Sportpolitik:Olympia 2024 - immerhin noch zwei Bewerber

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Frankreichs Präsident François Hollande (l.) überreicht IOC-Präsident Thomas Bach eine olympische Flagge von den Spielen 1924 in Paris. 100 Jahre später will die Metropole an der Seine erneut die Sommerspiele austragen. (Foto: dpa)
  • Im September in Lima könnte es erstmals zu einer Doppelvergabe für die Sommerspiele in den Jahren 2024 und 2028 kommen.
  • Mit Paris und Los Angeles werben nur noch zwei Städte um die Austragung 2024.
  • Warum schon elf Jahre vor den Spielen 2028 eine Olympiastadt ermittelt werden muss? Womöglich, weil das IOC den Kandidaten Los Angeles aus politischem Kalkül nicht verprellen will.

Von Thomas Kistner, München

Man kann die Sache auch heiter betrachten - sofern man nicht Mitglied des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) ist. Für die nächste olympische Städtekür im September in Lima steht Historisches zur Debatte: Erstmals eine Doppelvergabe, für die Sommerspiele 2024 und 2028. IOC-Chef Thomas Bach beklagt neuerdings ja Merkwürdiges: Das bisherige Verfahren habe "zu viele Verlierer" produziert. Zwar liegt das in der Natur eines jeden Bewerbs. Aber was, wenn nun in Lima eine Doppelvergabe steigen soll - aber nur noch ein Kandidat im Ring steht?

Zwei Städte werben noch um die Spiele 2024, Paris und Los Angeles. Budapest zog vor einigen Tagen nach einem überwältigenden Bürger-Referendum zurück, Rom stieg schon im Vorjahr aus, Los Angeles ist auch nur Lückenfüller für den ursprünglichen US-Kandidaten Boston, der ebenfalls ausstieg. Und jetzt denken auch die Menschen in Paris über die Bewerbung nach.

Die Kommunalabgeordnete Danielle Simonnet hat eine Unterschriftenaktion angestoßen, die in ein Referendum münden soll. "Wir Bürger akzeptieren nicht, dass die Kandidatur von Paris ohne uns beschlossen wurde", steht in der Petition, die nach wenigen Tagen schon rund 9000 Unterzeichner hat. Und: "Die Olympischen Spiele missbrauchen Geld, das für nützliche Projekte genutzt werden könnte." Genannt werden Einrichtungen für Bildung, Gesundheit, Wohnraum, Infrastruktur - alles, was auch ohne Spiele zu machen sei.

Sportpolitische Spielchen nagen am Image des IOC

Woran Olympia krankt? Das entlarvt schon die Reaktion des IOC auf den Rückzug von Budapest. In einem Brief an die Mitglieder teilte IOC-Sprecher Mark Adams mit, dass die "politische Situation in unserer zerbrechlichen Welt" es erfordere, "dass wir das Kandidatenverfahren weiter anpassen". Warum gerade in einer zerbrechlichen, also rasch wandelbaren Welt schon elf Jahre vorher eine Olympiastadt ermittelt werden muss, erschließt sich daraus eher nicht.

Aber es könnte ja auch so sein, dass die IOC-Spitze der Welt nicht direkt auf die Nase binden will, dass man den Kandidaten Los Angeles aus politischem Kalkül nicht verprellen will, seit sich der neue US-Präsident Donald Trump dahinter gestellt hat. Der verliert nicht gern, und falls doch, neigt er zu Revanchismus. Noch aber spülen US-Konzerne das meiste Geld in die olympische Bewegung.

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Der Putz geht ab und alles bröckelt: Ein gutes halbes Jahr nach dem Ende der Spiele verkommen zahlreiche Sportanlagen. Besonders schlimm hat es das Maracanã erwischt.

