Slomka neuer 96-Trainer:Gefühlsmensch geht, Verkäufer kommt

Lesezeit: 3 min

Mirko Slomka wird neuer Trainer des Fußball-Bundesligisten Hannover 96. Die Fans freut es - der Klubchef muss sich unangenehme Fragen gefallen lassen.

J. Marwedel

Am Montagabend hat Martin Kind den zweitägigen Maulkorb wieder aufgehoben, den er sich selbst verpasst hatte. Ja, verriet der meist mitteilsame Vorstandsvorsitzende von Hannover 96 gegenüber Journalisten: "Wir sondieren den Markt." Hätte Andreas Bergmann, 50, diese Gespräche mitgehört, hätte der Trainer von Hannover 96 sich denken können, wer ihn am nächsten morgen um acht Uhr anrufen würde.

Kann Mirko Slomka das zuletzt äußerst fragile System von Hannover 96 neu ausbalancieren? (Foto: Foto: Reuters)

Es war Sportdirektor Jörg Schmadtke, und der teilte ihm mit, dass sein Auftrag als Bundesliga-Chefcoach beendet sei; fünf Monate, nachdem Bergmann dieses Amt vom zurückgetretenen Dieter Hecking übernommen hatte. Am Dienstagabend folgte dann der Nachweis, dass die Sondierung effizient war. Mirko Slomka, 42, bis April 2008 Cheftrainer von Schalke 04, wurde als Nachfolger verkündet, er unterschrieb einen Vertrag bis Juni 2011.

Der wichtigste Fürsprecher des beurlaubten Bergmann war lange Zeit Jörg Schmadtke. Jetzt sagte der nach zuletzt drei Niederlagen, sieben sieglosen Spielen sowie Tabellenrang 16, Bergmann habe zwar die Gruppe "in der Phase nach der furchtbaren Tragödie um Robert Enke gefühlvoll geleitet", aber er habe "nicht mehr das Gefühl, dass er der Mannschaft die nötigen Impulse für den Verbleib in der Bundesliga geben kann".

Noch am Sonntag hatte Schmadtke ihm versprochen, er werde beim Spiel in Mainz auf der Bank sitzen. Weil nun alles sehr schnell ging, ist es auch nicht ganz klar, wie es mit Bergmann in Hannover weitergeht. Er besitzt noch einen bis 2014 laufenden und zuletzt ruhenden Arbeitsvertrag als Leiter des Nachwuchszentrums und Trainer von Hannovers Regionalliga-Mannschaft.

Zwei bis drei ernsthafte Anwärter hatte es laut Schmadtke gegeben. Slomka wurde von den hannoverschen Zeitungen als "der logische, fast perfekte Kandidat" gehandelt. Er ist Hannoveraner, war schon Assistent des damaligen 96-Aufstiegstrainers Ralf Rangnick und gilt als prächtiger Verkäufer, den die gebeutelten Fans gerne empfangen. Im Sommer scheiterte Slomka noch an den Vorbehalten in der Führungsetage. Klubchef Kind störte unter anderem seine Nähe zum 96-Gönner Carsten Maschmeyer, Manager Schmadtke bevorzugte in der Regel unbekannte Fußball-Lehrer.

Das allerdings schien in der heikelsten Lage der 96er seit ihrem Aufstieg 2002 nicht mehr der richtige Weg zu sein. Als erstes hatte man gar beim 67-jährigen Rentner Hans Meyer angefragt, der Borussia Mönchengladbach, den 1. FC Nürnberg und Hertha BSC Berlin schon vor dem Abstieg bewahrte. Meyers Auskunft: "Ich bin Trainer außer Dienst."

Erfolglos waren auch Verhandlungen mit Marcel Koller, dem im Herbst beim VfL Bochum geschassten Schweizer. Slomka kann nun wohl mit neuem Personal rechnen, Kind sagt, ein Abstieg komme deutlich teurer als ein paar neue Profis. Der frühere Hannoveraner Gerald Asamoah und sein Schalker Kollege Halil Altintop sind Kandidaten.

Auf der nächsten Seite: Slomka übernimmt eine verunsicherte Mannschaft - 96-Boss Martin Kind muss sich die Frage stellen, weshalb es ihm nicht gelingt, den Klub dauerhaft von der Abstiegszone fernzuhalten.

Im Video: Mirko Slomk ist neuer Trainer von Hannover 96. Sein Vertrag gilt bis 2011 und nur für die 1. Bundesliga.

Weitere Videos finden Sie hier

Trainerwechsel
:Und der muss weg

Der Rauswurf von Heiko Herrlich beim VfL Bochum ist der zehnte Trainerwechsel der Saison. Eine kurzfristige Lösung soll den Klassenerhalt sichern. Ein Überblick.

Sportdirektor Schmadtke hat den Trainer Bergmann nicht nur befördert, er hatte auch großen Anteil an seiner "Enteierung", wie sich der frühere 96-Stürmer Fredi Bobic ausdrückte. Dass Schmadtke die Mannschaft im Gegensatz zum Coach zuletzt lautstark beschimpfte ("Betriebsfußballer"), hat gewiss nicht zur Stärkung der Autorität Bergmanns beigetragen.

96-Chef Kind muss sich generell Fragen stellen, weshalb es ihm nicht gelingt, den Klub trotz seines großen Einsatzes und bestimmt 15 Millionen Euro aus dem eigenen Portemonnaie dauerhaft von der Abstiegszone fernzuhalten. Dabei geht es keineswegs nur um die von Kind bekämpfte 50+1-Regel, die angeblich verhindert, dass man mehr Geld durch Investoren einsammeln kann.

Der Hörgeräte-Unternehmer hat zwar aus Hannover 96 mit relativ bescheidenen Mitteln eine funktionierende Fußballfirma gemacht, aber er hat immer wieder auf falsche Leute gesetzt. Er brachte Rangnick und den Manager Ricardo Moar zusammen, die sich mindestens so hassten wie das spätere Trainer-Manager-Duo Ewald Lienen und Ilja Kaenzig.

Dann glaubte er in den beiden Freunden Dieter Hecking und Sportdirektor Christian Hochstätter ein Team gefunden zu haben, das dem des erfolgreichen Werder-Duetts Thomas Schaaf und Klaus Allofs nahe komme, und musste feststellen, dass diese Besetzung mit vergleichsweise viel Geld bald eine verheerende Spieler-Einkaufsbilanz hatte.

Und dann ließ er sich von Schmadtke überreden, den Amateurtrainer Andreas Bergmann zu befördern und begann vor einigen Wochen öffentlich, die Härte des aufrichtigen Coaches in Frage zu stellen, was die seit Enkes Tod angespannte Lage nicht verbessert hat.

So übernimmt Slomka, der dritte neue Fußball-Lehrer in dieser Saison, eine verunsicherte Mannschaft; dieses Wort hat eine große Boulevardzeitung zuletzt nur noch mit Anführungszeichen versehen. Ein Team, das gegen den Tabellenletzten Hertha BSC gerade mal 39 Prozent der Zweikämpfe gewann. Nur bei der Sportlerwahl der örtlichen Neuen Presse ist das noch nicht angekommen. Dort wurde Hannover 96 gerade wieder zum Sieger gekürt.

© SZ vom 20.01.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: