Tennis-Statistiken:So kaltschnäuzig spielt Alexander Zverev

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Läuft für ihn: Alexander Zverev - hier beim ATP-Finale in London. (Foto: dpa)

In welcher Disziplin ist der Deutsche besser als Federer? Wer schlägt 1123 Asse? Und warum wird ein 1,70 Meter kleiner Argentinier so gefürchtet? So war das Tennisjahr der Männer.

Von Lisa Sonnabend

2017 war das Jahr eines 31-Jährigen aus Mallorca und eines 36-Jährigen aus Basel. Nachdem Rafael Nadal und Roger Federer lange Zeit vor allem mit üblen Verletzungen statt mit Erfolgen auf sich aufmerksam gemacht hatten, dominierten sie die Tennissaison noch einmal wie in alten Zeiten. Federer gewann die Australian Open und Wimbledon, Nadal die beiden anderen Grand-Slam-Turniere in Paris und New York. Zum Jahreswechsel führt der Spanier die Weltrangliste an, Federer liegt auf dem zweiten Rang.

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Doch wird ihre Dominanz auch im kommenden Jahr weitergehen? Welche Spieler werden ihnen gefährlich? Die SZ hat die Statistiken der ATP-Tour ausgewertet - und die Ergebnisse zeigen: Die zwei Ü-30-Spieler liegen längst nicht in allen Ranglisten vorne. Junge Spieler wie Alexander Zverev drängen nach oben, alte Rivalen wie Novak Djokovic und Andy Murray waren zwar vom Verletzungspech geplagt - doch es dürfte schon bald wieder mit ihnen zu rechnen sein. Und dann gibt es da noch einen 1,70 Meter kleinen Argentinier, der fast jeden Aufschlag zurückbringt.

Kein Spieler gewann 2017 so oft wie Nadal. Der Spanier blieb 67 Mal ungeschlagen - und ist somit verdient Weltranglistenerster. Federer dagegen kam auf 52 Siege. Um seinen Körper nicht zu sehr zu strapazieren, hatte der 36-Jährige seinen Turnierkalender reduziert, die Sandplatzsaison ließ er komplett aus. Hat sich diese Strategie ausgezahlt? Federer hat in den vergangenen zwölf Monaten lediglich fünf Matches verloren: in Dubai überraschend gegen den Russen Jewgeni Donskoi, im Achtelfinale von Stuttgart gegen den 39-jährigen Tommy Haas, im Montreal-Finale gegen Alexander Zverev, im Viertelfinale der US Open gegen Juan del Potro und bei der ATP-WM gegen David Goffin. Nadal dagegen war in elf Partien der Unterlegene - davon allein vier Mal gegen Federer. Was also wäre passiert, wenn Federer mehr Turniere gespielt hätte? Wäre dann womöglich er jetzt die Nummer eins? Oder wäre er angeschlagen angetreten und oft früh gescheitert?

Die wenigsten Niederlagen unter allen Top 50 kassierte allerdings nicht der Schweizer, sondern Filip Krajinovic. Der 25-Jährige verlor lediglich zwei Mal. Wie ihm das gelungen ist? Krajinovic galt einst als das größte Talent Serbiens seit Djokovic, doch eine komplizierte Schulterverletzung bremste ihn aus. In dieser Saison gelang ihm nun endlich der Aufstieg. Fünf Titel gewann er - alle bei kleinen Challenger Turnieren, die nicht in die ATP-Daten einfließen und somit hier nicht ausgewertet werden. Im November erreichte Krajinovic dann als Qualifikant das Finale beim Masters-Turnier in Paris, wo er erst gegen Jack Sock verlor. Zwei Wochen zuvor war er im Achtelfinale von Moskau an Ricardas Berankis gescheitert. Krajinovic schrieb eine der schönsten Erfolgsgeschichten des Tennis-Jahres. Inzwischen ist er auf Weltranglistenposition 34 und wird im kommenden Jahr nicht mehr auf der Challenger-Tour, sondern vor allem ATP-Turniere spielen. Dann werden sicherlich ein paar Niederlagen mehr in die Statistik eingehen.

