Sport-Soziologe Pilz über Fan-Gewalt:"Man muss die Ultras ernst nehmen"

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Gunter A. Pilz forscht seit mehr als 30 Jahren zum Thema Fan-Gewalt im Fußball - der Professor hat unter anderem den Begriff "Hooltra" geprägt: Was er von einem Pyrotechnik-Verbot in Stadien hält, wie die Gewalt eingedämmt werden kann - und warum er der Politik Aktionismus vorwirft.

Matthias Kohlmaier

In den vergangenen Wochen hat sich die Intensität der Gewalttaten im Umfeld von Fußballspielen erhöht. Gunter A. Pilz ist Honorarprofessor am Institut für Sportwissenschaft der Universität Hannover und einer der renommiertesten Forscher zum Thema Fangewalt in Deutschland.

In der DFB-Pokal-Begegnung zwischen Borussia Dortmund und Dynamo Dresden am 25. Oktober 2011 kam es zu massiven Ausschreitungen durch Dynamo-Fans. Prof. Dr. Gunter A. Pilz steht einem möglichen Ausschluss der Dresdner aus dem Pokalwettbewerb im nächsten Jahr dennoch kritisch gegenüber. (Foto: dapd)

sueddeutsche.de: Herr Professor Pilz, ist der Ultra ein verkappter Hooligan?

Gunter A. Pilz: Auf keinen Fall. Ultras sind eng mit den Vereinen verbunden, sie verstehen sich als Bewahrer des Fußballs und seiner sozialen Wurzeln, sie kritisieren Kommerzialisierung und Eventisierung. Sie haben eine ganz starke Treue und Verpflichtung ihrem Verein gegenüber, das hat Manuel Neuer bei seinem Wechsel zum FC Bayern erfahren müssen. Der Hooligan dagegen geht nicht zwingend dahin, wo sein Verein spielt, sondern dahin, wo die beste Action abgeht. Für die Hooligans ist die "dritte Halbzeit" das Wichtigste am Fußball.

sueddeutsche.de: Sie haben bereits 2005 den Begriff "Hooltra" kreiert, um die Annäherung zwischen Ultra- und Hooliganszene zu beschreiben. War eine Radikalisierung der Ultras damals schon absehbar?

Pilz: Wir haben für diese Veröffentlichung riesige Prügel bezogen, weil man uns unterstellt hat, wir würden die Ultras in die gewaltbereite Ecke drängen. In der Tat hat es aber schon damals eine Entwicklung eines kleinen Teils der Ultras hin zu gewalttätigem Verhalten gegeben. Der große friedfertige Teil der Szene hat diese Entwicklung akzeptiert oder sich zumindest nicht distanziert. Um eine klare Abgrenzung von den Hooligans zu formulieren, haben wir den Begriff "Hooltras" benutzt. Es war da schon zu befürchten, dass eine Entwicklung hin zu mehr Gewaltbereitschaft stattfinden könnte, wenn man die Anzeichen dafür nicht richtig deutet. Da hat uns jetzt die Wirklichkeit Recht gegeben.

sueddeutsche.de: Eine Idee ist, keine Jahreskarten mehr an gewaltbereite Ultras zu vergeben. Was halten Sie von diesem Vorschlag?

Pilz: Dazu muss man erst mal die gewaltbereiten Ultras kennen, dann mag das vielleicht Sinn machen. Die Probleme liegen ja, wenn man von der Pyrotechnik absieht, vielmehr außerhalb der Stadien. Meine Meinung ist: Man muss an die besonnene Mehrzahl der Ultras appellieren. Die müssen dafür sorgen, dass die Chaoten aus ihren Reihen verschwinden. Wer meint, er muss ins Stadion gehen, um Bambule zu machen, der hat dort nichts zu suchen!

sueddeutsche.de: Das Gros der Ultras ist friedfertig. In dem Moment, wo Ultras und Polizisten aufeinandertreffen, solidarisieren sich aber meistens besonnene mit gewaltbereiten Ultras und bilden eine gemeinsame Front gegen die Polizei. Wie ist das zu erklären?

Pilz: Einmal fühlt man sich wie eine große Familie und will sich gegenseitig beschützen. Viel wichtiger aber: Für Ultras stellt die Polizei ein ganz großes Feindbild dar. Wenn die Polizei in den Block geht, gehen die Emotionen hoch. In vielen Fällen ist auch nicht klar, warum die Polizei eingreift, dann fühlen sich die Fans schikaniert und haben das Gefühl, die Polizisten würden willkürlich handeln. Geht Polizei in die Fanblöcke, muss vorher ganz klar kommuniziert werden, warum sie das macht.

sueddeutsche.de: Ein weiterer aktueller Ansatz ist, Polizisten im Zweifelsfall einfach auch mal im Fanblock aufmarschieren zu lassen. Würde das das Aggressionspotential der Fans nicht weiter erhöhen?

