalmannschaft in Eppan, ter Stegen setzt sich auf einen Stuhl im Schatten, direkt am Pool. Er fragt: "Wie geht's? Wie läuft's?" Er lächelt.

Die Rolle des zweiten Torhüters bei einer WM ist eine undankbare. Die Chancen auf einen Einsatz sind minimal, dennoch steht der Ersatztorwart unter Beobachtung. Lebt er seinen Frust so offen aus wie Uli Stein, der 1986 in Mexiko Teamchef Franz Beckenbauer als "Suppenkasper" bezeichnete und abreisen musste? Bleibt er loyal wie Oliver Kahn, der 2006 dem Stammtorwart Jens Lehmann zuarbeitete?

"Zunächst einmal ist es natürlich eine enttäuschende Situation", sagt ter Stegen auf seinem Schattenstuhl, er begründet das damit, dass er die gesamte Saison seine Leistung gezeigt habe. Ter Stegen lächelt nicht mehr. Dann fügt er aber sofort hinzu: "Die Mannschaft weiß, dass ich zu 200 Prozent da sein werde, dass ich in jedem Moment versuchen werde, die Mannschaft und Manu zu unterstützen."

Am zweiten Tag des Trainingslagers hatte Löw mit ter Stegen über diese heikle Situation gesprochen, er hatte ihm gesagt, dass sie alle im Trainerstab Neuer als die Nummer eins sehen, und dass dieser bei voller Gesundheit bei der WM im Tor stehen werde. Bis zum Test in Klagenfurt trainierte ter Stegen zwar als der Torhüter mit den meisten Länderspielen in dieser Saison - er trainierte aber auch schon in dem Bewusstsein, dass er wohl bei der WM nicht zum Einsatz kommen wird. Ein bisschen fehlte ihm in diesen Tagen auch die Lobby, aus Trainerstab oder Mannschaft sprach sich keiner für ihn aus. Alle, so schien es, hofften auf einen gesunden Neuer. "Ich weiß nicht, ob es da eine andere Meinung gibt", antwortete Joshua Kimmich am Samstag auf die Frage, ob er als Bundestrainer Neuer als Nummer eins mit nach Russland nehmen würde. Timo Werner schwärmte: "Für mich ist es kein Rätsel oder Wunder mehr, dass dieser Torwart Jahr für Jahr Welttorhüter geworden ist."

Bundestrainer Löw imponiert, wie ter Stegen Rückschläge wegsteckt

Als der Bundestrainer über ein Gespräch mit ter Stegen berichtete, erwähnte er, wie ihm imponiert habe, wie ter Stegen schwere Phasen, auch solche rund um eigene Fehler, "weggesteckt" habe. Ein bisschen verteidigte Löw dabei, dass diese Situation einem wie ter Stegen schon zugemutet werden könne.

"Wenn man sich zu viel mit sich selbst beschäftigt, dann kann man der Mannschaft nicht helfen", sagt ter Stegen am Pool. Wie Neuer sich durch die Verletzungspause gearbeitet habe, davor habe er "größten Respekt", natürlich werde er versuchen, ihm im Training "eine Stütze zu sein". Wenn Neuer sich über Spielsituationen austauschen wolle, "dann versuche ich, ihm eine Hilfe zu sein". Ter Stegen, das wird schnell klar, wird eine loyale Nummer Zwei sein. Nun sei es sein Ziel, dass Neuer "am Spieltag in einer hundertprozentigen Verfassung auf dem Platz steht".

Ob er hoffe, im dritten Gruppenspiel gegen Südkorea zu spielen? "Das Spekulieren wurde mir in Barcelona verboten", sagt ter Stegen, es ist eine Anspielung auf lange vergangene Fehler. Er lächelt nun wieder. Er ist 26 Jahre alt, Stammtorwart in Barcelona, er kann mit Rückschlägen umgehen. Und irgendwann, wenn Neuer nicht mehr zu Turnieren reisen wird, will er, ter Stegen, als neuer weltbester Torhüter unumstritten sein.

© SZ vom 06.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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