Es ist der vielleicht entscheidende Satz im Leben des Magnus Carlsen: "Es ist ziemlich schwer, cool zu sein, wenn du ein Schachspieler bist." Er sagte das ungefähr im Alter von 13 oder 14, als er sehr betrübt zu Hause saß in Bærum. Carlsen erzählte, wie ihm eine Gruppe von Jungs das Leben zur Hölle machen will, ihn "ärgert, wo es nur geht". Weil er ein Außenseiter sei. Pausbackig, leichte Segelohren, bisweilen geistig abwesend und sehr nach innen gekehrt. Zudem mit diesem seltsamen Hobby: Er spielt Schach.
Der Satz wurde im elterlichen Haus von einer Videokamera aufgenommen und ist nun zu sehen im Film "Magnus - Mozart des Schachs", der in diesen Tagen in die Kinos kommt. Der Film zeigt weitere Szenen aus der Kindheit und Jugend des Magnus Carlsen. Während das Werk aus künstlerischer Sicht Schwächen hat, gibt es interessante Einblicke für jemanden, der dem Genie auf die Schliche kommen will. Die Eltern von Magnus Carlsen hatten in den neunziger Jahren offenbar eine Vorahnung und hielten den Werdegang ihres Sohnes auf Video fest.
Carlsen bei der Schach-WM:Verrückt nach dem Grimmigen
Er ist 23, Millionär und der Jüngste, der je die Spitzenposition der Schach-Weltrangliste erreicht hat. Der Norweger Magnus Carlsen verzückt sein Heimatland. Doch eines kann er nicht: Gefühle zeigen.
Inzwischen müssen sich Sigrun Øen und Henrik Albert Carlsen nicht mehr darum kümmern, dass Filme von ihrem Sohn gemacht werden. Ihr Magnus hat es geschafft. Er ist nicht nur Weltmeister, die Welt nimmt seine Schrägheiten inzwischen als außergewöhnlich cool wahr. Zuletzt tauchte ein Video auf Youtube auf, in dem der 25-Jährige im New Yorker Washington Square Park zusammen mit der sehr coolen Schauspielern Liv Taylor auftaucht. Er sitzt an einem Tisch und fordert zwei ältere Herren zu einem Spiel heraus.
Die beiden beteuerten danach, sie hätten nicht gewusst, gegen wen sie da antreten würden. Allerdings sogleich gemerkt, wie aussichtslos das Unterfangen sei. Den einen besiegte Carlsen in zehn Zügen. Vorher hatte Carlsens Manager Espen Agdestein gegen einen ziemlich schlecht ausgehen, " da musste ich die Ehre der Norweger in diesem Park wiederherstellen", erklärte Carlsen.
Sein Gegner heißt Sergei Karjakin
Im Schachspiel ist der Ruhm des Landes weltweit ohnehin auf seinem Höhepunkt angelangt. Magnus Carlsen war schon Weltmeister im Blitzschach, amtiert als Weltmeister im Schnellschach und in der herkömmlichen Spielform. Hier will er in den kommenden Wochen zum dritten Mal in Serie den Titel gewinnen, im Zentrum der Coolness: im Seaport District von Manhattan, New York, nahe der Brooklyn Bridge. Sein Gegner heißt Sergei Karjakin aus Russland und alles andere als ein Erfolg Carlsens würde die Schachwelt erschüttern.
Schach:So tickt der Herausforderer von Magnus Carlsen
"Selbst ein Bauer kann zur Dame werden" - dieser Werbespruch weckte einst Sergej Karjakins Interesse am Schach. Nun darf der Russe gegen Norwegens Magnus Carlsen ins Duell der Mittzwanziger.
Die Favoritenstellung ist leicht an der Weltrangliste abzulesen: Carlsen liegt auf Platz eins mit 2853 Punkten, Karjakin auf Rang neun mit 2772 Punkten. Das ist im Schach ein Klassenunterschied. Zuletzt traten die beiden im Masters von Bilbao gegeneinander an und der auf der Krim geborene Russe hatte nicht den Hauch einer Chance.