Pilz: Ich halte das für vollkommen kontraproduktiv. Wir haben viele Jahre gebraucht, um der Polizei klar zu machen, dass es keinen Sinn macht, Beamten in die Blöcke zu schicken. Man kann einfach nicht mit einer Hundertschaft in einen Block gehen, ohne Unbeteiligte zu tangieren - das würde sofort zum Vorwurf des Willkürhandelns und zur Eskalation führen.

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sueddeutsche.de: Ein Großteil der Gewaltexzesse in Fußballstadien findet in den neuen Bundesländern statt. Wie lässt sich das erklären?

Gunter A. Pilz ist unter anderem Beauftragter des DFB in Fragen der Prävention und Anti-Diskriminierung und hat bereits 1985 das Fußball-Fan-Projekt Hannover ins Leben gerufen. (Foto: imago sportfotodienst)

Pilz: Diese Probleme sind grundsätzlich kein Privileg der neuen Bundesländer, die findet man in ganz Deutschland. Gerade was die Heftigkeit betrifft, finden fußballbezogene Gewalttaten aber wirklich vermehrt in den neuen Bundesländern statt. Die großen Traditionsklubs wurden nach der Wende nach unten durchgereicht und spielen jetzt in der 5. oder 6. Liga. Dort spielen sie mit vielen Zuschauern in Stadien, die dafür nicht geeignet sind. Da passt die ganze Infrastruktur nicht. Teilweise werden die Ordnungsdienste sogar von Hooligans oder Skinheads gestellt.

sueddeutsche.de: Beim 1. FC Magdeburg sind kürzlich vermummte Ultras vor der Wohnung des Spielers Daniel Bauer aufgetaucht und haben ihn bedroht. Wurde mit dem Eingriff der Fans in die Privatsphäre eine neue Dimension erreicht?

Pilz: Mit Sicherheit ist das eine neue Dimension, die man nicht ansatzweise tolerieren darf. Umso schlimmer finde ich, dass der Präsident von Magdeburg jetzt sagt, Daniel Bauer solle nicht jammern, denn der FCM habe "die besten Fans der Welt". Das ist fahrlässig! So gibt man den Fans nicht die Möglichkeit, in solchen Dingen ein Schuldbewusstsein zu entwickeln. Die Vereine müssten einfach auch mal den Mut haben, den Fans zu sagen: "Ihr habt Scheiße gebaut!"

sueddeutsche.de: Nach den Ausschreitungen von Dresdner Fans im DFB-Pokal-Spiel gegen Borussia Dortmund wird diskutiert, ob man Dynamo Dresden aus dem Pokalwettbewerb im nächsten Jahr ausschließen sollte. Eine sinnvolle Maßnahme?

Pilz: Das halte ich für völlig überzogen! Das wäre kein Schlag gegen ein paar Chaoten, sondern würde die überwiegende Zahl der friedfertigen Fans und Zuschauer treffen und nur Solidarisierungsprozesse gegen den DFB in Gang setzen. Ein Spiel unter Ausschluss der Öffentlichkeit würde in meinen Augen als Strafe vollkommen ausreichen.

sueddeutsche.de: Thema Pyrotechnik: Der DFB hat erst eine teilweise Legalisierung in Aussicht gestellt und jetzt jegliche Form von Bengalischen Feuern doch ausdrücklich verboten. Hat sich der Verband unklug verhalten?

Pilz: Es war sicherlich taktisch sehr unklug von dem damaligen Sicherheitsbeauftragten, das in Aussicht zu stellen. Da wurden falsche Erwartungen produziert. Fakt ist: Man hat in dieser Sache erst Gespräche geführt und dann ein Gutachten erstellen lassen, das ergeben hat, dass eine Legalisierung von Pyrotechnik zum gegenwärtigen Zeitpunkt unmöglich ist. Hätte man dieses Gutachten zuerst erstellen lassen, wäre es gar nicht zu einer Diskussion in der Form gekommen.

sueddeutsche.de: Warum ist Pyrotechnik für die Ultraszene ganz allgemein so wichtig?

Pilz: Das ist für die Ultras zuallererst mal ein Stilmittel und soll Stimmung ins Stadion bringen. Durch das Verbot hat Pyrotechnik aber noch eine ganz andere Dimension bekommen, jetzt geht es um Demonstration von Macht. In der Regel wird ja auch nur noch bei Auswärtsspielen gezündelt, das ist dann eine symbolische Eroberung des gegnerischen Stadions. Die Verteidigung des eigenen beziehungsweise die Eroberung von fremdem Territorium ist ein sehr wichtiger Aspekt der Ultrakultur.

sueddeutsche.de: Am vergangenen Montag fand im Bundesinnenministerium der "Runde Tisch zur Gewalt im Fußball" statt, eine Taskforce wurde gegründet um einen Zehn-Punkte-Plan umzusetzen, der eigentlich schon vor eineinhalb Jahren entwickelt wurde. Hat man das Thema Fangewalt zu lange auf die leichte Schulter genommen?