Einen noch steileren Aufstieg als Krajinovic legte Alexander Zverev hin. Der erst 20-jährige Hamburger kletterte bis auf den dritten Ranglistenplatz und durfte zum Jahresabschluss als erster Deutscher seit 14 Jahren bei der ATP-WM teilnehmen. 55 Matches gewann Zverev in diesem Jahr auf der ATP-Tour, fünf Mal durfte er am Ende den größten Siegerpokal in die Höhe stemmen. Nur Federer (sieben) und Nadal (sechs) gewannen mehr Turniere. Einziger Kritikpunkt: Bei einem Grand-Slam-Turnier ist Zverev bislang nicht über das Achtelfinale hinausgekommen. Ob ihm das 2018 gelingt? Fest steht: Zverev hat sein Spiel auf ein anderes Niveau gehoben. Er spielt immer cleverer, wird immer erfahrener und hat intensiv an seiner Schlagtechnik und Physis gearbeitet.

Auch sein Service hat Zverev verbessert, das zeigen auch die ATP-Statistiken. Der Deutsche gewann 85 Prozent seiner Aufschlagspiele - fünf Prozent mehr als noch 2016. Sein erster und zweiter Aufschlag sind für den Gegner schwieriger zu returnieren, er gewinnt mehr Punkte bei eigenem Aufschlag als jemals zuvor in seiner Karriere. 611 Asse gelangen ihm in dieser Saison - fast 200 mehr als im Vorjahr.

An den besten Aufschläger auf der Tour kommt Zverev allerdings nicht annähernd heran. Der Herr der Asse heißt John Isner. 1123 Mal servierte der 2,08 Meter große Amerikaner so, dass der Gegner nicht einmal mit dem Schläger an den Ball kam - und schaffte fast 400 Asse mehr als Sam Querrey, Kevin Anderson, Gilles Muller und Ivo Karlovic, die anderen Aufschlag-Giganten der Tour.

Der Kroate Karlovic ist inzwischen 38 Jahre alt, doch dank seines krachenden Aufschlages hält er sich weiterhin in den Top 100. 12 302 Asse schlug er bereits in seiner Karriere - mehr als jeder andere Spieler. Bei den US Open 2016 gelangen ihm einmal 61 Asse in einem Match, auch das ist Rekord. Mit 2,11 Metern ist er der größte Tennisprofi, der je unter den Top 100 stand. Der Ball fliegt bei ihm in einem anderen Winkel über den Platz, er springt höher ab als bei kleineren Spielern und ist für den Gegner schwieriger zu kontrollieren.

93,3 Prozent seiner Aufschlagspiele gewann Karlovic in diesem Jahr - die Gegner hatten einfach keine Chance. Warum er trotzdem nur an Position 79 geführt wird? Riese Karlovic ist deutlich langsamer als seine Konkurrenten. Gelingt ihm mit dem ersten Schlag nicht sofort der Punktgewinn, sieht es schlecht aus für ihn.

Roger Federer gewann immerhin die drittmeisten Aufschlagspiele. Sein Service ist nicht so brachial wie das der Tour-Riesen, doch er serviert extrem variantenreich. Der Weltranglistenzweite sicherte sich 91,3 Prozent aller Spiele, in denen er Aufschlag hatte, allerdings nicht mit roher Gewalt, sondern mit Spielwitz.

Federer kann sich dabei auf seinen starken ersten Aufschlag verlassen. Kommt dieser, macht der Wimbledon-Rekordsieger in vier von fünf Fällen den Punkt - obwohl die ersten Schläge des 1,85 Meter großen Sportlers meist keine Geschwindigkeiten über 200 Kilometer pro Stunde erreichen.

Müssen die Hünen der Tour über den zweiten Aufschlag gehen, machen sie deutlich seltener den Punkt als andere Spieler. In längeren Ballwechseln agieren sie meist zu schwerfällig. Federer dagegen gewinnt immerhin 59,4 Prozent aller Punkte, wenn der erste Aufschlag im Netz oder Aus gelandet ist.

Noch besser schneidet in dieser Statistik Nadal ab. Er macht in 61,2 Prozent der Fälle den Punkt, das ist nicht nur Bestwert auf der Tour, sondern auch persönlicher Rekord in der Karriere von Nadal. Der Spanier hatte in den vergangenen Monaten emsig an seinem Aufschlag gearbeitet, er ist variantenreicher und gefährlicher geworden. Nadal gewann insgesamt 70 Prozent seiner Aufschlagspiele, so viele wie noch nie in seiner Laufbahn. Die Nummer eins wäre Nadal ohne diese Umstellung seiner Spielweise nicht noch einmal geworden.

