Schach-WM:"Jeder Fehler kann der letzte sein"

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Einfach nur Schachspielen: Sergej Karjakin. (Foto: AFP)

5,5 zu 5,5: Der Sieger der letzten Partie der Schach-WM zwischen Magnus Carlsen und Sergej Karjakin ist Weltmeister. Der Druck auf beide ist enorm.

Von Martin Breutigam, New York/München

Den Anteil der Psychologie in diesem Drama schätzt Sergej Karjakin inzwischen auf 80 Prozent. So einen Druck habe er noch nie gespürt, gestand der russische Herausforderer nach dem Remis in der elften Partie um die Schach-WM. "Besser ist es, nicht allzu sehr über die Situation nachzudenken, sondern einfach Schach zu spielen." Es steht 5,5:5,5 vor der zwölften und letzten Partie, die Weltmeister Magnus Carlsen an diesem heutigen Montag mit Weiß eröffnen wird.

In diesem Anzugsrecht sieht der Norweger einen Vorteil, außerdem gehe der Wettkampf für ihn "in die richtige Richtung". Tatsächlich zeigte Carlsen, 25, zuletzt einen Formanstieg. Nachdem ihm in der zehnten Partie der Ausgleich gelungen war, verteidigte er sich in der elften mit den schwarzen Figuren auf eindrucksvolle Art. Abermals vertraute er einer klassischen Aufstellung gegen die von Karjakin gewählte spanische Partie. Darauf schien der Russe jedoch gut eingestellt zu sein; im 14. Zug schob er zügig den f-Bauern vor , um die Initiative am Königsflügel zu übernehmen.

Carlsen spielt überzeugender als zuletzt

Carlsen vertiefte sich in die Stellung und präsentierte einen überzeugenden Plan: Zunächst schloss er seine Entwicklung ab, indem er seine Schwerfiguren harmonisch zentralisierte. Als der Herausforderer mit einem langsamen Randbauernzug reagierte ("etwas unvorsichtig", so Karjakin), ließ Carlsen zwei überraschende Bauerndurchbrüche folgen (18...c3 und 19...d5!). Auf diese schöpferische Weise brach er das Bauernzentrum auf, um die dahinter aufgestaute Figurenenergie entladen zu können. Zwar hatte Carlsen bei dieser Aktion einen Bauern geopfert, aber zugleich einen Freibauern geschaffen, der bis auf die vorletzte Reihe vordringen konnte und Karjakins Figuren band, weil sie mit der Blockade dieses Bauern beschäftigt sein sollten. "Mit dem Bauern auf e2 gehe ich keinerlei Risiko ein", erklärte Carlsen hinterher seine Spielidee. Trotz des Materialnachteils sah er keine Verlustgefahren - aber zu realen Siegchancen reichte es halt auch nicht.

Letztlich gelang es Karjakin, das Gleichgewicht zu halten, indem er Angriffe gegen Carlsens Freibauern mit ewigen Schachdrohungen gegen dessen König miteinander kombinierte. Nach 34 Zügen und dreieinhalb Stunden Spielzeit einigten sich die Protagonisten per Handschlag aufs Remis.

"Jeder Fehler kann der letzte sein", sagte Karjakin im Hinblick auf die bevorstehende letzte Partie. Eine höhere Partienzahl hätte die Last mindern können, die nun in jedem Zug mitschwingen wird. Tatsächlich erscheinen zwölf Partien im Vergleich zu früheren WM-Kämpfen wenig, beispielsweise spielten Garri Kasparow und Anatoli Karpow 1990, im letzten ihrer legendären WM-Duelle, 24 Partien. In ihrem ersten WM-Kampf (1984/85) hatten sich die Russen sogar in 48 Partien gegenüber gesessen - fünfeinhalb Monate lang.

Sowohl Carlsen als auch Karjakin äußerten sich zu Beginn ihres WM-Kampfs zufrieden mit dem heutigen Format. Zwar müssten - wenn man wirklich sichergehen wolle, dass der stärkere Spieler gewinnt - so viele Partien wie möglich gespielt werden, sagte Carlsen. Es sei aber vernünftig, irgendwann einen Stopp machen: "Zwölf Partien sind ein guter Kompromiss."

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Bei einem Unentschieden geht die WM ins Tiebreak

Am Samstag, nach der elften Partie, erinnerte Carlsen allerdings daran, dass er grundsätzlich für einen radikalen Wechsel in Sachen WM-Format plädiere. Im Jahr 2015 hatte er statt des bestehenden zweijährigen Zyklus' jährliche K.o.-Weltmeisterschaften mit einer Vielzahl von Teilnehmern ins Gespräch gebracht.

Falls die zwölfte Partie unentschieden enden sollte, wird es am kommenden Mittwoch, am 26. Geburtstag von Magnus Carlsen, zu einem Tiebreak kommen: ein Stichkampf über vier Schnellpartien (25 Minuten Bedenkzeit für jeden, plus zehn Sekunden Aufschlag pro Zug). Steht es anschließend immer noch unentschieden, fällt die Entscheidung in Fünf-Minuten-Blitzpartien.

© SZ vom 28.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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