Pilz: Der Zehn-Punkte-Plan wurde damals von der DFL entwickelt und dem DFB einfach vorgesetzt, da war die Kommunikation zwischen beiden Organen noch nicht besonders gut. Viele Dinge aus dem Zehn-Punkte-Plan werden aber schon gemacht und ich hoffe, dass man das auch konsequent fortführt. Durch die Taskforce sollte wohl Aktivität demonstriert werden. Ich glaube, man braucht gar keine Taskforce, weil es bei DFB und DFL schon längst entsprechende Gremien und Kommissionen gibt. Man sollte keine besondere Aktivität vorgaukeln, sondern lieber dafür sorgen, dass im operativen Geschäft die Dinge wirklich umgesetzt werden. Viel wichtiger als die Taskforce ist der Dialog mit den Fans. Der muss weitergeführt werden und darf auch nie abreißen.

sueddeutsche.de: Halten Sie es wirklich für möglich, dass sich gewaltbereite Ultras mit Vertretern von Polizei oder DFB an einen Tisch setzen und verhandeln?

Pilz: Ich bin der festen Überzeugung und erste Erfahrungen bestätigen das auch, dass ein Ernstnehmen der Ultras und ihrer Kultur und zum Beispiel die gemeinsame Erarbeitung eines Verhaltenskodexes dazu führt, dass die Einhaltung dieses Kodexes auch von den Fans selbst peinlichst geachtet wird. Bei Verstößen kann so ein Kodex auch zu der von uns geforderten Distanzierung von den gewaltbereiten Ultras führen. Das geht nicht von heute auf morgen, sondern ist ein Prozess, der auch immer wieder einmal Enttäuschungen enthält. Langfristig würde das aber dazu führen, dass die, die nur auf Gewalt aus sind, isoliert und damit für die Polizei auch leichter greifbar werden. Es geht darum, die Ultras ernst zu nehmen.

sueddeutsche.de: Und wenn die Ultras dieses Angebot nicht annehmen?

Pilz: Das Gesprächsangebot muss für alle offen sein, wenn die Gewaltbereiten dieses Angebot nicht wahrnehmen, ist das ihre Sache. Ernst nehmen heißt nicht nur mit ihnen reden, ihre Bedürfnisse ernst nehmen, sondern auch da, wo es erforderlich ist, klare Grenzen aufzuzeigen und diese durchzusetzen.

sueddeutsche.de: Man hatte in der letzten Wochen den Eindruck, dass sich DFB-Präsident Theo Zwanziger beim Thema Fangewalt ein wenig im Hintergrund hält. Wie bewerten Sie sein Auftreten diesbezüglich?

Pilz: Da kennen Sie den Zwanziger nicht, der erklärt das absolut zur Chefsache und ist überall an vorderster Front. Ihm zu unterstellen, dass er das nicht ernst genug nimmt, trifft überhaupt nicht zu. Er hat im Moment viele Baustellen aufzuarbeiten, vielleicht ist er deshalb nach außen hin nicht überall in der gleichen Form präsent.

sueddeutsche.de: Ein weiteres Ergebnis des Runden Tischs war, dass vorerst keine kurzfristigen Maßnahmen wie beispielsweise ein Alkoholverbot im Stadion ergriffen werden.

Pilz: Richtig ist, dass Alkohol eine wesentliche Ursache für Gewalt ist. Aber das Problem ist doch weniger der Alkoholkonsum im Stadion. Die Fans kommen bereits hoch alkoholisiert zum Stadion. Dass sich die Bundesbahn weigert, - nach der sehr guten Erfahrungen der privaten Eisenbahngesellschaft Metronom - zumindest an Wochenenden ein striktes Alkoholverbot in den Zügen durchzusetzen ist für mich das eigentlich Ärgerliche. Viel wichtiger als ein Alkoholverbot in den Stadien wäre eine Alkoholkontrolle vor den Stadien - in Nürnberg wird das in der Art schon praktiziert. Dann lässt man die Besoffenen eben einfach nicht rein.

sueddeutsche.de: Dialog mit den Fans, wie Sie ihn fordern, ist eine langfristig angelegte Maßnahme. Welche Maßnahmen könnte man kurzfristig zur Anwendung bringen, um das Gewaltproblem im Umfeld von Fußballspielen einzudämmen?

Pilz: Kurzfristig sind keine Verschärfungen geboten, sondern Gesetze und Verordnungen müssen konsequent durchgesetzt werden. Es geht um eine ausgewogene Anwendung von präventiven und repressiven Maßnahmen. Beispielsweise wäre zu überlegen, ob - falls die Ultras nicht in der Lage sind, in ihren eigenen Reihen für Ordnung zu sorgen - man ihnen einige ihrer Privilegien wie das Mitbringen von großen Fahnen, das Lagern ihrer Choreografien in Räumen im Stadion, verbilligte Eintrittskarten oder verbilligte Fanutensilien für eine Zeit streicht.

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