Skisprung: Vierschanzentournee:Verlieren ist ganz leicht

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Die deutschen Skispringer sind anfällig für niederschmetternde Großniederlagen, in denen alles Gute nur noch schlecht aussieht.

Thomas Hahn

Erste Etappe, letzte Szene. Der Skisprung-Bundestrainer sitzt vor den Reportern, die jüngste Niederlage im Genick, vor sich eine Zukunft, die er gestalten soll, und in der Seele seine persönliche Enttäuschung. Werner Schuster weiß, dass er jetzt stark sein muss und eine Leutseligkeit aufbringen, nach der ihm nicht wirklich zumute sein kann, denn der Start zur 58.Vierschanzentournee im Oberstdorfer Niesel ist seiner Mannschaft derart furios missglückt, dass selbst das Lob für den 18-jährigen Pascal Bodmer schal klingt.

Wenn er wenigstens so gut wie seine Startnummer gewesen wäre - die 16: Martin Schmitt, 23. des Auftaktspringens der Vierschanzentournee. (Foto: Foto: ddp)

Zwölfter ist Bodmer geworden, Martin Schmitt als nächstbester Deutscher 23. "Der schlechtest mögliche Auftakt", sagt Schuster über das Ergebnis, so wie er das am Abend zuvor auch schon getan hat, und immer wieder versinkt er in kleinen Monologen, die Erklärungen liefern sollen, Einsichten, tapfere Ausblicke, und mit denen er sich vielleicht auch ein bisschen selbst tröstet. "Wer soll sonst noch zufrieden sein?", fragt er. Es waren doch nicht nur die Deutschen Verlierer.

Das ist das Gemeine am Skispringen: Gewinnen ist schwer, verlieren ganz leicht, und an besonders schlechten Tagen verschlägt es selbst die Tüchtigen ins Niemandsland der Ergebnisliste. Seit Schuster im Frühjahr 2008 seine Arbeit beim Deutschen Skiverband aufgenommen hat, hat die Skispringer ein neuer Schwung erfasst. In den Ruinen der früheren Erfolgsabteilung haben nach Jahren der bräsigen Vergangenheitsverwaltung nachhaltige Aufbauarbeiten begonnen, und die Elitesportler haben diesen Neuanfang immer wieder mit guten Ergebnissen unterlegt.

Anfällig für Niederlagen

Aber sie sind anfällig für Niederlagen geblieben, und zwar nicht nur für die üblichen Alltagsniederlagen, sondern für richtige, niederschmetternde Großniederlagen, in denen alles Gute nur noch schlecht aussieht. Bei der WM in Liberec im Februar gewann Martin Schmitt an einem Tag Silber im Einzel, am nächsten schafften die Deutschen im Team-Wettbewerb nicht einmal den Einzug ins Finale der letzten Acht.

Beim Saison-Start 2009/2010 in Kuusamo waren sie so gut wie lange nicht mit Bodmer auf Rang zwei und Michael Uhrmann auf Rang vier. Jetzt beklagen sie den schlechtesten Tournee-Auftakt seit Jahren mit Bodmer auf Rang zwölf und Uhrmann auf Rang 50.

"Das hat schon was Symptomatisches", sagt Schuster, und sein sportlicher Leiter Horst Hüttel ergänzt: "Man kann definitiv die Erkenntnis daraus ziehen, dass wir noch nicht so weit sind, wie wir sein wollen." Die Nachlässigkeiten aus der Zeit, als der DSV im Hype um die früheren Seriensieger Hannawald und Schmitt die Zukunft vergaß, wirken nach. Wie ein Mantra tragen Schuster und Hüttel die Botschaft vor sich her, dass die guten Dinge, die sie vorhaben, eine Weile zum Reifen haben wollen. Auch wenn es langweilig ist. Es hilft nichts. Sie sind gerade dabei, das deutsche Skispringen neu zu erfinden, das geht nun mal nicht binnen weniger Monate.

Schutzlos im Rückenwind

Und so steht Schuster vorerst schutzlos im Rückenwind, der Uhrmann alle Aussichten raubte, und muss sich seiner Ohnmacht stellen. Auf das Wetter verweisen, das es nur mit wenigen gut meinte, unter anderem mit dem Finnen Janne Ahonen, der ein Luftpolster im zweiten Durchgang zur Tagesbestweite von 137 Metern und Gesamtrang zwei hinter Andreas Kofler nutzte. Auf die schlechte deutsche Tradition, Skisprungski bei Nässe nicht richtig auf Anlauftempo zu bringen.

Sieger der Vierschanzentournee
:Popstars und Supermänner

Die früheren Sieger des traditionsreichen Skisprungvierkampfes waren allesamt wagemutig - manch einer auch abseits des Sports. Von Offizieren, Häftlingen und Maskenträgern.

Oder auf die Tatsache, dass die deutschen Leistungsträger nicht mehr die jüngsten sind und deswegen mit dem Technikleitbild eines modernen Skispringers Probleme haben. "Auslaufgeneration" nennt Schuster seine Etablierten Schmitt, 31, Uhrmann, 31, und Michael Neumayer, 30.

Er meint das nicht abwertend ("Wenn die nicht da wären, sähe es zappenduster aus"), aber den Trend geben die Akkordgewinner aus Österreich vor mit ihrer reifen Athletik und ihrer Fähigkeit, sich auch an schlechte Bedingungen anzupassen. Und es ist auch kein Zufall gewesen, dass am Schattenberg der Teenager Bodmer von all seinen DSV-Kollegen der Beste war. Schuster sagt: "Er ist deutlich unkomplizierter und unanfälliger gegen Wind und Wetter."

Ein mächtiges Projekt

Werner Schuster ist als Nachwuchstrainer Mitgestalter des österreichischen Hochs gewesen. Danach wirkte er eine Saison lang in der Beschaulichkeit des Schweizer Skiverbandes. Jetzt arbeitet er an diesem mächtigen Projekt "Skisprung Deutschland" mit seinen vielen Stützpunkten und verzweigten Strukturen und muss sich dabei manchmal vorkommen wie ein Sisyphus des Skispringens. Regelmäßig erntet er Beifall, und dann kommt ein Rückenwind und bläst ihm alles wieder kaputt. Aber er sagt: "Ich habe die Energie. Ich würde den Aufbau gerne weiterbetreiben."

Er hat seine Leute in Einzelgesprächen aufs nächste Ereignis eingestimmt. Zweite Etappe, erste Szene: die Qualifikation zum Neujahrsspringen in Partenkirchen. Alles ist möglich. "Das ist das Spannende", sagt Werner Schuster, "vielleicht haben wir den Tiefpunkt noch gar nicht erreicht, aber vielleicht ist Oberstdorf auch befreiend gewesen." Er muss an die Chancen glauben, die sein launischer Sport gerade für Verlierer bereithält.

© SZ vom 31.12.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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