"Carlsen verfügt über eine nie erreichte schachliche Intuition", erklärt Stefan Kindermann, Großmeister und Geschäftsführer der Münchner Schachakademie. Laufen Partien auf ein scheinbar sicheres Remis zu, könne der Norweger den Gegner plötzlich überspielen wie kein anderer: "Und im Endspiel findet er oft geniale Ressourcen, die man dort gar nicht vermuten würde."
Carlsen hat in den vergangenen Jahren das Schachspiel in der Weltspitze neu justiert. Lange dachte man, ein Spieler könne den Gegner praktisch nur noch mit einer perfekt vorbereiteten Eröffnung überlisten und sich so einen Vorteil verschaffen. Sonst enden Partien eben Remis. Das Spiel schien mit Hilfe von Computern fast ausgereizt zu sein. Doch der Norweger brachte einen anderen Stil mit. Die ersten Züge sind zumeist nur dazu da, den Nachteil zu verhindern. Erst wenn das Spiel am Laufen ist, sucht Carlsen die Schwächen des Gegners. Hat er sie gefunden, beißt er sich grimmig fest und lässt nicht mehr los. Denn bei aller Coolness, die dem Mozart des Schach zugeschrieben wird: Gerade der biografische Film zeigt, dass Carlsens Erfolg vor allem darauf beruht, es sich und der Welt richtig zeigen zu wollen. Und zwar immer. Dieser Ehrgeiz treibt ihn enorm an.
"Er wird so wütend auf sich, wenn er verliert", erzählt eine seiner drei Schwestern, "er erwartet so viel von sich, er will dann mit niemandem mehr reden." Je mehr er sich in der Kindheit als Außenseiter fühlte, desto mehr übte er sein Schachspiel. Hier erhoffte er sich Anerkennung und Selbstvertrauen. Als er schon berühmt war, ließ er sich darauf ein, gegen die zehn besten Schachspieler der Harvard Elite-Universität gleichzeitig anzutreten. Mit verbundenen Augen und dem Rücken zu den Brettern. Nur aus dem Gedächtnis heraus setzte er einen nach dem anderen Matt, lächelte kurz und statt danach Autogramme zu geben, schrieb er den Gegnern die Zugfolge der Partien mit einem Kugelschreiber auf ein Blatt Papier. Den Leuten stand sprichwörtlich der Mund offen.
Carlsen, die Weltmarke
Die Eigenheiten, weshalb er früher von den Mitschülern gehänselt wurde, sind heute Merkmale eines bestaunten Schachspielers. Aus dem seltsam in sich gekehrten Kind mit komischen Begabungen ist eine Weltmarke geworden. Die gut vermarktet wird und laut Manager Espen Adgestein zwei Millionen Dollar Jahresgehalt einspielt. Carlsen hat nun genug Geld, sich für alle Bereiche Helfer zu engagieren. Diese Konstellation ist die vielleicht einzige Chance von Herausforderer Karjakin: Der Druck liegt allein bei Carlsen. Das kennt er so noch nicht und sollte Karjakin seine bekannte Schwäche zu Beginn eines Turniers nutzen und in Führung gehen - wer weiß, wie der Weltmeister reagiert.
Wie viel auf dem Spiel steht für den Norweger, zeigt eine Warnung seines Managements. Das Carlsen-Lager erklärte vor einigen Tagen öffentlich, es fürchte Hacker-Angriffe auf die Computer. Angeblich soll Carlsens persönlicher Sponsor Microsoft eingeschaltet worden sein. Manager Agdestein sprach von "Pentagon-Sicherheit" für die Rechner, denn es "ist natürlich ganz entscheidend, dass kein Fremder Zugang zu unseren Analysen bekommen kann". Die Zeiten, in denen irgendwelche Jungs Magnus Carlsen ärgern, wo sie nur können, sollen endgültig vorbei sein.
Verfolgen Sie ab Freitag die Partien der Schach-WM im Liveticker bei SZ.de.
Großmeister Stefan Kindermann analysiert alle Partien der Schach-WM tags darauf im Video bei SZ.de. Sehen Sie hier bereits seine Vorschau.