Nadal liegt auch in einer anderen Statistik weit vorne. Er hat einen der sichersten ersten Aufschläge aller Top-100-Spieler: In 60 Prozent aller Fälle landete der Ball im Feld. Nur Isner, der Serbe Dusan Lajovic und der Spanier Fernando Verdasco hatten 2017 häufiger umsonst einen zweiten Ball in der Hosentasche stecken.

Bei Mischa Zeverev, dem älteren Bruder von Alexander, kam der erste Aufschlag ebenso recht zuverlässig - und das ist einer der Gründe, warum der 30-Jährige es bis auf den 25. Weltranglistenplatz geschafft hat, seine persönliche Bestmarke. Je besser sein Aufschlag kommt, desto bedingungsloser kann Mischa Zverev sein Serve- und Volley-Spiel durchziehen.

Der Brite Andy Murray dürfte dagegen mit dieser Saison alles andere als zufrieden gewesen sein. Murray fehlte lange verletzt, er konnte nur ein Turnier gewinnen und stürzte im Ranking bis auf Platz 16 ab. Doch es gibt Anzeichen, dass es nun wieder aufwärts geht.

Die Hüftprobleme hat Murray überwunden, im Januar kehrt er auf die Tour zurück - und dürfte in der Weltrangliste schnell wieder nach oben klettern. Murray war nämlich trotz seiner körperlichen Beschwerden der beste Returnspieler. Er gewann 34,7 Prozent aller Punkte, wenn der erste Aufschlag des Gegners im Feld landete. Da konnten nicht einmal Nadal und Djokovic, zwei andere berüchtigte Rückschläger, mithalten. Murray gelang dabei in fast jedem dritten Anlauf ein Break. Mit seinem guten Return, seinen harten und platzierten Grundlinienschlägen trieb er die Kontrahenten oft zum Punktverlust. Nadal und Djokovic sind darin ähnlich begnadet wie der Brite.

Am häufigsten breakte 2017 jedoch ein Mann aus der zweiten Reihe: Diego Schwartzmann. Der Argentinier wiegt gerade einmal 65 Kilo und ist lediglich 1,70 Meter groß. Doch darin, dem Gegner den Aufschlag abzunehmen, ist er der größte. Ihm gelang dies in 34,8 Prozent aller Fälle im Jahr 2017. Bei den US Open stürmte der Grundlinienwühler sogar ins Viertelfinale. "Tennis ist nicht nur etwas für die großen Kerle", sagte er, nachdem er den 1,98 Meter großen Marin Cilic besiegt hatte. Das New Yorker Publikum schloss den kleinen Kämpfer, der sich in der Weltrangliste bis auf Platz 26 vorgearbeitet hat, ins Herz. Er inspiriert Menschen auf der ganzen Welt.

Im Tennis kommt es eben nicht nur auf Kraft und Athletik an, oft entscheidet die Psyche, die Konzentration oder der Wille. Wer die Nerven verliert, hat keine Chance. Einer der in dieser Saison oft im entscheidenden Moment präsent war, ist Alexander Zverev. Der Weltranglistenvierte nutzte 45 Prozent aller Breakchancen, die sich ihm boten. Mehr als jeder andere Top-Ten-Spieler, nur vier Profis waren effizienter. Das zeigt, wie kaltschnäuzig der 20-Jährige bereits ist.

Auch die ATP-Statistik zur Anzahl der abgewehrten Breakbälle gibt einen Einblick in die Psyche der Spieler. Die meisten Chancen konnten natürlich krachende Aufschläger wie Gilles Muller, Ivo Karlovic und John Isner vereiteln: Sie knallten einfach einen Aufschlag unerreichbar übers Netz. Dass jedoch Nadal und Federer jedoch in dieser Liste ebenso weit oben auftauchen, zeigt wie gut die beiden Spitzenspieler ihre Psyche während der Matches im Griff haben.

Nadal wehrte 70,3 Prozent aller Breakbälle ab, Federer immerhin 67,5 Prozent. Die jahrelange Erfahrung, der Fokus im entscheidenden Moment, die Nervenstärke: Auch das sind Gründe, warum die beiden die Konkurrenz 2017 derart dominierten.

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