Sportpolitische Spielchen sind es seit jeher, die am Erscheinungsbild des IOC nagen. Geradezu implodiert ist es inzwischen eingedenk der fürsorglichen Art, in der Bachs Zirkel das staatlich orchestrierte Massendoping in Russland begleitet hat. Oder angesichts der Bauruinen, die in Rio de Janeiro vor sich hin gammeln: Die Ausrichterstadt von 2016 ist pleite. Oder eingedenk staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen auf diversen Kontinenten um Olympiafunktionäre; mal geht es um Ticketdeals, mal um mutmaßliche Stimmenkäufe.

In der vom Branchendienst insidethegames.biz publizierten internen Stellungnahme des IOC erzählt Sprecher Adams weiter, in Ungarn sei eine "vielversprechende" Bewerbung benutzt worden, um innenpolitische Interessen abseits des Sports durchzufechten. Verschwörungstheorien auf der einen Seite, Loblieder auf Olympias Leader auf der anderen - Adams findet, Bachs Reform-Agenda 2020 habe schon mit Erfolg auf das Bewerberverfahren eingewirkt: Alle drei Städte hätten "deutlich gemacht, dass ihre Kandidaturen ohne die Agenda 2020 nicht stattgefunden hätten".

Das lässt sich auch so lesen: Allein die Hoffnung auf etwas weniger Gigantismus hat dafür gesorgt, dass jetzt wenigstens noch zwei Bewerber da sind. Oder muss man davon ausgehen, dass es noch andere potenzielle Bewerber für 2024 gab, die aber deshalb nicht antraten, weil sie gern viel mehr Milliarden verprasst hätten, und jetzt sind sie vom Sparkurs enttäuscht?

Was los ist abseits der frommen Verbandsrhetorik, hat insidethegames.biz ermittelt: Drei der vier Stellvertreter Bachs sollen gegen die politisch und wirtschaftlich riskante Idee sein, auf Sicht von elf Jahren die Spiele an eine Stadt zu binden - und damit weitere mögliche Bewerber ganz auszuschließen. Vizepräsident John Coates (Australien) sei unklar, "wie das gemacht werden würde", den türkischen Vize Uğur Erdener zitiert der Dienst so: "Das ist derzeit nicht machbar." Und der Chinese Yu Zaiqing will erst die IOC-Session beraten lassen, weil dafür eine Änderung der Olympischen Charta nötig sei.

Als Kostenbremse ist das IOC bisher nicht aufgefallen

Die Luft ist dick, die Lage ernst. Dass das IOC und seine Spiele in der Sinnkrise stecken, zeigt ja nicht nur der starke Trend zum Ausstieg aus Bewerbungen und zu Bürgerprotesten. Die nächsten drei Events ballen sich recht einfallslos in Korea, Japan und China. Und das Durchschnittsalter des Olympia-Fernsehzuschauers wird bei mehr als 50 Jahren verortet; die begehrteste Klientel für die TV- und Sponsorindustrie aber sind die 18- bis 49-Jährigen. Und von denen, berichtet das Medienunternehmen Bloomberg, habe es bei den Rio-Spielen 2016 bereits ein Viertel weniger gegeben als noch 2012 in London. Nun läuft die Asien-Serie bis 2022 durch - wird die Jugend der Welt die Spiele danach für ein fernöstliches Bewegungsritual halten?

Wie jetzt in Paris hatte in Budapest eine Oppositionsgruppe den Grundgedanken aufgeworfen: Olympia-Kandidaturen seien etwas, das "alle Steuerzahler betrifft". Und die Erklärungen des IOC, sparsamere und nachhaltigere Spiele zu wollen, sind ja weder neu noch glaubwürdig. Rio blickt auf ein 20-Milliarden-Dollar-Desaster zurück, in Tokio ist die Kostenvorhersage für die Spiele 2020 von sieben auf 30 Milliarden explodiert. Als Kostenbremse ist das IOC bei den hitzigen Debatten bisher nicht aufgefallen. Dass der Ringe-Clan lieber dunkle Kräfte walten sieht, wo moderne Bürger Prioritäten setzen, ist Teil des Problems, das im Inneren der olympischen Wagenburg eher nicht zu lösen sein wird.

© SZ vom 28.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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